Der Automobilwoche-Kongress in Berlin stand unter dem Eindruck der
VW-Krise, was die Besucher mehr interessierte als das ansonsten
aufschlussreiche Themenpotpourri zwischen Industrie und Handel.
Die gesamte Automobilwirtschaft ist nach dem von VW entfachten
Dieselskandal auf der Suche nach neuer Identität, und das ist gut so.
Die Branche muss sich in allen Bereichen quasi neu erfinden. Alt
passt mit neu nicht mehr zusammen -auch nicht mehr die
Führungsstrukturen! Jede Führungskraft in der Automobilwirtschaft
muss heute digital top aufgestellt sein, sonst findet sie bei der
heranwachsenden Generation keine Akzeptanz, war auch der Tenor auf
der Berliner Veranstaltung. Zudem muss sie ein stringentes
Wertesystem vorleben, orientiert sich dieser Hinweis speziell am
Erlebnis VW.
Die Unternehmen in der Autoindustrie brauchen mehr IT-und
Digitalisierungsexperten, lautet die eine Forderung, eine andere ist
die rasche Anpassung neuer Führungskultur bis in die Vorstandsetagen.
In der Diskussion mit Christian Rosen (Egon Zehnder), Ariane Reinhart
(Continental) und Bernhard Mattes (Ford) wurde deutlich, dass die
Autobranche mitten im Wandel steckt. "Bisher benötigte die Auto
industrie diese Fähigkeiten nicht, bisher war es nicht wichtig,
dieses Wissen bis in die obersten Etagen zu bündeln", sagt Rosen.
"Dabei darf es aber nicht um isolierte IT-Kompetenz gehen", warnt
Bernhard Mattes. "Wir brauchen diese Fähigkeiten in allen Bereichen."
Ariane Reinhart, Personalvorstand von Continental: "Wir alle arbeiten
viel digitaler als bisher und die Taktzahl, in der Informationen
ausgetauscht werden, ist eine völlig andere. Da müssen die
Mitarbeiter mithalten können."
Mitten im Wandel
Der gute alte Car-Guy stirbt zwar nicht aus, er muss jedoch seine
Fähigkeiten ergänzen. Er braucht branchenfremde bestens ausgebildete
Leute, die wissen, wie der frei zugängliche Kunde für das eigene
Firmeninteresse dennoch gebunden werden kann.
In den Diskussionen wird aber klar, dass die Unternehmen diese
Menschen nicht nur wollen, sondern auch brauchen. "Neue
Führungskräfte netzwerken, kennen durch ihre Berufsentwicklung andere
Branchen, denn Netzwerke und Partnerschaften werden immer wichtiger
-über die Unternehmensgrenzen hinaus", erklärt Reinhart. Christian
Rosen ergänzt: "Es wird künftig nicht mehr die großen Unternehmen
geben, sondern Netzwerke zu bestimmten Projekten. Dafür müssen die
Führungskräfte ausgebildet sein." Reinhart, Mattes und Rosen sind
sich zudem einig, dass diese Führungskräfte nicht einzig über gute
Zeugnisse gefunden werden können. "Disruptiv" lautet dazu das
repräsentative Signalwort. "Wir schauen auf Passgenauigkeit, denn wir
wollen, dass der neue Mitarbeiter in einem Team Hochleistung bringt.
Wenn er zufrieden ist, ist er produktiv, seltener krank, die
Fluktuation ist niedrig und wir als Unternehmen können davon nur
profitieren", lautet das Resümee.
Einem ehrlichen Wertesystem in Führungsetagen wird das Wort geredet:
"Werte müssen vorgelebt und stringent eingehalten werden.
Führungskräfte brauchen ein Höchstmaß an Integrität, Selbstreflexion,
Agilität und man darf sich nicht immer so ernst nehmen -Happiness ist
wichtig, und das dürfen alle Mitarbeiter spüren", betonen Reinhart,
Rosen und Mattes unisono. Rund um die Führungsverirrungen bei
Volkswagen war das eine interessante und manche Gedanken erhellende
Diskussionsrunde.
Immer weniger, dafür schneller
"Ohne Finanzdienstleistungen ist der Autoverkauf kaum denkbar",
betont Anthony Bandmann von Volkswagen Bank: "Und die zusätzlichen
Dienstleistungen spielen für die Autohäuser mit Blickrichtung
Ertragsteigerung eine immer wichtigere Rolle." In den Augen des
Bankmenschen ändern sich laufend die Kundenansprüche und er lenkt
damit das Interesse auf die rasche Digitalisierung im Autohaus. "Der
digitalisierte Kunde sucht den bequemen Kaufprozess." Darin sieht
Bandmann den Brückenschlag zum stationären Handel. Für den Händler
besteht dadurch die Chance, zu neuen und jüngeren Kunden zu kommen.
Leasingbörsen-Kunden seien demnach bis zu 10 Jahre jünger als der
Durchschnitt. "Und viele davon orderten dann im Autohaus weitere
Produkte und Dienstleistungen", lautet sein Kalkül.
"Dem Kunden alles einfacher machen, ist sein Konzept fortschreitender
Digitalisierung." Der Bankchef ist sich sicher, dass es dafür nicht
zehn verschiedene Dienstleister in einem Auto geben muss.
Noch ist schwer abzuschätzen, wie groß das Potenzial dieser
Kleinzahlungen im Auto sein wird. "Bis zu 1.500 Euro inklusive
Tankzahlungen monatlich", schätzt Bandmann. Auch
Dienstleistungsvereinbarungen könnten auf diese Weise bargeldlos
abgewickelt werden.
"Über nachgelagertes Geschäft und die Bindung an die Markenwerkstatt
kann am Ende auch der Handel profitieren", zeichnet der
Volkswagenbank- Vorstandssprecher neue Wege zum Absatzerfolg im
weiterhin defensiven Autohandelsgeschäft.
Wirft sich Branchenteilnehmern jedoch die Frage auf, ob man an der
Schnittstelle zum Kunden den Händler daran partizipieren lässt oder
sich die Captiv-Volkswagenbank allein die Butter aufs Brot nimmt.
(LUS)