Online-Handel und deutsche Großhändler bedrohen das Geschäft der
Reifenbetriebe. Die sehen sich mehr und mehr gezwungen, zur freien
Werkstatt für den Zweitbesitzer zu werden. Selbstbewusstsein "hinter
der Budl" und Serviceorientierung werden zu Überlebensfragen.
A&W: Wie hat sich das Geschäft generell und in Ihrem Betrieb konkret
in den vergangenen 5 Jahren entwickelt bzw. verändert?
Wilfried Fleischmann: Das Wiederverkäufergeschäft wird von deutscher
Seite immer brutaler, die Preisstellung ist nicht nachvollziehbar und
trotz halbherziger Unterstützung der Industrie ist es bei vielen
Markenreifen-Größen nicht möglich, den Warenfluss aus Deutschland zu
reduzieren. Die deutschen Großhändler können sich daher einen immer
größeren Anteil am B2B-Geschäft sichern.
Für uns und manche Kollegen hat sich die Strategie geändert:
Einerseits haben sich durch den Wegfall österreichischer Mitanbieter
ein paar Nischen aufgetan. Andererseits hat man die Chance einer
Ausweitung der Lieferungen nur mit Sonder-oder OE-Artikeln, da diese
regional oft binnen Stunden benötigt werden. Heute sind nicht
Volumen-,sondern Spezialartikel gesucht. Dabei haben wir Autohäuser
als Kunden, mit Nischen vom Bentley-bis zum Klassik-Reifen, die man
verfügbar haben muss. Der Endverbraucher hat heute einen sehr hohen
Wissenstand über Produkt, Preis, Marke und Testergebnisse und kommt
sehr oft bereits mit Modell-und Preisvorstellungen ins Geschäft. Man
muss auch damit umgehen, dass Endverbraucher mit direkt aus dem
Ausland bezogenen Reifen zu uns kommen. Gegen entsprechendes Entgelt,
das natürlich höher ist als bei einem Reifenkauf, montieren wir den
Reifen und klären den Kunden über unsere Preise, unsere
Dienstleistungen und das Garantierisiko auf.
Thomas Hammerschmid, Reifen John: Schon seit mehreren Jahren ist das
Geschäft gekennzeichnet von einem sich auf große Distributoren
verlagernden Großhandelsgeschäft mit Rückgang des lokalen Großhandels
sowie stagnierenden Verkaufszahlen und steigendem Preisdruck im
Ersatzreifengeschäft bei Endverbrauchern (Privatkunden und
Gewerbekunden).
Uwe Weisser, Profi Reifen: Durch die Einführung und das bei Profi
etablierte Autoservice konnten neue Kundengruppen erreicht und an
unser Unternehmen gebunden werden. Einhergehend konnte damit dem
weiteren Margenverfall im Bereich Reifen entgegengewirkt werden. Die
Einführung von RDKS hat uns bei der Positionierung als
Reifenfachhändlermit technischer Kompetenz zusätzlich unterstützt.
Der Aus-und Weiterbildungsbedarf in neue Technologien und IT wächst
enorm und erfordert entsprechendes Investment in "Mensch und
Maschine".
James Tennant, Alpine Reifenhandel GmbH: Grundsätzlich verändert sich
die Reifenbranche seit jeher, das wird auch weiterhin so bleiben. Wo
die Zukunft hinführt ist ungewiss, es spielen hier viele volatile
Faktoren mit. In den vergangen 5 Jahren hat sich das Geschäft jedoch
gewaltig verändert: B2B-Plattformen haben unseren B-Handel schrumpfen
lassen; der Kampf um den besten Einkaufspreis wurde meines Erachtens
zwar jährlich sehr intensiv bestritten, der Blick auf die Erträge
aber eher zweitrangig behandelt. Auch wenn wir noch zu denen gehören,
die versuchen, am Produkt Reifen Geld zu verdienen: Es ist schwierig,
einem Kunden den -ihm unlogisch erscheinenden -Preisunterschied zu
anderen ( Online-)Händlern zu erklären. Also muss man sich
selbstbewusst hinter "die Budl" stellen, sich über den Service und
damit verbundene Möglichkeiten neu definieren und somit die
Konsumenten zu Stammkunden machen, denen Service wichtiger istals
der Preis. Wir haben in Dienstleistungsangebote (z. B. Kfz-Service,
§-57a-Überprüfung) investiert und bieten Kunden ein Kompetenzzentrum
rund ums Auto und ums Zweirad. Im Herzen bin ich Reifenfachmann
geblieben, allerdings halte ich mich an ein altes Sprichwort: Wer
nicht mit der Zeit geht -geht mit der Zeit! Überraschenderweise
konnten wir trotzdem unsere Verkaufszahlen für Pkw-und Motorradreifen
steigern. Mit welcher Strategie begegnen Sie den Herausforderungen
der Zukunft: Stärkung des Kerngeschäfts, gesamte Breite des
Reifengeschäfts mit Lkws, Industrie und Agrar, Konzentrationauf
Wiederverkauf oder Endkunden, Autoservice, Online-Verkauf, ?
