In Sachsen, zwischen Chemnitz und Zwickau, ist der Autohof Weidensdorf zu finden. Heute Daihatsu-Partner, war das Unternehmen ehemals als Volvo-Händler bekannt -bis zur Kündigung, für welche ein Ausgleichsanspruch von 180.000 Euro eingefordert wurde.

Volvo wehrte sich und wendete ein, dass der schlaue Sachse während der Kündigungsfrist Flottenrabatte kassiert habe, die ihm rechtens gar nicht zugestanden wären. Er habe gewusst, dass die an eine Autovermietung fakturierten Fahrzeuge entgegen der vereinbarten Haltefristen von sechs Monaten vorab weiterverkauft wurden. Dies sei ein fristloser Kündigungsgrund, wenngleich man dem Partner erst nach Vertragsende auf die Schliche gekommen sei. Trotzdem habe er seinen Ausgleichsanspruch verwirkt.

Auf Seiten des Händlers

Die Volvo-Begründung: Nach § 89 des deutschen Handelsgesetzbuches ist -ebenso wie in Österreich -der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters kündigt. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe dem Gekündigten diesen Ausgleichsanspruch bisher auch dann versagt, wenn nach Vertragsende Gründe bekannt wurden, die eine "Fristlose" gerechtfertigt hätten.

Das vom Händler angerufene Landgericht sah dies anders: Diese Rechtsprechung sei mit Artikel 18 der EU-Handelsvertreter-Richtlinie unvereinbar, ein "Nachschieben" von Kündigungsgründen sei nach dem EU-Wortlaut nicht möglich. Daher habe Volvo zu zahlen. Dieser Ansicht hat sich in der Folge auch das Oberlandesgericht angeschlossen: Es müsse "ein wichtiger Grund ursächlich für die Entscheidung des Unternehmers gewesen sein, den Vertrag zu beenden, damit der Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch verliert".

Knurrender Generalanwalt

Dennoch voll Vertrauen auf die frühere Judikatur, wandte sich Volvo zur Abwehr dieser Zahlungspflicht an den BGH, der den Fall im Sommer 2009 zur "Vorabentscheidung" an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiterreichte. Ein Jahr später schien Volvo gute Karten zu haben. Der Generalanwalt Yves Bot plädierte dafür, dem Händlernichts zu zahlen. Nach Artikel 3 der HV-RL habe der Handelsvertreter drei Pflichten zu erfüllen: Er müsse die Weisungen des Unternehmers befolgen, sorgfältig wie ein ordentlicher Kaufmann handeln und sich "nach dem Gebot von Treu und Glauben" verhalten.

Ein Verstoß gegen diese Pflichten habe Sanktionen zur Folge - etwa die fristlose Vertragsauflösung wegen schuldhaften Verhaltens. Damit falle auch der Ausgleichsanspruch weg. "Wer das bestehende Vertrauensverhältnis zerstört, ist nicht mehr schutzwürdig", knurrte Bot. "Insgesamt ergibt sich meines Erachtens aus Artikel 18, dass der Unternehmer den Ausgleichsanspruch grundsätzlich nicht schuldet, wenn sich der Handelsvertreter während des Vertragsverhältnisses eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt." Keinesfalls müsse dies für die Kündigung ursächlich gewesen sein: "Das würde zu einer Ungleichbehandlung jenes Handelsvertreters führen, dem es nicht gelungen ist, sein schuldhaftes Verhalten bis zur Vertragsbeendigung zu verheimlichen." Dies wäre ein "Anreiz zu betrügerischem Verhalten" und würde den Pflichten des Artikel 3 diepraktische Wirksamkeit nehmen.

Klare Worte vom EuGH

Der Gerichtshof schließt sich meist der rechtlichen Beurteilung des Generalanwaltes an. Volvo sah sich schon auf der Siegerstraße und wandte zusätzlich ein, dass der EuGH gar nicht zuständig sei: Die Handelsvertreterrichtlinie gelte ursprünglich nur für Handelsvertreter und nicht für Vertragshändler. Damit falleder Gegenstand des Ausgangsverfahrens gar nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Überdies könne der Ausschluss eines Ausgleichsanspruches "nicht von dem rein zufälligen Kriterium abhängig sein, ob das schuldhafte Verhalten, das eine fristlose Vertragskündigung gerechtfertigt hätte, vorVertragsende entdeckt worden ist oder nicht".

Der EuGH erklärte sich dennoch für zuständig und stellte fest, dass die dem Händler vorgeworfene Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung stattgefunden hat. Er wies darauf hin, dass nach den Buchstaben des Artikels 18 der Ausgleichsanspruch nicht besteht, wennder Unternehmer den Vertrag "wegen" eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet. Dies stütze die auch von der Europäischen Kommission vertretene These, dass der in der Richtlinie vorgesehene Ausgleich nur versagt werden kann, wenn "zwischen dem schuldhaften Verhalten und der Entscheidung, den Vertrag zu beenden, ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht." Diese Auslegung entspricht auch der spanischen, englischen, französischen, italienischen und polnischen Sprachfassung der Richtlinie.

Nationale Richter am Zug

"Erfährt der Unternehmer erst nach Vertragsende von dem schuldhaften Verhalten, ist es daher nicht mehr möglich, die in Artikel 18 der Richtlinie vorgesehene Regelung anzuwenden", darf der BGH dem Autohof Weidensdorf entgegen seiner bisherigen Judikatur den Ausgleichsanspruch nicht versagen. Für Volvo hat der EuGH dennoch einen Trost: "Es ist nicht auszuschließen, dass das Verhalten des Handelsvertreters im Rahmen der Prüfung der Billigkeit berücksichtigt werden kann". Es liegt somit an den nationalen Gerichten, ob und in welchem Ausmaß ein Verschulden des Vertragshändlers während der Kündigungsfrist von Relevanz ist oder nicht.