Rund 690.000 Besucher -40 Prozent von ihnen aus dem Ausland -waren Anfang März beim 83. Genfer Automobilsalon anzutreffen. Dies entsprach einem Rückgang von 2 Prozent gegenüber 2012, doch die Veranstalter können mit dieser Zahl durchaus leben. Ein Minus von nur 2 Prozent hätte auch so mancher Hersteller gerne in seiner Verkaufsbilanz. Die Realität sieht jedoch andersaus: Die meisten Volumenhersteller müssen mit zweistelligen Rückgängen kämpfen. Nach Südeuropa und den meisten zentraleuropäischen Märkten hat es mittlerweile auch Frankreich und, wenngleich in deutlich geringerem Maß, Deutschland erwischt. Selbst Österreich kann sich dem Abwärtstrend nicht mehr gänzlich verschließen. Kein Wunder, dass in Genf eine Frage in allen Fachgesprächen gestellt wurde: Wie lange wird die europäische Autokrise noch andauern?

Kampf um Nummer 1

Bei Daimler rechnet man heuer mit einer stagnierenden Entwicklung am "alten Kontinent", wenngleich sich Vorstandsvorsitzender Dr. Dieter Zetsche mit einem weltweiten Absatzwachstum von "durchschnittlich 3 bis 4 Prozent" tröstet. Er hält am Ziel fest, bis 2020 der umsatz-und ertragsstärkste Autobauer im Premiumsegment zu werden: "Ich glaube, dass sich diese beiden Ziele nicht ausschließen."

Zetsche muss jedoch zahlreiche Baustellen bewältigen: Die größte davon ist China. "Im Jänner 2013 haben wir weltweit mehr Autos als Audi und nur 300 Autos weniger als BMW verkauft, wenn man China außen vorlässt", berichtet Zetsche. Um zu verhindern, dass das Reich der Mitte endgültig zum Klotz am Bein wird, lässt er unter anderem das Vertriebsnetz ausbauen: "Ende 2012 sind wir bei 260 Händlern gelegen, heuer werden vielleicht 70 weitere hinzukommen. Im Zuge dessen forcieren wir die Expansion in jüngere Großstädte, wo wir bisher nur unterproportional vertreten waren."

Parallel muss sich Zetsche einem heftigen Konflikt mit der Arbeitnehmerseite stellen. Dieser führte dazu, dass sein Vorstandsvertrag Ende Februar nur um 3 anstatt der üblichen 5 Jahre verlängert wurde. Trösten kann sich der langjährige Konzernchef mit dem offensichtlichen Erfolg von "car2go". Das Carsharing-Projekt wird bereits ein 18 Städten umgesetzt, in 4 Metropolen (darunter Wien)schreibt man schwarze Zahlen. "Wir sehen durchaus die Chance, daraus ein Geschäft in der Umsatzgröße von 1 Milliarde Euro zu entwickeln", meint Zetsche.

Bekenntnis zur Nische

Im Gegensatz zu Daimler strebt Volvo nicht nach Größe. "Wir rechnen heuer ungefähr mit dem gleichen Volumen wie 2012", sagt Håkan Samuelsson, der erst vor wenigen Monaten den erkrankten Vorstandsvorsitzenden Stefan Jacoby abgelöst hat. Der ehemalige MAN-Chef rechnet heuer zum dritten Mal in Folge mit rund 425.000 Verkäufen. Dennoch soll sicheine "schwarze Null" ausgehen, was vor Kurzem zu 1.000 Kündigungen geführt hat.

Am harten Preiskampf, der vor allem in Europa herrscht, will sich Samuelsson möglichst wenig beteiligen: "Man sollte niemals versuchen, Volumen durch Marktanteile zu kompensieren. Man kann nur wählen, ob man X Millionen Ergebnis mit hohem Volumen und niedrigen Margen oder niedrigem Volumen und hohen Margen erreichen will." Er betont die bewusste Positionierung als Nischenmarke: "Wir haben einen unglaublich homogenen Kundenkreis in allen Ländern -Menschen, die Wert auf Premium legen, aber gleichzeitig Individualität, Verantwortung, guten Geschmack und so weiter beweisen wollen." Sicherheit als zentraler Wert sei ohnehin unverrückbar.

