A&W: Sie sind nunmehr seit 15 Jahren im DACH-Raum als Unternehmensberater und auch Trainer ausschließlich im Automobilhandel tätig. Wo liegen ihre Tätigkeitsschwerpunkte?
Horst Pohl: Hersteller und Importeure greifen auf meine Expertise zurück, wenn sie die Neuwagen-Vertriebsleistung z.B. über ein GW-Label verbessern wollen. Sie tun das aber auch, wenn sie einzelne Händler bei der Entwicklung oder Absicherung von Standorten unterstützen oder MitarbeiterInnen aus- und weiterbilden wollen. Auch strategische Beratungsunternehmen oder Trainingsagenturen greifen gerne auf meine spezielle, sehr praxisbasierte Expertise zurück. Automobilhändler kommen hingegen zu mir, wenn sie mit ihren Betriebs- oder Vertriebsergebnissen nicht zufrieden sind.
Unsere Branche beschäftigt ja nicht nur der Mobilitätswandel, sondern auch der Vertriebswandel. Wie sehen Sie die nun bei vielen Herstellern angekündigte Abkehr vom Agentur- bzw. Direktvertriebsmodell?
Pohl: Ich gebe zu, dass ich trotz einiger offener Themen die letztendlich zur Abkehr der Hersteller vom Direktvertriebs- bzw. Agenturmodell geführt haben, immer noch ein Befürworter eines funktionierende Agenturmodells bin. Die Betonung liegt aber auf funktionierend!
Welche offene Themen bzw. Probleme haben aus Ihrer Sicht dazu geführt?
Pohl: Die Themen sind vielschichtig und auch von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich. Gemeinsam sind aber folgende Punkte:
- Für ein gut funktionierendes Agentur- bzw. Direktvertriebsmodell muss „PULL" erzeugt werden. D.h Kunden kommen und wollen kaufen. Das gelingt vielen Herstellern über einzelne Modelle, aber keinem über die gesamte Modellpalette. Nur Musk erzeugte eine Zeit lang über seinen Personenkult genügend „PULL“ für den Direktvertrieb. Wie die Zahlen zeigen, sind diese Zeiten aber offenbar auch schon vorbei.
- Die erhofften Kosteneinsparungen des Agentursystems durch den Entfall einer Vertriebsstufe fanden nicht statt. Lager- und Vorführwagen sowie zusätzliche Vertriebsstrukturen belasten die Bilanzen der Hersteller/Importeure über Personalkosten, hohe Zinsen, Wertverlust und Cashflow viel stärker als angenommen.
- Das Micromarketing konnten die Hersteller und Importeure nicht leisten und die Händler konnten bzw. wollten es mangels reduzierter Margen nicht leisten.
- Die Fahrzeugpreise sind in den letzten Jahren extrem gestiegen. Im konventionellen Vertrieb haben früher die Händler diese Preise über ausgiebige Verhandlungen und Nachlässe zu "marktkonformen" Preisen gemacht. Das liegt nun nicht mehr in der Hand der Agenturen.
- Durch diese Preissituation weichen Kunden auf Jungwagen oder Gebrauchtwagen aus. Das ist im Vollagenturbetrieb noch schwieriger zu managen ist als das NW-Geschäft.
- Das Jungwagenkarussell aus Überproduktionen dreht sich schon wieder heftig. Ich habe selbst Angebote von Internationalen Tradern gesehen, die Modelle mit Tageszulassung 30% unter dem österreichischen Agenturpreis für das gleiche Modell anbieten. Solange es in Europa Länder mit konventioneller Vertriebsstruktur gibt, werden es einzelne Pilotländer mit dem Agenturvertrieb schwer haben.
Sehen Sie noch Chancen für den Direkt-/Agenturvertrieb?
Pohl: Ja! Viele der oben erwähnten Probleme können mittelfristig gelöst werden. KI wird die zentrale Steuerung des regionalen Micromarketings vereinfachen. Marktkonforme Preise und ein europaweites Agentursystem können vom Hersteller umgesetzt werden. Die Bewältigung der Kosten und der erforderliche „PULL“ wird aber am ehesten etablierten Premiumherstellern gelingen. Für Volumenmarken wird das deutlich schwieriger.
Im Vorgespräch haben Sie gesagt, die Betriebe müssen „Zurück an den Start“. Was dürfen wir darunter verstehen?
Pohl: Mit „Zurück an den Start“ meine ich, dass alle Händler, die nicht in einem Agenturmodell handeln, sie sich wieder der Prozesse ermächtigen, die vor dem Vertriebswandel – genau genommen vor der Coronazeit – zählbare Erfolge gebracht haben.
Was meinen Sie konkret?
Pohl: Ich mache es an meinem Lieblingsthema, dem Gebrauchtwagenbereich fest. Leider haben wir in Mangelzeiten ab 2020 gelernt, dass wir Gebrauchtwagen zu irrwitzig hohen Preisen einkaufen und noch teurer verkaufen konnten ohne auf Eintauschqualität, Marktkonformität, Aufbereitungsqualität, Fotoqualität oder Marketing achten zu müssen. Es reichte einfach Ware zu haben, um erfolgreich zu sein! In dieser Zeit haben viele Händler oder Führungskräfte die Prozesseignerschaft in ihren Betrieben verloren bzw. bestehende Prozesse über Bord geworfen. Es war ja auch nicht mehr notwendig für den Erfolg. Seit über einem Jahr reicht es nun nicht mehr, einfach nur genügend Gebrauchtwagen am Platz zu haben. Die Ergebnisse vieler Gebrauchtwagenabteilungen sprechen da eine eindeutige Sprache.
Wir müssen wieder marktkonform eintauschen, zeitwertgerecht aufbereiten, die Möglichkeiten der Börsen perfekt nutzen und über ein Preismanagement sicherstellen, dass sich die Gebrauchtwagen fünf bis sechsmal jährlich drehen. Das mit der Prozesseignerschaft gilt natürlich auch für alle anderen Bereiche des Händlers vom Verkauf, über den Service bis hin zum Finanzwesen. Aber Prozesse zu reorganisieren und umzusetzen ist trotz der Erfolge, die man damit erzielen kann, leider eine sehr anstrengende und unbeliebte Aufgabe für die Führungskräfte im Autohaus. Das Ergebnis ist dann, dass viele Abläufe im Autohaus auf der freiwilligen Zustimmung der Akteure basieren und nicht mehr auf der Prozesseignerschaft der Führungskräfte. Solange die Ergebnisse begeistern, ist das alles auch OK so. Wenn die Ergebnisse nicht mehr begeistern, ist tatkräftige Prozessarbeit die Maxime, also das subjektive Prinzip des Wollens! Wir stehen zur Verfügung!
Sie meinen also alles wieder zurück zu den Abläufen der „vor Coronazeiten“?
Pohl: Nein keineswegs! Bitte verstehen Sie mich richtig: die Prozesse im Autohaus müssen natürlich evaluiert werden. Und dort wo es sinnvoll ist, digitalisiert und stärker auf Zielgruppenkanäle wie z.B. Social Media und den Einsatz von KI angepasst werden. Da halte ich es mit einem sehr erfahrenen Fachjournalisten für den Automobilhandel, der gesagt hat: Funktionierende Prozesse im Autohaus sind die Problemlöser der Zukunft!.