Ein Werkstattmitarbeiter stößt mit einem Kundenauto einen Kollegen
nieder. Doch wer haftet? Der OGH hat entschieden.
Bei einem Verkehrsunfall haften der Lenker, der Fahrzeughalter und
dessen Haftpflichtversicherung solidarisch (§ 28 KHVG). Es kann somit
jeder einzelne oder auch alle gemeinsam für die Unfallschäden zur
Kasse gebeten werden. Wie sieht das bei einem Unfall einer
Kfz-Werkstätte mit einem Kundenfahrzeug aus? Da ging der Oberste
Gerichtshof Jahrzehnte lang immer von der Haftung der Werkstätte aus.
Seit demUrteil 2Ob192/12t ist das nun anders.
Im Juni 2010 hatte ein Kunde nach einer Havarie seinen VW Golf
Variant in die Werkstätte gebracht. Nach Reparatur der Blechschäden
bekam ein Mitarbeiter den Auftrag, den Wagen in die Lackierbox zu
stellen. Bei der Einfahrt hielt er an, da ihm ein Schlauch im Weg
war, den er erst an die Seite schieben musste. Danach wollte er noch
einen halben Meter nach vorn fahren -und rutschtedabei von der
Kupplung ab. Das Auto machte einen Satz nach vorn und drückte dabei
einen Mitarbeiter gegen die Werkbank. Der wurde am linken Bein
verletzt. Er verlangte von seinem Arbeitskollegen als Lenker, dem
Kunden als Fahrzeughalter und dessen Versicherung ein Schmerzensgeld
von rund 18.000 Euro. Weiters klagte er auf Feststellung, dass diese
drei auch für alle künftigen Unfallfolgen haften.
Ist die Betriebshaftpflicht zuständig?
Der beklagte Kollege wandte ein Mitverschulden des Verletzten ein.
Dieser habe in der Lackierbox gar nichts zu suchen gehabt. Der Kunde
und seine Versicherung wehrten sich mit dem Argument, gar nicht
"passiv legitimiert" zu sein. Mit derÜbergabe des Autos an die
Werkstätte sei diese oder deren Betriebshaftpflicht für diesen Unfall
zuständig.
Das Landesgericht Leoben kam in einem Zwischenurteil zum Ergebnis,
dass alle drei Beklagten dem Grunde nach für die Unfallsfolgen
haften. Der Kunde habe damit rechnen müssen, dass mit seinem Auto am
Firmengelände gefahren werde. Er habe dem zumindest schlüssig
zugestimmt. Für die Werkstätte gab es keine Verpflichtung zur
Verwendung eines "blauen" Kennzeichens. Der Einwand, dass sich der
Kläger gar nicht in der Lackierbox aufhalten durfte und damit gegen
Dienstvorschriften verstoßen habe, sei -wenn überhaupt - nur gegen
den beklagten Kollegen von Relevanz. Dieser akzeptierte das Urteil,
nicht jedoch der Kunde und dessen Versicherung. Mit Erfolg: Das
Oberlandesgericht Graz wies die Klage gegenden Kunden ab. Er sei
nicht "passiv legitimiert". Dessen Haltereigenschaft sei nach
ständiger Judikatur des OGH auf die Werkstätte übergegangen.
Hinsichtlich der beiden anderen Beklagten hob es das Urteil auf und
trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung auf. Zwar habe der
beklagte Mitarbeiter gar keine Berufung erhoben -aufgrund der
gesetzlichen Bestimmungen bilden Lenker, Halter und Versicherer
jedoch eine "einheitliche Streitpartei" - deshalb sind prozessuale
Erfolg der Versicherung auch beim beklagten Lenker zu
berücksichtigen.
"Gebrauch auf eigene Rechnung"
Der Kläger bekämpfte dieses Urteil beim OGH. Schließlich habe sein
Kollege die Haftung am Unfall gar nicht mehr bestritten und daher
keine Berufung erhoben. Die vom OLG verhängte "amtswegige"
Urteilsaufhebung sei daher unzulässig. Das fand auch der OGH. Die
"Dispositionsbefugnis" einer Partei -im konkreten Fall durch Verzicht
des Lenkers auf eine Berufung -habe vor der vom Gesetz angestrebten
einheitlichen Entscheidung für alle drei Haftenden den Vorrang.
Darüber hinaus nahm er die Haltereigenschaft näher unter die Lupe.
Diese sei "primär ein wirtschaftliches und tatsächliches Verhältnis
und weniger ein rechtliches". Neben dem Kriterium der
"Verfügungsgewalt" geht es um den "Gebrauch auf eigene Rechnung". Das
bedeutet, dass man aus dem Gebrauch nicht nur den Nutzen zieht,
sondern auch für die Kosten des Betriebs aufkommt. "Es kommt darauf
an, wer tatsächlich bestimmen kann, wo und für welchen Zweck das
Fahrzeug in Betrieb genommen werden soll."
Bei den bisherigen Entscheidungen hat der OGH den Schwerpunkt auf die
"Verfügungsgewalt" gelegt -die hat zum Reparaturzeitpunkt tatsächlich
die Werkstätte. Der fehle aber -aus heutiger Sicht -das
Hauptkriterium der Haltereigenschaft, "der Gebrauch auf eigene
Rechnung". Abgehend von einer fünfzigjährigen Judikatur kam der Senat
zur Auffassung, dass die "kurzfristige Überlassung des Kfz zur
Reparatur" keine "Haltereigenschaft" begründen kann. Es bleibt somit
während der ganzen Reparaturdauer die Haftung des Halters und seiner
Haftpflichtversicherung aufrecht. Die Haftungsfrage wurde mit diesem
Urteil auf neue Beine gestellt. Das gilt somit auch für Probefahrten
außerhalb des Werksgeländes. Die mit einem eigenen
Versicherungsschutz ausgestatteten "blauen" Nummerntafeln sind dafür
nicht erforderlich.
Für den Kfz-Unternehmer hat dies den Vorteil, dass er sich in Zukunft
nicht mit seiner eigenen Betriebshaftpflicht herumstreiten muss. Es
kann ihm aus einem derartigen Unfall auch kein "schlechter
Schadensverlauf" angelastet werden. Ein "Betriebsunfall" wird damit
zu einem stinknormalen "Verkehrsunfall" degradiert. Was die
Abwicklung derartiger Schäden zweifellos vereinfachen wird. (KNÖ)