Ein neues Entwicklungszentrum, das Volvo mit dem chinesischen Eigentümer Geely betreibt, soll die Entwicklung zukünftiger Modelle erleichtern. "Durch diese Kooperation bekommen wir am Ende ein deutlich besseres Fahrzeug als bei einer konventionellen Kooperation mit einem fremden Hersteller, die immer eine Verwässerung von Markenwerten bedeutet", sagt Samuelsson.Das erste Resultat der gemeinsamen Entwicklungsarbeit wird das zukünftige C-Segment-Auto von Volvo sein. Parallel arbeiten die Schweden weiter an der größeren Plattform "SPA", die Ende 2014 erstmals in einem Serienmodell verwendet wird.

"Dynamik ist Weg aus der Krise"

Die europäische Absatzkrise hat vor allem Peugeot getroffen, wenngleich Produktdirektor Xavier Peugeot beschwichtigt. "Der beste Weg aus der Krise ist Dynamik: Dazu gehören neue Produkte und Innovation. Binnen 3 Jahren erneuern wir 90 Prozent unseres Produktangebots." Große Hoffnungen setzt Peugeot (wie auch die Schwestermarke Citroën) in die neue Druckluft-Technologie namens HYbrid Air: "Diese werden wir ab dem Jahr 2016 sukzessive einführen und damit den Verbrauch drastisch senken. In der Stadt können Sie damit 60 bis 80 Prozent der Wege mit null Emission zurücklegen und den Verbrauch um 45 Prozent reduzieren."

Dem Magna-Werk in Graz, das den Peugeot RCZ baut, streut Xavier Peugeot Rosen. Er lobt vor allem "die gute Qualität aus Österreich". Dennoch ist eine Verlängerung oder gar Ausweitung des Auftrags noch längst nicht ausgemacht: "Aber wir überlegen alle Möglichkeiten."

Österreich als Vorzeigemarkt

Hingegen sieht es bei Seat, lange Zeit das Sorgenkind unter den VW-Töchtern, dank des neuen Leon etwas besser aus. "Wir bemerken zum ersten Mal die Situation, dass Kunden bereit sind, auf einen Leon zu warten", sagt Technik-Vorstand Matthias Rabe: "Die verkauften Autos sind auch sehr hochwertig ausgestattet, so ist beispielsweise der FR-Anteil deutlich höher als bisher." Österreich gilt (wie Deutschland und die Schweiz) als Vorzeigemarkt für die spanische Marke, die laut Rabe relativ rasch in den boomenden SUV-Markt einsteigen will: "Wir könnten uns vorstellen, dass ein derartiges Auto sehr gut zu Seat passt."

Ziel ist eine deutliche Steigerung des Marktanteils: "In Gesamteuropa liegen wir derzeit bei knapp 3 Prozent: In einzelnen Ländern, wie beispielsweise in Deutschland oder auch Österreich, ist es uns bereits gelungen, diese Marke zu überschreiten: Doch wir müssen diese 3 Prozent erreichen, um am Markt wahrgenommen zu werden und um auch für Händler interessant zu sein."

Bekenntnis zu Deutschland

Gut läuft das Geschäft momentan für Porsche. Vertriebs-und Marketingvorstand Bernhard Maier gibt weiteres Wachstum vor. "Wir sind momentan in 126 Märkten aktiv. Zum Ende der Dekade sollen es 140 sein." Großes Augenmerk will er den "Next Eleven" widmen -also jenen Ländern mit hoher Einwohnerzahl (wie zum Beispiel Südkorea, die Türkei, Mexiko oder Vietnam), in denen noch ein gewisses Absatzpotenzial steckt. Größtes Augenmerk gilt derzeit aber neben den USA auch China, wo im Vorjahr 35.000 bzw. 31.000 Porsche abgesetzt wurden: "Sollte das Wachstum in China so weiter gehen, wird China ab demJahr 2020 50 Prozent des Weltmarktes ausmachen und auch bei Porsche die USA als wichtigster Markt ablösen." Zum Vergleich: In Deutschland verkaufte Porsche im Vorjahr rund 18.000 Einheiten.

