Jeder hat schon vom "Zurückdrehen" des Kilometerzählers gehört. Doch kaum einer weiß, welche Dimensionen diese kriminelle Praxis in den vergangenen Jahren angenommen hat: Allein den europäischen Konsumenten entsteht dadurch ein Schaden von 5 bis 10 Milliarden Euro pro Jahr, so das Ergebnis einer kürzlich durchgeführten belgischen Studie. Die Verluste für ehrliche Autohändler, die ihrerseits geprellt werden, sind in dieser Schätzung noch gar nicht berücksichtigt.

Langsam wird die Exekutive aktiv: Im vergangenen Jahr wurde mit einem europaweiten Großeinsatz ein internationales Netz von Tachobetrügern aufgedeckt. Mehr als 500 Polizisten, Staatsanwälte und Steuerfahnder durchsuchten in Deutschland, Österreich, Bulgarien und der Schweiz 150 Privathaushalte und Unternehmen. Über 230 Fahrzeuge wurden beschlagnahmt und 26 Personen -mehrheitlichAutohändler -verhaftet. Den Verdächtigten wirft man Betrug und Fälschung von Fahrzeugpapieren zum gewinnbringenden Verkauf von Fahrzeugen vor.

Professionelle Tacho-Mafia

Diese Aktion gegen die Tacho-Mafia zeigte nur die Spitze des Eisberges. Die Betrüger waren technisch versiert und verfügten über das notwendige Knowhow und die erforderliche Ausrüstung. Im Durchschnitt entspricht der Betrug pro Fahrzeug einem Wert von 3.000 Euro. Da in Deutschland mehr als sechs Millionen Fahrzeuge jedes Jahr den Besitzer wechseln, dürfte allein in Deutschland nach Polizei-Schätzung der Schaden bei 5,4 Milliarden Euro liegen.

Die Zeit, als jeder Bastler mit der Bohrmaschine einen analogen Tacho "zurückspulen" konnte, ist längst vorbei. Heute erledigen Mikrochips die Sammlung der anfallenden Kfz-Betriebsdaten. Diese werden in verschiedenen internen Speichern (Schlüssel, Motorsteuergerät, ABS, Getriebesteuergerät, Lichtkontrollmodul etc.) - so auch im digitalen Tachometer -abgelegt. "Die flashen alle Speicherorte", verwies der Messtechnik-Spezialist Stefan Israel bei der Tagung der Kfz-Sachverständigen in Bad Hofgastein auf die Schwierigkeit der Kfz-Hersteller, dagegen entsprechende Abwehrwerkzeuge zu entwickeln: "Wir sind den Betrügern immer hinterher." Israel hofft jedoch, dass sich die Lage dank neuer Programmierungen und Updates künftig bessern werde.

Vorbereitung per Internet

Das für den Tachobetrug erforderliche "Werkzeug" lässt sich einfach per Internet bestellen. Unter "tacho repair tools" findet man dazu eine breite Palette an Geräten. Die Bedienungsanleitung wird per Youtube gleich als Video mitgeliefert. Mit einfachen Geräten um 50 US-Dollar und ganzen "Reparaturkits" um 1.500 Dollar kann sich jeder jede gewünschte Kilometerzahl binnen einer Minute selbst auf den Tacho zaubern. Der damit verbundene Eingriff in die sensible Elektronik und Programme der Fahrzeuge hat jedoch möglicherweise fatale Konsequenzen. "Im schlimmsten Fall kann das ABS oder das ESP komplett ausfallen", warnt Israel.

Kaum nachweisbar

In der Praxis lässt sich der Tachobetrug extrem schwer beweisen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der ÖAMTC-Rechtsabteilung derzeit keine laufenden Verfahren bekannt sind. Auch die ÖAMTC-Techniker müssen sich beim Ankaufstest auf die am Tacho aufscheinende Kilometerzahl verlassen. "Bei 90 Prozent allerAutos lässt sich eine derartige Manipulation in den Fachwerkstätten nicht feststellen", verweist ÖAMTC-Techniker Ing. Steffan Kerbl auf einen Test, der gemeinsam mit dem ADAC vor zwei Jahren durchgeführt wurde. Dementsprechend gehen auch die ÖAMTC-Juristen beim Rückspulen des Tachos von einersehr hohen Dunkelzahl aus.

