Bei Arne Büchners Märchenstunde (siehe Youtube-Video unten) herrscht Zwist im Königshaus. Die fein gewandeten Verfechter des einstmals lukrativen Autohandels verweigern ihren Verwandten im ölverschmierten Blaumann den nötigen Respekt – obwohl deren Hände Arbeit längst mehr Profit abwirft als das Anpreisen der noblen Kutschen mit den prestigeträchtigen Marken-Emblemen.

Büchner, der mit seiner Firma „Die Trainingshandwerker“ seit 25 Jahren als Coach Aftersales-Prozesse für Autohäuser und Werkstätten optimiert, verpackt seine Kernbotschaften zwar in eine eingängige Kindergeschichte, ist aber sicher, dass er dabei keinesfalls Märchen erzählt. „In den 1980er-Jahren machten Autohäuser sechzig Prozent ihrer Gewinne mit dem Neuwagenabsatz, es herrschte Verkäufermarkt. Wenn man bei Daimler ein Auto wollte, suchte man um eine Audienz an, und Rabat(t) war eine Stadt in Nordafrika“, beschreibt er launig die einstigen Gegebenheiten.

Dann habe sich das Geschäft verändert, durch die Marken aus Japan und später Korea, aber auch durch die bis heute anhaltende Überproduktion. Derzeit jedenfalls „kommen über 75 Prozent der Gewinne der Autohäuser aus dem Aftersales.“ Gleichzeitig profitiere der Aftermarket von der permanenten Zunahme des Fahrzeugbestands. Gute Zeiten für die geschmähten Blaumänner.

Zeit für Ideen
Andreas Zanat war von den positiven Zukunftsaussichten für das Kfz-Handwerk so sehr überzeugt, dass er sich entschloss, seine erfolgreiche Karriere als Automotive Manager u.a. bei MAN und A.T.U aufzugeben und seine eigene Werkstatt zu eröffnen. Mit „Flying Car Service“ gründete er im Jahr 2019 einen Betrieb, in dem er seither seine Ideen umsetzt, wie man mittels Kundenorientierung, Mitarbeitermotivation und Prozess-Know-how ein Geschäft macht. „Ich wollte unter Beweis stellen: Wenn man den Kunden und den Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt, dann funktioniert das auch wirtschaftlich.“

Zanglermarkt
Dass die Konjunktur für die „Zangler“ besser steht als für die Verkäufer und dass diese Entwicklung keinesfalls bloß auf die Corona-Lockdown-Dellen zurückgeht, belegen aktuelle Marktdaten. Laut Erhebung der renommierten Kölner Beratungsgesellschaft BBE Automotive wurden in Deutschland im Jahr 2019 für Wartungs- und Reparaturarbeiten an privat genutzten Pkw über 24 Milliarden Euro ausgegeben (inkl. Mehrwertsteuer). 58 Millionen Pkw steuerten eine von mehr als 45.000 Werkstätten bei unseren nördlichen Nachbarn an. Dividiere man diese Zahlen durch zehn, habe man für Österreich gültige Größen, so Geschäftsführer Gerd Heinemann, der auch für die nächste Zeit keine schnellen strukturellen Veränderungen am Fahrzeugbestand prognostiziert, sondern von „ausreichend hohem Werkstattpotenzial“ in den kommenden Jahren ausgeht. Gleichzeitig stünden die herstellerabhängigen Autohäuser durch Direktvertrieb und Straffung der Werkstattnetze vor turbulenten Zeiten, wovon freie Betriebe profitieren könnten, so Heinemann.

Königsdisziplin Kunde
„Wir empfehlen unseren Kunden nur jene Dienstleistungen und Produkte, die wir auch unseren Freunden empfehlen würden“, steht in den „Big Five for Flying Car Service“, den internen Leitlinien von Andreas Zanats Werkstattbetrieb. Trotz eines begrenzten Marketingbudgets hält das noch junge Unternehmen, das als namensgebendes Service eine „mobile Reparatur“ beim Kunden zuhause anbietet, nach knapp zwei Jahren bereits bei 1400 aktiven Kunden – darunter Firmenkunden wie die österreichische Post, LeasePlan und viele regionale Player. Die Werbung – größtenteils über soziale Medien, hauptsächlich Facebook und Instagram – ist Chefsache. „Ich mache vielleicht den einen oder anderen Tippfehler in meine Postings und werde manchmal emotional, aber das kommt ehrlich hinüber und wird vielfach positiv kommentiert“, so Zanat.

Ob er 100 Kunden mit je einem Auto lieber hat als einen Kunden mit 100 Autos? „Die Mischung macht‘s. Ich bin stolz, dass die Post zu meinen Kunden zählt. Aber ich sehe es auch als großen Vertrauensbeweis, dass zum Beispiel viele Außendienstmitarbeiter aus der Branche mit ihren Privatautos zu mir kommen, weil sie sehen, wie wir arbeiten.“