Dass der Hersteller außerhalb von Deutschland produziert, gilt jedoch zumindest im Moment als ausgeschlossen. Das Label "Made in Germany, engineered by Porsche" habe nach wie vor einen ausgezeichneten Ruf, sagt Maier: "Und eine Produktion außerhalb Deutschlands rechnet sich auch nicht."

"15 neue Produkte in 3 Jahren"

Bei Nissan freut sich Executive Vice President Andy Palmerüber einen wachsenden Marktanteil in Europa: "Wir werden 15 neue Produkte in den nächsten 3 Jahren bringen und haben dann eine komplett neue Palette." Damit sei Nissan bestens aufgestellt, wenn es mit der Wirtschaft wieder aufwärts gehen werde. Eine Rückkehr zum Mainstream plant Nissan übrigensnicht: "Wir haben vor sechs Jahren eine klare Entscheidung getroffen und dann Produkte wie den Qashqai und den Juke gebracht." Und auch die wieder belebte Marke Datsun sei nicht für Europa gedacht, auch wenn beispielsweise die zweite Konzernmarke Renault mit Dacia gute Geschäfte mache: "Nein, wirverfolgen mit Datsun keine globale Strategie", sagt Palmer: "Wir bieten verschiedene Fahrzeuge für verschiedene Regionen an, beispielsweise für Indien, Indonesien und China. Es sollen leistbare Autos sein."

Höhere Auflagen für Händler

Zurück zur Einschätzung des europäischen Automarktes: "Bis wir wieder das Niveau vor der Krise erreichen, wird es meiner Meinung nach 7 bis 10 Jahre dauern", meint Allan Rushforth, Chief Operating Officer von Hyundai Motors Europe. Der koreanische Hersteller hat sich daher nach dem rasanten Wachstumder vergangenen Jahre vom Plan verabschiedet, 2013 bereits eine halbe Million Fahrzeuge in Europa zu verkaufen. Stattdessen soll der im Vorjahr erzielte Marktanteil von 3,5 Prozent gehalten werden. "Das längerfristige Ziel von 5 Prozent Marktanteil gilt nach wie vor, aber wir haben es von 2015 aufdas Ende des Jahrzehntes verschoben", erklärt Rushforth. Hyundai will das heurige "Jahr der Konsolidierung" dazu nützen, einerseits am Markenimage und andererseits am Händlernetz zu arbeiten. Während es auch in Zukunft 1.600 bis 1.700 Vertriebspartner geben soll, könnten bis zu 40 Prozent dereuropäischen Händler ausgetauscht werden, kündigt Rushforth an. Mit dem österreichischen Netz ist der Europachef zwar überdurchschnittlich zufrieden, doch insgesamt geht der Trend klar in Richtung größerer und möglichst markenexklusiver Partner. "Unsere Händler werden bessere Geschäfte machen, parallel werden unsere Investitionsvorgaben nach oben gehen. Das eine bedingt gewissermaßen das andere", fasst Rushforth zusammen.

Wachstum trotz Krise

Einschließlich von Russland und Osteuropa erwartet Karl Schlicht, Executive Vice President von Toyota Motor Europe, heuer einen weiteren Marktrückgang auf 17,5 Millionen Autos: "Die Verkäufe im Jänner und Februar lagen sogar noch hinter dieser Einschätzung zurück, wir müssen also vorsichtig sein." Derjapanische Konzern strebt dennoch eine Fortsetzung seines kontinuierlichen Wachstumskurses an: Im Verantwortungsgebiet von Schlicht wurden 2010 rund 808.000, im Jahr danach 822.000 und Vorjahr 838.000 Verkäufe erzielt. Heuer sollen es 848.000 bis 850.000 Stück werden.

Toyota setzt dabei nicht zuletzt auf die immer breitere Palette an Hybridfahrzeugen. "Viele Menschen glauben nach wie vor, Hybrid ist eine Nischentechnologie. Bei uns ist Hybrid bereits Mainstream", sagt Schlicht. Beim Yaris würden 45 Prozent und beim Auris sogar 50 Prozent der Kunden ein Hybridmodell bestellen. "Wir könnten noch viel mehr Hybridfahrzeuge verkaufen, wenn wir sie nur produktionsseitig bekommen würden", ist Schlicht überzeugt.

Ein Gewinner der Krise?

"Eine erste Erholung wird es frühestens Ende 2013, Anfang 2014 geben", sagt Benny Oyen, Vice President von Kia Motors Europe, zum europäischen Markt. Freilich wird er von vielen Kollegen beneidet: "Bei einem Markt, der um mehr als 8 Prozent gesunken ist, haben wir 2012 um über 19 Prozent auf 571.000 Stück zugelegt. Wir können uns wirklich nicht beklagen", schmunzelt Oyen. Er hat auch eine Erklärung für das Wachstum der koreanischen Marke parat: "In der Krise sind Design, Qualität und Preis-Leistungs-Verhältnis vielleicht noch mehr gefragt. Von daher passen wir in diese Zeit."

Ähnlich wie die Schwestermarke Hyundai erwartet auch Kia heuer "mehr oder weniger eine Konsolidierungsphase". Modellakzente setzen der dreitürige pro_cee"d und der neue Carens, wobei es Letzterer als Carens "eines von sehr wenigen optisch attraktiven Autos in dieser Klasse" auf jährlich 35.000 bis 40.000 Verkäufe bringen soll. In Summe ist die Modellpalette laut Oyen schon beinahe vollständig: "Ein SUV auf Basis des Rio wäre durchaus interessant. Auch bei den emotionalen Produkten werden wir uns noch etwas umsehen, aber dann sind wir im Grunde komplett."

Keine Förderungen für E-Autos

"Es gibt Anzeichen dafür, dass wir in Europa am Boden angekommen sind und dass es sich ab dem nächsten Jahr verbessern wird", analysiert Dr. Wolfgang Schneider, Vice President Legal, Governmental and Environmental Affairs bei Ford of Europe. Eine rasche Rückkehr auf das vor der Krise übliche Niveau von 17 bis 18 Millionen Stück sei freilich unrealistisch: "Wir sehen das nicht in den nächsten 5 Jahren. Eine langsame Erholung auf 15 bis 16 Millionen Stück ist in diesem Zeitraum aber vorstellbar."

In seiner Funktion beschäftigt sich Schneider intensiv mit den Rahmenbedingungen für die europäische Autobranche. Eine seiner Forderungen ist die Vereinheitlichung der europäischen Kfz-Besteuerung und

der jeweiligen CO 2-Grenzwerte: "Um die unterschiedlichen nationalen Werte zu erreichen, wird derzeit Geld ausgegeben, das im Grunde genommen keinen Mehrwert bringt -weder für den Konsumenten noch für die Umwelt. Eine Vereinheitlichung würde uns helfen, mehr Geld in die CO 2-Reduktion zu stecken, so paradox das klingen mag." Ein klares "Nein" kommt von Schneider übrigens zu langfristigen staatlichen Kaufanreizen für Elektroautos: "Einen künstlichen Bedarf zu schaffen, kann weder im Interesse der Regierungen noch der Autohersteller sein. Wenn die Nachfrage auf Dauer nicht vorhanden ist, handelt es sich ganz einfach um eine falsche Entwicklung."