Die Reifenbranche ist wie jede andere Branche und steht im Spannungsfeld zwischen Qualität und Preis", weiß Mag. Bernhard Reiter, Managing Partner von Iceberg Management und Spezialist für die Reifenbranche. Seit das Angebot die Nachfrage so deutlich übersteigt wie in den vergangenen Jahren, steht der Preis natürlich im Vordergrund. "Bis jetzt wurde nur das Produkt verkauft, jetztgeht es darum, den Kundennutzen zu erfüllen", so Reiter.

Das klingt sehr wissenschaftlich, ist aber tatsächlich das Dilemma der Reifenbranche. Nur das Produkt, also den Reifen, kann der Kunde heute auf unzähligen Plattformen günstiger kaufen als beim Reifenfachhandel. Das gilt übrigens für den Großhandel genauso wie für den Einzelhandel. "Die Frage ist, was ich für den Kunden tun kann", so Reiter: "Welchen Nutzen bringe ich ihm, für den er bereit ist mehr zu zahlen, als den besten Preis. Und diese Frage muss sehr individuell beantwortet werden, egal ob es sich beim Kunden um einen Endkunden oder einen Wiederverkäufer handelt.

Montage schützt vor Beratungsdiebstahl

Zweifelsohne ist es so, dass der Preis, den der Kunde bereit ist zu bezahlen, durch die Internettransparenz geringer geworden ist. Entscheidend ist jedoch: Wie viel ist der Kunde bereit mehr zu zahlen als bei einer Bestellung im Internet?"Wir sind in einer Branche, wo Service und Knowhow gefragt sind", ist Wilfried Fleischmann, Inhaber des gleichnamigen Reifenfachbetriebes in Klosterneuburgüberzeugt. "Im Gegensatz zu anderen Bereichen wie etwa Elektronik oder Sportartikel, wo sich die potenziellen Kunden in den Geschäften beraten lassen und danach irgendwo online bestellen, braucht es im Reifengeschäft auch noch die Montage."

Auch VRÖ-Obmann James Tennant weiß: "Natürlich ist der Preis immer ein Thema, aber das richtige Service bekommt der Kunde nur vor Ort, nicht im Internet." Bleibt bei den harten Verhandlern noch immer eine Differenz zum Internet, gibt Tennant eine klare Antwort: "Wir wollen Sie mit unserem Service überzeugen." Mindestens 8 von 10 Kunden lassen sich in seinem Betrieb davon überzeugen. Beratung, Betreuung, Kompetenz: "Der Kunde ist durchaus bereit, etwas mehr zu bezahlen", erkennt Tennant.

Beratung oder Rabatt

Welcher Kunde ist zufriedener? Jener, der den billigsten Preis, den er im Internet gefunden hat, auch beim Reifenhändler bekommt? Oder jener, dem mit guter Beratung ein anderes, vielleicht teureres Produkt angeboten wurde, das tatsächlich seine Anforderungen erfüllt?"Der Kunde, der gut beraten wurde, ist langfristig zufriedener als der Preiskäufer", ist Michelin-Österreich-Geschäftsführer Philipp Ostbomküberzeugt. Und er ist loyaler.

Jeder braucht etwas dazu

"Der Punkt ist ganz einfach, dass wir zu wenig am Produkt verdienen", analysiert Tennant. Der Service und die Dienstleistung müssen wieder etwas Wert sein. "Das Reifengeschäft allein ist heute nirgends profitabel", konkretisiert Reiter. "Jeder braucht etwas dazu." In vielen Fällen ist das heute das Kfz-Geschäft. Ein schwieriges Pflaster: Neben den Marken-Autohäusern, Schnellreparaturketten, einer wachsenden Zahl an freien Werkstätten und den rechtlich oft im Graubereich arbeitenden Servicestationen tummeln sich hier nun auch Karosserie- und Reifenfachbetriebe.

Dabei hat der Reifenfachhandel einen Vorteil, der gleichzeitig auch sein größter Nachteil ist: Die Kunden kommen ohnehin zweimal im Jahr in den Betrieb, um ihre Reifen zu wechseln, da würden sie auch gerne Bremsen, Pickerl und Service machen lassen. Aber gerade zu dem Zeitpunkt haben die Reifenbetriebe am wenigsten Kapazität, da soll der Kunde nach zehn Minuten wiederdraußen sein. Muss er für die Kfz-Technik-Leistung ein weiteres Mal kommen, wird es schon wieder deutlich schwieriger. Also muss die Terminplanung perfektioniert, die Termintreue der Kunden mit Anreizsystemen verbessert und generell die Saison entzerrt werden. Eine Forderung, die fast so alt ist wie der Reifenwechsel, aber speziell im Hinblick auf RDKS wird das Thema Zeit noch deutlich bedeutender.

Service im Mittelpunkt

"Wir müssen wieder stolz sein auf unser Service", ist Tennant überzeugt. Denn hier wird sich in den nächsten Jahren die Spreu vom Weizen trennen. Nur wer dem Kunden wirklich einen Nutzen über das Produkt hinaus bringt, wird reüssieren.

Die Entwicklung spricht dabei sogar für die Spezialisten. Neben der Vielfalt der Gummis und den immer differenzierteren Anforderungen, wird die Sensorik in den Reifen Einzug halten. RDKS war nur der Anfang, in Richtung autonomes Fahren muss der Reifen über Fahrbahnbelag und Straßenzustand informieren. "Je spezialisierter die Dienstleistung, umso einfacher wird es, wieder Geld zu verdienen", weiß Tennant.