Verlockender "Verdienst"

Lukrativ ist der Betrug bei Jungwagen, die bereits eine hohe Kilometerzahl am Buckel haben. Ein Beispiel: Nach Eurotax wird ein Pkwüber 120 kW/163 PS im Durchschnitt monatlich 1.600 Kilometer bewegt. Er darf am Jahresende daher nur 19.200 Kilometer am Tacho haben. Darunter gibt es für jeden Minderkilometer Abschläge, darüber einen Zuschlag von 0,4 Prozent vom Neupreis für jeden Tausender mehr. Bei einem Neuwagenpreis von 40.000 Euro und 30.000 kaum nachweisbaren "verschwundenen" Kilometern lassen sich beim Verkauf ohne viel Aufwand 4.800 Euro lukrieren.

Diese Milchmädchenrechnung gilt natürlich auch für Leasing-Rückläufer. Für diese müssen ehrliche Vielfahrer brav ihre Zuschläge zahlen. Weniger Ehrliche können sich das mit einer Tacho-Korrektur ersparen. Danach wandern die oft drei bis fünf Jahre alten Autos zu -mehr oder minder ehrlichen -Aufkäufern. Im Fall der deutschen Ermittlungen sollen die Betrüger damit 3 Millionen Euro verdient haben.

Aufzeichnung beim Werkstattbesuch?

Angesichts der vielen verlockenden "Verdienstchancen" für Kriminelle wird nun auch die EU-Kommission aktiv. Sie überlegt, nach belgischem Vorbild die Erfassung des Kilometerstands bei jedem Werkstattaufenthalt vorzuschreiben. Kfz-Gewerbevertreter wie Jaap Timmer, Präsident der "European Car Dealers", begrüßen diese Schritte -gleichzeitig warnen sieaber davor, die Händler mit bürokratischen Maßnahmen zu überlasten, die schlussendlich doch keine Wirkung zeitigen könnten.

Vorsicht beim Ankauf

Bis die Gesetzgeber neue Mittel und Wege zur Kriminalitätsbekämpfung finden, sind Kunden und ehrliche Händler auf den eigenen Hausverstand angewiesen. "Der Kilometerstand ist nur eines von vielen Kriterien", kommt es beispielsweise für Kerbl beim Ankauftest vor allem auf den technischen Zustand und den Verschleiß der Fahrzeugkomponenten an. Das gilt vor allem bei älteren Modellen, bei denen die bisherige Pflege (und das Serviceheft) über die Reparaturanfälligkeit mehr aussagen als der Tachostand. So ist es etwa sinnvoll, diesen mit den Angaben in älteren §-57a-Zertifikaten zu vergleichen. Maßnahmen, die jeder Autohändler beim Fahrzeugeintausch oder Gebrauchtwagenzukauf berücksichtigen sollte: Sonst verliert er durch Gewährleistungsansprüche jenes Geld, das er zuvor beim Verkauf verdient hat.

Der Tacho-Spion

Mit seiner Erfindung möchte der Augsburger Michael Schmutzenhofer dem Tacho-Betrug "durch die Hintertür" auf die Schliche kommen.

Die Funktionsweise ist einfach: Sämtliche sich bewegende Teile im und am Motor erzeugen ein spezifisches Geräusch im Bereich von 40 kHz. Dabei erfasst das Spezialmikrofon die Zustände und Vorgänge im Motor bzw. an den Aggregaten wie ein elektronisches Stethoskop. Diese für das menschliche Ohr unhörbaren Geräusche (und Frequenzbilder) verändern sich mit zunehmendem Verschleißgrad. Es lässt sich genau erkennen, ob es sich bei einer aufgezeigten Störung um einen mechanischen Verschleiß, ein Gas-oder Luftdruckleck oder um eine elektrische Entladung handelt. Mit einer speziellen, auf Vergleichsdaten fußenden Auswertungssoftware können der mechanische Zustand der Aggregate und deren tatsächliche Laufleistungen ermittelt werden. Der "Spion" ist äußerst vielseitig. Mit ihm lassen sich laut Hersteller defekte Einspritzdüsen, beschädigte Turbolader, undichte Hydrostößel und defekte Unterdruckschläuche ebensoorten wie defekte Gleit-und Wälzlager oder Lecks an der Druckluftbremsanlage. "Wir haben bereits mehr als 7.200 Fahrzeugmodelle mit ihren typischen Geräuschen und Klangmustern für Motor, Getriebe, Lichtmaschine, Wasserpumpe, Servopumpe und Turbolader in unserer Schalldatenbank abgespeichert", sucht Schmutzenhofer mit seiner Firma "H.A.P.S. -Technische Dienstleistungen" nun auch für Österreich Vertriebspartner. Der Mess-und Auswertungsvorgang dauere nur wenige Minuten, für die beim Gerätekauf kostenlose Einschulung rechnet Schmutzenhofer mit rund einer Woche. Angesichts des Risikopotenzials im Gebrauchtwagenhandel sollten sich Investitionen in diese neue Technik schnell amortisieren.