Schwächen Agenturverträge die rechtliche Position der Händler?
Wie bereits umfangreich berichtet, löste mit 1. Juni 2022 die neue Vertikal-GVO Nr. 2022/720 die in den letzten 12 Jahren in Geltung stehende Gruppenfreistellungsverordnung für Vertriebsverträge Nr. 330/2010 ab. Unter anderem finden sich in den Neuerungen nunmehr klare Hinweise zur Abgrenzung zwischen echten und unechten Agenturverträgen, was gerade im Hinblick auf eine kartellrechtliche Prüfung einzelner Vertragsbestandteile von immanenter Bedeutung ist. Waren auch bisher in Österreich echte Agentursysteme nicht vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen ­gemäß Artikel 101 AEUV des EU-Vertrages umfasst, legt die EU-Kommission in der neuen GVO und den dazugehörigen Leitlinien unmissverständlich fest, dass ein echtes Agentursystem wie ein klassischer Direktvertrieb zu behandeln und rechtlich zu bewerten ist.
Da zuletzt immer mehr Marken mit neuen Vertragskonstruktionen auf ein Agentursystem umzustellen begonnen haben, drängt sich natürlich die Frage nach den rechtlich bedeutendsten Konsequenzen für die Händlerschaft auf. Zuletzt wurden dazu in der AUTO Information Nr. 2632 vom 12. August 2022 Bedenken laut, dass durch die Etablierung von Agentursystemen die rechtliche Position der Händler geschwächt würde, unter anderem, da durch diese neuen Vertragskonstruktionen das Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz außer Kraft gesetzt wird. Aber trifft diese Einschätzung wirklich zu und welche Händlerrechte sind durch die Einsetzung von Agentursystemen tatsächlich bedroht? Ein genauer Blick verspricht Aufklärung.

Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz
Wie schon den parlamentarischen Erläuterungen zum Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz entnommen werden kann, sollten durch dieses Gesetz vor allem die auf der damals auslaufenden Kfz-GVO Nr. 1400/2002 gegründeten Bestimmungen in bestehenden Vertriebsbindungsverträgen der Kfz-Branche durch zwingendes Zivilrecht abgesichert werden. Das KraSchG sollte daher schon von Beginn an dazu dienen, entfallende europarechtliche Regelungsmechanismen durch nationales Recht auszugleichen. Daran ändert natürlich auch der Tausch der alten Vertikal-GVO gegen ihre Nachfolgeregelung nichts. Schon bisher war es dem Kartellrecht nicht möglich, zivilrechtliche Fragen zu klären, weshalb der Gesetzgeber ganz bewusst mit dem KraSchG zwingendes Zivilrecht geschaffen hatte, das der Hersteller auch vertraglich nicht zulasten der Vertragshändler ausschließen konnte. Der Vertragsbeziehung unter dem Schlagwort „Agenturvertrag“ nun ein neues Mäntelchen überzustülpen, genügt daher auch nicht, um das KraSchG außer Kraft zu setzen.
Es verbleibt die Frage, ob das Gesetz ursprünglich nur für Kfz-Vertragshändler geschaffen werden oder ob es auch für Agenten in Geltung treten sollte. Hier ist zunächst festzuhalten, dass sich das Wort „Vertragshändler“ im gesamten Gesetzestext nicht findet. Tatsächlich gilt das KraSchG für alle Vertriebsbindungsvereinbarungen über den Kauf oder Verkauf neuer Personenkraftwagen und leichter Nutzfahrzeuge und von Ersatzteilen für solche Kraftfahrzeuge sowie für Instandsetzungs- oder Wartungsarbeiten für Kraftfahrzeuge, die im Rahmen solcher Vertriebsbindungsvereinbarungen verkauft worden sind. So weit der etwas sperrige Gesetzestext.
Aber was ist unter einer Vertriebsbindungsvereinbarung eigentlich zu verstehen? Hier greift der Gesetzgeber auf die Definition der „vertikalen Vertriebsbindung“ nach § 30a des (aufgehobenen) Kartellgesetzes 1988 zurück. Anspruchsberechtigter ist somit der an ein vertikales Vertriebsbindungssystem gebundene Unternehmer, wobei unter „vertikal“ die Durchführung der jeweils vertraglichen Verhaltensweisen auf einer unterschiedlichen Produktions- und Vertriebskette bedeutet. Diese Voraussetzungen finden sich auch bei den neuen Agenturverträgen verwirklicht. Es gibt im Ergebnis meines Erachtens somit keinen Zweifel daran, dass das KraSchG auch auf diese neuen Vertragssysteme Anwendung finden wird.

Ausgleichsanspruch
Bisher leiteten Kfz-Vertragshändler den ihnen bei Beendigung des Vertragsverhältnisses im Regelfall zustehenden Ausgleichsanspruch aus einer bloß analogen Anwendung des § 24 Handelsvertretergesetz (HVertrG) ab. Diese war im letzten Jahrtausend mühevoll vor den österreichischen Höchstgerichten erkämpft worden und galt die analoge Anwendung des HVertrG auch nur für jene Bestimmungen des HVertrG, die für die Ermittlung des Ausgleichsanspruches relevant waren. Alle übrigen Bestimmungen blieben weiterhin den Handelsvertretern vorbehalten. Für das Agentensystem ist nunmehr wesentlich, dass seit der Novelle durch BGBl I 2006/103 das HVertrG 1993 auf Agenten nicht mehr nur analog, sondern direkt Anwendung findet. Im Ergebnis müsste dies nunmehr dazu führen, dass ein Wechsel vom Vertragshändler hin zum Agenten zumindest im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch die Rechte des Händlers sogar eher stärkt als sie zu schwächen. So ist wohl im Agentursystem das gesamte HVertrG für das Vertragsverhältnis maßgeblich.

Investitionsersatz
Bisher konnte ein Kfz-Vertragshändler in Fällen der Beendigung des Händlervertrages für bestimmte Investitionen, die im Betrieb noch nicht zur Gänze abgeschrieben waren, gemäß § 454 UGB einen Ersatzanspruch geltend machen. Da sich diese Bestimmung für die Frage, wer als anspruchsberechtigt gelten soll, ebenfalls auf die dem § 30a KartG 1988 entliehene Begriffsbestimmung für einen an einem vertikalen Vertriebsbindungssystem gebundenen Unternehmer zurückzieht, gelten die gleichen Überlegungen wie schon hinsichtlich der Anwendbarkeit des KraSchG. Auch der Investitionsersatz ist daher im Ergebnis durch eine Überführung vom Vertragshändler- in ein Agentursystem nicht bedroht.

Resümee
Wie bereits von mir schon an anderer Stelle ausgeführt, ist eine reflexartige Ablehnung der Etablierung eines Agentensystems nicht erforderlich. Wesentliche Anspruchsgrundlagen der Händler, die sich aus der Vertragsbeziehung zum Hersteller respektive Importeur ergeben, sind durch die neuen Agenturverträge nicht bedroht. Mit entsprechend selbstbewusstem Auftreten einer möglichst in Verbänden organisierten Händlerschaft besteht bei den Vertragsverhandlungen die Chance, ein Win-win-Ergebnis zu erzielen, das beiden Seiten eine Verbesserung des Status quo ermöglichen könnte. Der Teufel steckt jedoch wie immer im Detail und auch in der Vergangenheit wurden die Hoffnungen auf Vertragsverhandlungen auf Augenhöhe nicht immer erfüllt. Dennoch gilt: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben!