Nach Einschätzung der Dekra kommen 30 Prozent aller deutschen
Gebrauchtwagen manipuliert in den Verkauf. In Österreich dürfte es
nicht viel anders aussehen. Das heißt: Kein Autohändler kann sich
beim Fahrzeugeinkauf auf den Tachostand verlassen.
Jeder hat schon vom "Zurückdrehen" des Kilometerzählers gehört. Doch
kaum einer weiß, welche Dimensionen diese kriminelle Praxis in den
vergangenen Jahren angenommen hat: Allein den europäischen
Konsumenten entsteht dadurch ein Schaden von 5 bis 10 Milliarden Euro
pro Jahr, so das Ergebnis einer kürzlich durchgeführten belgischen
Studie. Die Verluste für ehrliche Autohändler, die ihrerseits
geprellt werden, sind in dieser Schätzung noch gar nicht
berücksichtigt.
Langsam wird die Exekutive aktiv: Im vergangenen Jahr wurde mit einem
europaweiten Großeinsatz ein internationales Netz von Tachobetrügern
aufgedeckt. Mehr als 500 Polizisten, Staatsanwälte und Steuerfahnder
durchsuchten in Deutschland, Österreich, Bulgarien und der Schweiz
150 Privathaushalte und Unternehmen. Über 230 Fahrzeuge wurden
beschlagnahmt und 26 Personen -mehrheitlichAutohändler -verhaftet.
Den Verdächtigten wirft man Betrug und Fälschung von Fahrzeugpapieren
zum gewinnbringenden Verkauf von Fahrzeugen vor.
Professionelle Tacho-Mafia
Diese Aktion gegen die Tacho-Mafia zeigte nur die Spitze des
Eisberges. Die Betrüger waren technisch versiert und verfügten über
das notwendige Knowhow und die erforderliche Ausrüstung. Im
Durchschnitt entspricht der Betrug pro Fahrzeug einem Wert von 3.000
Euro. Da in Deutschland mehr als sechs Millionen Fahrzeuge jedes Jahr
den Besitzer wechseln, dürfte allein in Deutschland nach
Polizei-Schätzung der Schaden bei 5,4 Milliarden Euro liegen.
Die Zeit, als jeder Bastler mit der Bohrmaschine einen analogen Tacho
"zurückspulen" konnte, ist längst vorbei. Heute erledigen Mikrochips
die Sammlung der anfallenden Kfz-Betriebsdaten. Diese werden in
verschiedenen internen Speichern (Schlüssel, Motorsteuergerät, ABS,
Getriebesteuergerät, Lichtkontrollmodul etc.) - so auch im digitalen
Tachometer -abgelegt. "Die flashen alle Speicherorte", verwies der
Messtechnik-Spezialist Stefan Israel bei der Tagung der
Kfz-Sachverständigen in Bad Hofgastein auf die Schwierigkeit der
Kfz-Hersteller, dagegen entsprechende Abwehrwerkzeuge zu entwickeln:
"Wir sind den Betrügern immer hinterher." Israel hofft jedoch, dass
sich die Lage dank neuer Programmierungen und Updates künftig bessern
werde.
Vorbereitung per Internet
Das für den Tachobetrug erforderliche "Werkzeug" lässt sich einfach
per Internet bestellen. Unter "tacho repair tools" findet man dazu
eine breite Palette an Geräten. Die Bedienungsanleitung wird per
Youtube gleich als Video mitgeliefert. Mit einfachen Geräten um 50
US-Dollar und ganzen "Reparaturkits" um 1.500 Dollar kann sich jeder
jede gewünschte Kilometerzahl binnen einer Minute selbst auf den
Tacho zaubern. Der damit verbundene Eingriff in die sensible
Elektronik und Programme der Fahrzeuge hat jedoch möglicherweise
fatale Konsequenzen. "Im schlimmsten Fall kann das ABS oder das ESP
komplett ausfallen", warnt Israel.
Kaum nachweisbar
In der Praxis lässt sich der Tachobetrug extrem schwer beweisen.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der ÖAMTC-Rechtsabteilung
derzeit keine laufenden Verfahren bekannt sind. Auch die
ÖAMTC-Techniker müssen sich beim Ankaufstest auf die am Tacho
aufscheinende Kilometerzahl verlassen. "Bei 90 Prozent allerAutos
lässt sich eine derartige Manipulation in den Fachwerkstätten nicht
feststellen", verweist ÖAMTC-Techniker Ing. Steffan Kerbl auf einen
Test, der gemeinsam mit dem ADAC vor zwei Jahren durchgeführt wurde.
Dementsprechend gehen auch die ÖAMTC-Juristen beim Rückspulen des
Tachos von einersehr hohen Dunkelzahl aus.