Neben Respekt vor den Kunden legt Zanat besonders hohen Wert darauf, seinen Mitarbeitern mit Wertschätzung zu begegnen – für ihn ein probates Mittel, geeignete Facharbeiter zu finden und in seinem Unternehmen zu halten. Dass er sie am Unternehmenserfolg beteiligt – etwa in Form von einer einfachen Prämie, die sich nachvollziehbar aus dem Ertrag errechnet –, gehört für Zanat dazu. Im „Außendienst“ bei Flying Car Service sehen seine Angestellten eine willkommene Abwechslung zur Arbeit in der Lanzenkirchener Schauwerkstatt, was wohl auch daran liegt, dass Zanat und sein Team den dahinterliegenden Prozess inklusive der nötigen Teilelieferungen penibel ausgetüftelt haben. „Bis aufs Pickerl und größere Sachen machen wir beinahe alles auch beim Kunden vor Ort, 20 Prozent des Umsatzes erzielen wir draußen. Das muss man sich vorstellen wie bei einer Rallye. Damit der Hof oder die Garageneinfahrt nicht schmutzig wird, legen wir eine Folie unter das Auto. Die Mitarbeiter bekommen für die Außendienste eine Zulage und sind sehr zufrieden“, so Zanat, der dem mobilen Kfz-Service in Zeiten von Innenstadtschauräumen und Internet-Autohandel eine große Zukunft prophezeit.

Aber die Damoklesschwerter?
Alles eitel Wonne also für die freien Schrauber? Dominieren nicht die großen Konzerne mehr und mehr auch dieses Geschäft? Steht nicht auch der Aftermarket unter der Fuchtel mächtiger Branchenriesen, welche die kleinen Betriebe mit unerfüllbaren Vorgaben und Software-Sperren nach und nach aus dem Servicegeschäft drängen? Wird der Markt nicht von unten herauf konsolidiert, der Kleine jeweils vom Nächstgrößeren gefressen, bis nur noch die ganz, ganz Großen übrig sind?

„Wir haben immer noch zu viele Kfz-Betriebe“, meint Arne Büchner lapidar. Es gelte: „Freu‘ dich über jeden der zumacht, solang‘s nicht dein Betrieb ist!“ Man müsse als freie Werkstatt akzeptieren, dass man von gewissen Aufträgen bereits jetzt ausgesperrt sei. Der Markt habe nun einmal Segmente, so Büchner, der nicht damit hinter dem Berg hält, dass er den Kampf um die Daten aus modernen Fahrzeugen als Zeitverschwendung ansieht. Ähnlich aussichtslos sei die Auseinandersetzung mit Schadenssteuerern. „Lösen Sie diese Verträge auf, mit den Großen lässt sich nicht reden!“, rät er Betrieben. Allerdings gebe es neben jenen Herstellern, welche die Freien aussperren, auch die, welche dies bewusst nicht tun – und darüberhinaus jede Menge Nischen, in denen sich Betriebe etablieren und wachsen können: Service in ländlichen Regionen, die sich für die großen Player nicht länger rentieren; kleine Schäden, die nicht von Versicherungen reguliert werden; Folieren. „Die Nische, das können auch emotionale Komponenten sein. Gerade Kleine haben immer wieder gezeigt, dass sie regionale Märkte gestalten können.“

Lernen von der Gastronomie
Wo sich der deutsche Autohaus-Coach und der niederösterreichische Unternehmer Zanat – der in Sachen Datenzugang auf die Diagnosetester-Hersteller setzt und sicher ist, auch moderne Fahrzeuge noch lange reparieren zu können – einig sind: Der Schwenk zur vielgeschmähten E-Mobility stellt für die Werkstätten eine Chance dar, die sich zu ergreifen lohnt. „Die E-Mobilität ist deutlich unkomplizierter als die komplexe Verbrennertechnologie und steht allen offen, vorausgesetzt ich lege mir die Möglichkeiten zu“, spielt Büchner auf die notwendigen Investitionen an.

Bei Flying Car Service – wo bereits jetzt Elektrofahrzeuge der Post serviciert werden – verfügen bereits 4 Mitarbeiter über die HV2-Qualifikation, der Chef über HV3. „Wer heute ein E-Auto fährt, befasst sich mehr mit Mobilität als der normale Kunde, und Teslafahrer diskutieren auch kaum über den Preis“, so Zanat. Befürchtungen, dass die Stromer keine Services mehr brauchen, kann er aus der Praxis nicht bestätigen. Die Antriebseinheit sei zwar beinahe wartungsfrei, aber nicht die Peripherie. Batteriereparatur und -wartung seien sicherlich Zukunftsthemen.

Aus seinen Erfahrungen mit Flottenkunden meint er: „Man muss prozessmäßig gut aufgestellt und effizient sein, um die Vorgaben einhalten zu können. Im Gegenzug sehen auch die Unternehmenskunden ein, dass Qualität Geld kostet.“ Außerdem ziehe ein großer Flottenkunde auch Privatkundschaft sozusagen nach sich.
Welche Tipps Büchner einem Jungunternehmer vor der Werkstattgründung geben würde? „Überlege, was du am liebsten tust, spezialisiere dich und lass‘ es alle wissen“, so die „Zauberformel“. Gerade der letzte Teil dieser Formel sei allgemein unterschätzt: „Permanentes Herausstellen: Mich gibt‘s, dafür stehe ich!“ Ein Positivbeispiel sei die Gastronomie. „Jedem Lokal sieht man auf den ersten Blick an, welche Klientel dort willkommen ist.“ Man muss nicht mit jedem können – dann kann man mit „seinen“ Kunden umso besser.

Keine Angst vor der Zukunft also. Zanat ist sicher: „In den nächsten 20 Jahren wird die freie Werkstatt gleiche oder sogar größere Chancen haben als der markengebundene Betrieb.“