Zwei Jahre davor hat die EU-Kommission einen Bericht über die Wirksamkeit dieser Wettbewerbs-Rahmenbestimmungen zu liefern. Aus Brüsseler Sicht hat sich am Kfz-Sektor in den vergangenen 10 Jahren nicht viel verändert, kann in 2 Jahren alles so bleiben, wie es ist. Aus meiner Sicht haben die Bürokraten da einiges verschlafen.
Grundsätzliche Voraussetzung für eine Freistellung vom generellen Kartellverbot des Artikel 101 des EU-Vertrages ist, dass Unternehmen mit vertikalen Vertriebsbindungen die derzeitige Marktanteilsschwelle von 30 Prozent nicht überschreiten. Das ist aus Brüsseler Sicht trotz aller Konzentrationstendenzen derzeit offenbar der Fall. Auch wird durch diesen Trend der Zutritt neuer Anbieter am europäischen Kfz-Markt nicht behindert: "Laut den Ergebnissen der Bestandsaufnahme ging der Wettbewerb zwischen 2007 und 2017 nicht nennenswert zurück, zumindest was Personenkraftwagen anbelangt. Die Verbraucher nutzen offenbar zunehmend das Internet, um Personenkraftwagen zu suchen und Preise zu vergleichen, wodurch sich die geografische Reichweite der verbleibenden Vertragshändler erweitert."
Ob diese Schlussfolgerung stimmt, darf bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass damit nur der "Beratungsdiebstahl" gefördert wurde: Der lokale Händler hat die Arbeit und Kosten der Produktpräsentation, der Internetanbieter sahnt ohne Aufwand mit Dumpingpreisen den Rahm ab.
Eine der Zielsetzungen war es, die Vielfalt der Vertriebsformen zu fördern. Das wurde jedoch klar verfehlt. "Die vor 2010 beobachtete Homogenität der Vertriebsformen besteht 2021 noch immer, insbesondere werden die meisten Personenkraftwagen nach wie vor über quantitative selektive Vertriebsnetze vertrieben." Die Tatsache, dass VW inzwischen für E-Fahrzeuge dasAgentursystem eingeführt hat und andere Hersteller dem Beispiel des Marktführers folgen, ließ der Evaluation Report unerwähnt.
Die Hersteller nehmen künftig den Direktvertrieb an die Letztverbraucher -mit oder ohne konzerneigene Verkaufsplattformen -selbst in die Hand. Als Konsequenz daraus, dass die EU-Kommission die Konkurrenzierung der konzernabhängigen Händler durch die Kfz-Konzerne als ihre eigenen Lieferanten im Sinne der Wettbewerbsförderung bisher wohlwollend gebilligt hat. Mit dem rechtlich durchaus legitimen Agentursystem werden künftig die Beschränkungen des Artikels 101 - und damit auch die der "Vertikal-GVO" - für die Kfz-Hersteller irrelevant.
Wie sich zeigt, kann das durchaus im Interesse der bisherigen Vertragshändler -künftig: der Agenten - liegen. Da beim Verkauf über Agenten die Fakturierung über den Hersteller erfolgt, kann der Hersteller diesen fixe Endverkaufspreise vorschreiben. Das gegenseitige Abjagen von Kunden durch "Kollegen" innerhalb eines Markennetzes hört sich damit auf. Der von den Wettbewerbshütern bisher so propagierte "Schutz des markeninternen Wettbewerbs" gehört -wie schon bisher etwa bei Apple oder anderen Internetkonzernen -der Vergangenheit an. Was bleibt, ist der Markenwettbewerb zwischen den Kfz-Konzernen.
Dr. Fritz Knöbl ist emeritierter Rechtsanwalt und Publizist.
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