Man muss sich einmal vorstellen, dass unsere Straßenverkehrsordnung
(STVO) 1960 entstanden ist. Die Art, wie damals der Straßenverkehr
-oder was man als solches bezeichnete -ablief, hat mit heutigen
Verhältnissen nichts mehr zu tun.
Es drängt sich die Frage auf, ob
der Verkehrsablauf heutigen Ausmaßes wegen oder trotz der STVO
eigentlich dochganz gut funktioniert. Jedenfalls steht zum 23. Mal
eine Novellierung vor der Tür, die Begutachtungsfrist ist zu Ende.
Die wirklichen Probleme werden auch mit dieser Novelle nicht gelöst.
Diese liegen in unvollständigen technischen Bestimmungen, die zu
einer Flut von Parallelnormen geführt haben und Scharen von Juristen
und Amtssachverständigen darüber rätseln lassen, was an technischer
Straßenausrüstung verboten ist, sein darf oder sein muss. Normen
haben keinen gesetzlich verbindlichen Charakter und sind dem
Normalbürger schwer zugänglich.
Viele gar nicht kleine Risiken schlummern in technisch falsch
ausgestatteter Straßeninfrastruktur. Wer schützt uns vor gefährlichen
Leitschienen, die ganze Fahrzeuge durchbohren? Oder vor nicht
vorhandener Straßenbeleuchtung, die Menschen zu Tode kommen lässt?
Das wäre auch eine der zentralen Aufgaben der STVO, doch werden die
dafür bestehenden juristischen Möglichkeitennicht ausgenützt.
Stattdessen wird versucht,über kleine Änderungen mit allgemeiner
Akzeptanz politische Anerkennung zu bekommen. Wer sollte schon
dagegen sein, Kinder unter 10 Jahren mit Radhelmen auszurüsten? Wie
diese Helme technisch auszustatten wären, gar eine
Genehmigungspflicht ist nicht vorgesehen. Hinzu kommt, dass Kinder in
diesem Alter meist gar nicht im öffentlichen Verkehr unterwegs sind.
Radverkehr ist jung, dynamisch und modern. Radverkehr ist
umweltfreundlich, Radverkehr ist in. Was liegt näher, als endlich
eigene Radverkehrsstraßen (ähnlich Fußgängerzonen) und -besonders
wichtig -neue Verkehrszeichen zu schaffen? Radverkehrsstraßen haben
den bedeutenden Vorteil, dass Ausnahmegenehmigungen für das Befahren
und Begehen durch andere Verkehrsteilnehmer die Not leidende
Bürokratieunterstützen werden. Es gibt nun Radfahrstraßen und
Radwege mit und ohne Benützungspflicht, dazu kommen kombinierte
Geh-und Radwege, Radfahrstreifen, Mehrzweckfahrstreifen und
Radfahrerüberfahrten sowie besondere Ausnahmebestimmungen für
Rennräder, Fahrradanhänger und so weiter. Viele der Ideen mögen
touristische Motive zugrunde liegen haben. Fragt sich nur, ob
ausländische Touristen die Bedeutung der Zeichen und Markierungen
überhaupt erahnen können.
Auch für andere Verkehrsteilnehmer wird Bedeutendes geschehen: So
wird es möglich sein, mittels gelber Markierung am Straßenrand
Halte-und Parkverbote anzuzeigen. Wie weit damit die Kreativität von
Privatpersonen zur Schaffung eigener Parkmöglichkeiten (Pinsel und
Farbe sind schnell zur Hand) angeregt wird, lässt sich schwer
vorhersagen. Wenigstens aber sollen damit Verkehrszeichen eingespart
werden.
Weitere Pinselaktionen gelten Motorradfahrern. Mit einer doppelten
Haltelinie sollen Zonen geschaffen werden, wo sich bei Rot an
Kreuzungen nach vorn fahrende Biker vor den anderen aufstellen
können. Der Trick an der Sache ist, dass dies nicht für Mopeds und
Radfahrer gilt, die könnten nämlich andere aufhalten. Dummerweise
machen Moped-und Radfahrer die Masse des Zweiradverkehrs in
Ortsgebieten aus.
Ob und wie sich die in Aussicht genommene Verschärfung der
Genehmigungspflicht für Werbungen (bisher meist vereinfachtes
Prüfungsverfahren) auf oder neben der Straße auswirken wird, bleibt
abzuwarten. Der Bürokratie schaden wird sie keinesfalls.
Wie gut es die Politiker, die für dieses Gesetz verantwortlich sind,
mit uns meinen, zeigt die zentrale Eingangsbestimmung der geplanten
Novelle. Sie besagt, dass die Teilnahme am Straßenverkehr ständige
Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme erfordert. Für uns als
Normunterworfene(= gemeines Volk) wird ein gehöriges Maßan
Rücksichtnahme notwendig sein -Rücksichtnahme auf die bürokratische
Lethargie, mit der eine völlig veraltete Gesetzesmaterie weiterhin
gehandhabt wird.
P.S.: Der Schreiber dieser Zeilen ist seit seiner Jugend begeisterter
Rad-und Motorradfahrer.