Verlockender "Verdienst"
Lukrativ ist der Betrug bei Jungwagen, die bereits eine hohe
Kilometerzahl am Buckel haben. Ein Beispiel: Nach Eurotax wird ein
Pkwüber 120 kW/163 PS im Durchschnitt monatlich 1.600 Kilometer
bewegt. Er darf am Jahresende daher nur 19.200 Kilometer am Tacho
haben. Darunter gibt es für jeden Minderkilometer Abschläge, darüber
einen Zuschlag von 0,4 Prozent vom Neupreis für jeden Tausender mehr.
Bei einem Neuwagenpreis von 40.000 Euro und 30.000 kaum nachweisbaren
"verschwundenen" Kilometern lassen sich beim Verkauf ohne viel
Aufwand 4.800 Euro lukrieren.
Diese Milchmädchenrechnung gilt natürlich auch für
Leasing-Rückläufer. Für diese müssen ehrliche Vielfahrer brav ihre
Zuschläge zahlen. Weniger Ehrliche können sich das mit einer
Tacho-Korrektur ersparen. Danach wandern die oft drei bis fünf Jahre
alten Autos zu -mehr oder minder ehrlichen -Aufkäufern. Im Fall der
deutschen Ermittlungen sollen die Betrüger damit 3 Millionen Euro
verdient haben.
Aufzeichnung beim Werkstattbesuch?
Angesichts der vielen verlockenden "Verdienstchancen" für Kriminelle
wird nun auch die EU-Kommission aktiv. Sie überlegt, nach belgischem
Vorbild die Erfassung des Kilometerstands bei jedem
Werkstattaufenthalt vorzuschreiben. Kfz-Gewerbevertreter wie Jaap
Timmer, Präsident der "European Car Dealers", begrüßen diese Schritte
-gleichzeitig warnen sieaber davor, die Händler mit bürokratischen
Maßnahmen zu überlasten, die schlussendlich doch keine Wirkung
zeitigen könnten.
Vorsicht beim Ankauf
Bis die Gesetzgeber neue Mittel und Wege zur Kriminalitätsbekämpfung
finden, sind Kunden und ehrliche Händler auf den eigenen Hausverstand
angewiesen. "Der Kilometerstand ist nur eines von vielen Kriterien",
kommt es beispielsweise für Kerbl beim Ankauftest vor allem auf den
technischen Zustand und den Verschleiß der Fahrzeugkomponenten an.
Das gilt vor allem bei älteren Modellen, bei denen die bisherige
Pflege (und das Serviceheft) über die Reparaturanfälligkeit mehr
aussagen als der Tachostand. So ist es etwa sinnvoll, diesen mit den
Angaben in älteren §-57a-Zertifikaten zu vergleichen. Maßnahmen, die
jeder Autohändler beim Fahrzeugeintausch oder Gebrauchtwagenzukauf
berücksichtigen sollte: Sonst verliert er durch
Gewährleistungsansprüche jenes Geld, das er zuvor beim Verkauf
verdient hat.
Der Tacho-Spion
Mit seiner Erfindung möchte der Augsburger Michael Schmutzenhofer dem
Tacho-Betrug "durch die Hintertür" auf die Schliche kommen.
Die Funktionsweise ist einfach: Sämtliche sich bewegende Teile im und
am Motor erzeugen ein spezifisches Geräusch im Bereich von 40 kHz.
Dabei erfasst das Spezialmikrofon die Zustände und Vorgänge im Motor
bzw. an den Aggregaten wie ein elektronisches Stethoskop. Diese für
das menschliche Ohr unhörbaren Geräusche (und Frequenzbilder)
verändern sich mit zunehmendem Verschleißgrad. Es lässt sich genau
erkennen, ob es sich bei einer aufgezeigten Störung um einen
mechanischen Verschleiß, ein Gas-oder Luftdruckleck oder um eine
elektrische Entladung handelt. Mit einer speziellen, auf
Vergleichsdaten fußenden Auswertungssoftware können der mechanische
Zustand der Aggregate und deren tatsächliche Laufleistungen ermittelt
werden. Der "Spion" ist äußerst vielseitig. Mit ihm lassen sich laut
Hersteller defekte Einspritzdüsen, beschädigte Turbolader, undichte
Hydrostößel und defekte Unterdruckschläuche ebensoorten wie defekte
Gleit-und Wälzlager oder Lecks an der Druckluftbremsanlage. "Wir
haben bereits mehr als 7.200 Fahrzeugmodelle mit ihren typischen
Geräuschen und Klangmustern für Motor, Getriebe, Lichtmaschine,
Wasserpumpe, Servopumpe und Turbolader in unserer Schalldatenbank
abgespeichert", sucht Schmutzenhofer mit seiner Firma "H.A.P.S.
-Technische Dienstleistungen" nun auch für Österreich
Vertriebspartner. Der Mess-und Auswertungsvorgang dauere nur wenige
Minuten, für die beim Gerätekauf kostenlose Einschulung rechnet
Schmutzenhofer mit rund einer Woche. Angesichts des Risikopotenzials
im Gebrauchtwagenhandel sollten sich Investitionen in diese neue
Technik schnell amortisieren.