Fleischmann: Der Verkauf von Reifen ist abhängig von der Region,
Nachfrage, Lage und Betriebsgröße. Bei einem kleinen Betrieb in der
Stadt machen Lkw-oder Agrarreifen keinen Sinn, am Land schon. Je nach
Kunden, Mitarbeitern und Möglichkeiten des Betriebes muss man sich
fragen: Was kann ich machen?
Jedes Autohaus verkauft oder bietet Winterreifen gleich beim
Neuwagenkauf mit an, das Geschäft entgeht dem Reifenfachhandel. Als
Kompensation bieten die Reifenbetriebe Kfz-Service an. Ohne
Autoservice gibt es fast keine Chance. Etwas überspitzt: Der
Erstbesitzer ist nur Kunde im Autohaus, der zweite nur beim
Reifenhändler.
Weisser: Wir investieren sehr stark in unsere Wachstumsfelder:
Autoservice und mobiler Service für Lkws und Industrie. Weiters
intensivieren wir die Aktivitäten im gesamten Bereich des E-Business
(B2B-und B2C-Shops, Online-Terminreservierungen etc.). Den
Anforderungen durch die Digitalisierung werden wir mit unserer
"digitalen Filiale" gerecht. Alle Filialen und Werkstätten wurden
bereits mit WLAN ausgestattet, womit eine Vernetzung aller
Arbeitsplätze mit den technischen Geräten, wie z. B. Diagnosegeräten,
und der IT, gewährleistet ist. Mit unserem neuen Franchise-Konzept
geben wir zukünftigen Partnern die Möglichkeit, von diesen
umfangreichen Systemen zu profitieren. Tennant:Der wichtigste Faktor
für Wachstum oder auch Bestandserhaltung ist der Mitarbeiter im Team.
Mitarbeiter gleich mal zu entlassen, um Geld zu sparen, widerspricht
meiner Natur. Mitarbeiter müssen motiviert und geschult werden. Ein
offenes Ohr zu haben und auf Mitarbeiter -egal in welcher Position -zu hören, kann viele, oft auch positive Überraschungen mit sich
bringen. Transparenz hilft, dass jeder im Team sich seiner Position
und Verantwortung bewusst ist, aber auch weiß, was der andere im
Unternehmen leistet. Ich begrüße die Motivation, etwas bewegen zu
wollen, neue Geschäftsfelder zuerschließen oder vielleicht auch
einfach gezielt Spezialgebiete herauszuarbeiten. In unserer Branche
wird nie wieder ein leichter Euro zu verdienen sein! Wem das nicht
bewusst ist, der belügt sich selbst.
Hammerschmid: Durch Konzentration auf das lokale Großhandelsgeschäft
mit persönlicher Betreuung, besserem Service und guter Verfügbarkeit
sowie verstärktem Kfz-Dienstleistungsgeschäft in den Kundensegmenten
Privat und Gewerbe. Darüber hinaus war und ist Reifen John ein
Vollsortimentanbieter mit hoher Kompetenz in allen Produktsegmenten.
Ist die Zusammenarbeit mit der Industrie nach den großen Insolvenzen
schwieriger geworden?
Fleischmann: Ja! Die Industrie versucht, die entgangenen Erträge bei
uns zu kompensieren. Die Konzerne verschärfen die Kreditlinien und
kalkulieren fetter. Gleichzeitig erfolgt eine Reduktion der
Eigenständigkeit der nationalen Vertriebsorganisationen. Die Betreuer
werden einfach wegrationalisiert. Die Konzerne sind offenbar der
Meinung: Weniger große Händler bedeuten weniger Betreuer.
Tennant: War die Zusammenarbeit mit den Industrien in den letzten 5
Jahren einfach? Ich denke nicht! Es ist jetzt klar, dass
Fehlentscheidungen nach zwei gravierenden Insolvenzen geahndet werden
müssen, klar, dass neue Regeln aufgestellt werden, klar, dass es
nicht einfacher wird. Aber das ist der Lauf der Zeit. Ich arbeite mit
den Industrien zusammen, die verstanden haben, dass ein Unternehmen
meiner Größe durchaus gesunde Möglichkeiten hat zu wachsen. Ich
arbeite mit Industrien, die ihre eigenen Kompetenzen kennen und auch
ausbauen können. Zentralisierung schön und gut, Gewinnmaximierung
schön und gut -letztendlich verstehen viele, die diese Schritte
vorantreiben nicht, dass sie am eigenen Ast sägen Paul Flora hat das
"die Weitergabe der Dummheit" genannt - ohne provozieren oder
beleidigen zu wollen. Ich selbst bin erst seit 18 Jahren im
Reifengeschäft und erkenne ab und zu wiederkehrende Strategien, mein
Vater lächelt dann nur und sagt: History repeating! Egal wie
schwierig die Zusammenarbeit mit den Industrien ist - es sind noch
genug da draußen, die mit Handschlagqualität arbeiten -das gefällt
mir.
Hammerschmid: Natürlich haben sich die Insolvenzen ausgewirkt. Die
Bonitätseinschätzung des Reifenhandels hat sich noch einmal
verschlechtert, was sich speziell bei Lieferanten mit
Kreditversicherung negativ auswirkt. Dennoch können nach wie vor
gangbare Wege im gemeinsamen Interesse gefunden werden.
Weisser: Nein. Wir arbeiten weiterhin unverändert vertrauensvoll mit
allen Industrien zusammen. (GEW/KAT)