Mit der Gruppenfreistellungsverordnung 1400/2002 wurden für den Kfz-Fahrzeughandel und das Werkstattgeschäft branchenspezifische Regelungen zum Schutz vor Wettbewerbsbeschränkungen in Vertriebsverträgen etabliert. Herstellerseitig war der Aufschrei groß, es wurde vor einem "regulatorischen Zwangsjackeneffekt für den Automobilvertrieb" gewarnt und die Befürchtung genährt, dass der Wettbewerbsschutz mit der Neuausrichtung der Händlerschutzbestimmungen deutlich ins Hintertreffen geraten würde.

Das Lobbying, das schließlich die GVO 1400/2002 zu Fall brachte, begann bereits deutlich vor Erstellung des seit 1995 vorgesehenen Bewertungsberichtes der Europäischen Kommission, der sodann auch das wenig überraschende Ergebnis lieferte, dass die Händlerschutzbestimmungen der damaligen Gruppenfreistellungsverordnung übermäßig streng, kompliziert und redundant gewesen sein sollen.

Schirm-GVO als ausreichend erkannt

Zur Neuregelung des Kfz-Vertriebssektors wurde daher dessen Unterstellung unter die Bestimmungen der allgemeinen Vertikal-GVO (EU) 330/2010 ("Schirm-GVO") als völlig ausreichend erkannt, die für den Neuwagenmarkt nach einer Übergangsfrist seit 1. Juni 2013 gilt.

Verschwinden der KMU beschleunigt

Im Lichte der jüngsten Entwicklungen drängt sich ein kritischer Blick auf die vergangenen 5 Jahre auf und es darf die Frage gestellt werden, ob es dem Kfz-Handel seit dem Wegfall der GVO 1400/2002 wirklich besser geht. Von Herstellerseite wurde damals beispielsweise kritisiert, dass eine Übertragung eines Betriebes an einen anderen Händler im Vertriebsnetz des Herstellers auch ohne dessen Zustimmung zulässig war. Dies habe das Verschwinden der KMU beschleunigt und das Wachstum größerer Gruppen gefördert, die in manchen Regionen monopolartige Stellung erreicht hätten. Angesichts dieser damals von denHerstellern geäußerten Bedenken überrascht die in den vergangenen Jahren gelebte Praxis, die Vertriebsstandards deutlich durch einseitige Vorgaben zu erhöhen, was gerade die KMU oft vor finanziell nicht überwindbare Hürden stellt und lediglich das Überleben der größeren Händler sicherstellt. Es ist im Besonderen diese von den Herstellern bewusst betriebene Ausdünnung des Marktes, mit der sich die Importeure ein marktmächtigeres Gegenüber heranzüchten. Eine Ausgangslage, die weder der Händlerschaft noch dem Importeur etwas bringt, dennoch ist sie rechtlich seit dem Wegfall der Händlerschutzbestimmungen mit 1.6.2013 gedeckt.

Das traurige Lied des Verhaltenskodex

Entgegen den Regelungen in der GVO 1400/2002 müssen Vertragskündigungen nunmehr auch nicht mehr begründet werden, jedoch hat die Kommission ihre Hoffnung auf eine freiwillige Selbstbindung der Automobilindustrie gesetzt, als sie den Herstellern in ihren Kfz-Leitlinien nahegelegt hat, einen Verhaltenskodex zum Gegenstand ihrer Vertriebsverträge und diesen öffentlich zugänglich zu machen. Der European Council for Motor Trades and Repairs (CECRA) kann ein trauriges Lied davon singen, wie sehr diese Hoffnung enttäuscht wurde. Selbst wo ein freiwilliger Verhaltenskodex etabliert worden ist, hat dessen ungenügende Umsetzung keinerlei Schlechterstellung des Herstellers zur Folge, denn die Beweislast einer unzulässigen Schikanekündigung trifft weiterhin den gekündigten Händler.

Auch wenn ein Händler die qualitativen Selektionskriterien eines Herstellers erfüllt, kann dieser nach den Bestimmungen der Vertikal-GVO nicht mehr zu einem Vertragsabschluss gezwungen werden. In den diesbezüglichen gerichtlichen Auseinandersetzungen weichen betroffene Händler daher immer öfter auf nationaleGerichte und dabei insbesondere auf das Kartellgericht aus, was zumindest aktuell regelmäßige Erfolge auf Händlerseite einträgt.

Zulässigkeit eines Mehrmarkenbetriebes

Das in den nächsten Monaten sicher heißeste Eisen ist die Frage nach der Zulässigkeit der Betreibung eines Mehrmarkenbetriebes. GVO 1400/2002 bestimmte, dass Hersteller ihren Vertragshändlern stets Mehrmarkenbetriebe unter bestimmten Auflagen gestatten mussten. Böse Zungen behaupten, die Hersteller haben auf diese Regelung mit einem deutlichen Anheben der Standards reagiert, was bei den betroffenen Händlern zu einer Betriebskostensteigerung bis zu 20 Prozent geführt hat. Das Mehrmarkengeschäft wurde daher auch für die Händler unattraktiv gemacht, weshalb die Kommission nach Evaluierung dieser Umstände zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es kein wirtschaftliches Interesse der Branche an einem Verbot von Markenexklusivität gibt.

5 Jahre Markenzwang

Gemäß Artikel 5 der Vertikal-GVO kann der Hersteller daher seit Juli 2013 für maximal 5 Jahre von seinen Vertragshändlern verlangen, dass diese nur seine Marke anbieten. Sollte dieser Markenzwang Teil eines durchaus branchenüblichen Händlervertrages mit unbegrenzter Laufzeit sein, endet diese Klausel automatisch nach 5 Jahren. Wenn sich die Vertragsparteien im Zuge neuer Vertragsverhandlungen jedoch darauf einigen, das Wettbewerbsverbot für weitere 5 Jahre zu vereinbaren, so wird dies als zulässig angesehen.

Jeder, der lange genug im Kfz-Geschäft tätig ist, weiß, auf welch schiefer Ebene derartige Vertragsverhandlungen regelmäßig ablaufen. Gerade im Automobilvertrieb steht der Händler unter massivem wirtschaftlichem Druck, dass sein bisher bestehender Händlervertrag verlängert wird.

Während bei anderen Gütern die Wechselkosten zumeist überschaubar und daher weitestgehend unerheblich sind, haben sich die hohen markenspezifischen Investitionen im Kfz-Handel oftmals erst nach geraumer Zeit amortisiert, sodass ein Markenwechsel aus wirtschaftlicher Sicht kaum zumutbar ist. VieleHändler verlängern daher "freiwillig" das Mehrmarkenverbot, bevor sie ihren Händlervertrag verlieren.

Ein Schelm, wer Böses denkt

Die Leitlinien zur Vertikal-GVO legen in diesem Fall unzweifelhaft fest, dass nichts den Händler daran hindern darf, das Wettbewerbsverbot eines Mehrmarkenbetriebes nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums tatsächlich zu beenden.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn kurz vor Ablauf dieser Fünfjahresfrist rundum sämtliche Hersteller beginnen, ihre gesamten Vertragshändler unter der Zusage zu kündigen, dass es ohnehin für jeden Händler einen neuen Vertrag geben wird.