Mir geht ordentlich das Geimpfte auf bei so manchem Fernsehbeitrag, Zeitungsartikel oder auch Gespräch, das ich beruflich oder privat führe. Denn noch immer gibt es Leute, die nicht meiner Meinung sind - generell, und im Besonderen, was die Mobilitätswende betrifft.

Zum Glück konnte ich mir im Laufe der Jahrzehnte Bewältigungsstrategien zulegen, die meine Blutgefäße schonen und meine Mitmenschen vor Wutausbrüchen schützen sollen. Denn wie sagt der St. Gallener Professor Wolfgang Jenewein so schön zu den Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt: „Es braucht einen Mutanfall, keinen Wutanfall!“

Der Stoiker Marc Aurel rät mir zum Beispiel in seinen „Selbstbetrachtungen“, dass auch im borniertesten E-Autogegner gute Eigenschaften schlummern, die ich mir in Erinnerung rufen solle. Mach dir den Spaß, so der Imperator, und betrachte die Vorzüge deiner Zeitgenossen! Das klappt gut: Ja, der Taxler textet mich gerade damit zu, dass er kein E-Taxi, sondern lieber auf den Wasserstoff warten will. Grmpf! Aber sein Körpergeruch fällt nicht negativ auf, und er nimmt offenbar keine tariferweiternden Umwege.

Auch der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt hilft mit seinem Aufsatz „On Bullshit“ (deutsch: „Über den Bockmist“). Den Bullshitter - der nicht lügt, sondern Dinge nur verdreht darstellt - interessieren Wahrheit oder Realität nicht, meint Frankfurt – also beispielsweise die Überlegenheit der E-Mobilität in Sachen Energieeffizienz.

„Der Zweifel ist unser Produkt“, heißt es in einem PR-Konzept der Tabakindustrie aus dem vorigen Jahrhundert, sozusagen ein How-To des Bullshitting. „Er ist das beste Mittel, um die Fakten in den Köpfen der Bürger zu entwerten.“ Mit der aus dem Papier folgenden Kampagne wurden über Jahrzehnte erfolgreich Maßnahmen gegen Zigarettenrauch verzögert oder verhindert. Kopiert wurde diese Taktik unter anderem von „Big Oil“, behauptet die Arte-Doku „Klimawandel - Die Macht der Lobbyisten“.

Frankfurt warnt zwar vor Bullshit als „größtem Feind der Wahrheit“, kommt aber auch zum Schluss, dass der Bullshitter eigentlich auf der Suche nach sich selbst ist und dass er sogar künstlerische Züge trägt. Vermutlich hat auch Frankfurt seinen Marc Aurel gelesen.

Ein Gutes hat es überdies, dass die Debatten ja immer in ähnlichen, mittlerweile recht ausgelatschten Pfaden verlaufen und dadurch nicht länger meinen vollen Furor erfordern. Du sagst Kongokobalt, ich sag Nigerdelta. Du sagst Sondermüll, ich sag Saubermacher, du sagst, du musst nach Bosnien, ich sag, drei Ladestopps, wo ist das Problem. Der hohe Anteil an gewerblichen Haltern von E-Autos liegt nicht daran, dass Private Scheu vor der Technologie hätten, sondern offensichtlich am (noch zu) hohen Anschaffungspreis. Wasserstoff in der Mobilität ist Luxus, das haben selbst die Zillertaler mittlerweile eingesehen, jetzt müssen die Wiener Linien nur noch E-Busse finden, die in der Todeszone am Kahlenberg bestehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir jemals alle mit leistbaren E-Fuels herumfahren, ist in etwa so hoch wie die, dass wir Fernwärme vom Merkur beziehen - dem sonnennahen Planeten, nicht dem Supermarkt. Und Ideologie ist als Beweggrund, sich für eine Sache einzusetzen, mindestens genauso akzeptabel wie reines wirtschaftliches Eigeninteresse oder heftige innere Widerstände gegen jeden Wandel.

Jetzt habe ich mich doch ein bissl in eine Aufregung hineingeschrieben, oje. Ganz entgegen Marc Aurels Rat: „Jammer nicht mit anderen und gerate nicht in heftige Erregung!“

Sorry, Imperator. Ich arbeite dran.

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