"Hinsichtlich der Strukturen herrschen in Österreich langsam klare Verhältnisse, da der Markt um die aufgeblähten Großhändler bereinigt wurde", bilanziert Wilfried Fleischmann als einer der wenigen von der Handelsseite, die sich auch offiziell zu Wort melden. Die von Fleischmann angesprochene Wahrheit ist: Durch den Wegfall von Ruhdorfer und Bruckmüller hat sich der Druck in der heimischen Reifenszene etwas entspannt. "Auch die Übernahme der Firma John in einen soliden Industrieverband wird zur Bereinigung der Marktverhältnisse beitragen. Durch das Anlehnen der verbliebenen "Größeren" an die Industrie entwickelt sich der Reifenmarkt in Österreich in eine vernünftige Konstellation, und es ist kein größeres Nachbeben zu befürchten", ist Fleischmann überzeugt. Die Beteiligung der Industrie im Retail scheint also vielmehr Teil der Lösung denn Teil des Problems zu sein. Denn egal ob Reifen oder Ersatzteile: Die Industrie fürchtet die "Big Player", denen sie sich nicht auf Gedeih und Verderb ausliefern will. Die Vielfalt und Diversifikation im Vertrieb ist dabei ebenso teuer wie notwendig. Kein Wunder, dass selbst neue asiatische Anbieter nach und nach vom Containergeschäft abweichen, um auf tiefer verzweigteVertriebsstrukturen zu setzen.
Der Fokus auf den regionalen Fachhandel
Beispielweise setzt man bei Marktführer Semperit/Continental konsequent auf regionale Stärke, und Mirco Brodthage weiß, obwohl oder gerade weil er aus dem Herzen des Konzerns kommt, wie wichtig die regionalen und nationalen Vertriebsgesellschaften für den Erfolg der Marken sind.
Oft gelobt wird im Fall der Preisstabilität auch Falken mit Günther Riepl, der seine Philosophie der Preisharmonie offenbar auch seinen Kollegen und Vorgesetzten in der Europa-Zentrale in Offenbach näher gebracht hat: "Man kann den Reifen nur einmal verkaufen!"
Die klare Konzentration auf den Reifenhandel mit der Ertragssicherung für den Partner als hohe Priorität lebt nicht zuletzt auch Vredestein.
Dabei gibt es noch einige mehr unter den heimischen Reifenmarken, es ist aber wohl kein Zufall, dass die genannten 3 in den vergangenen 6 Jahren immer am Podium der VRÖ-Awards platziert waren. Oder wie es VRÖ-Obmann James Tennant ausdrückt: "Bemerkbar ist, dass die Industrien, welche die Kritik der letzten Jahre positiv verwerten konnten, Rückenwind haben."
Das Verständnis für den richtigen Vertrieb und die Notwendigkeit der kleinen Vertriebspartner wollen wir freilich keinem Österreich-Chef eines Reifenkonzerns absprechen, die Frage ist lediglich, wie er sich innerhalb des Konzerns durchsetzen kann und wie stark ihn die Kollegen aus anderen europäischen Ländern mit Blockgeschäften indirekt unter Druck setzen. Und so muss man zu Beginn der Saison grundsätzlich bei fast jeder Marke abwarten und fragen: Was kommt heuer von draußen rein?
Günstige Preise für Endkunden
Überproduktionen, Blockgeschäfte und auch Restkapazitäten aus der Automobilerstausrüstung finden immer ihre Wege zu den Big Playern und damit auch in die kleinen Märkte. Den heimischen Großhändlern, Filialisten und klassischen Reifenfachbetrieben schadet diese Entwicklung, denn sie haben großteils eingelagert und bleiben ihren Vertriebspartnern, teilweise auch über die beiden starken Kooperationen Point-S und Top-Reifen-Team, treu. Profiteur ist einmal der Endkunde, der mit dem online auf B2C-Plattformen entdeckten Preis beim Reifenfachbetrieb vorstellig wird, selbst wenn er gar nicht die Absicht hat, im Netz zu kaufen. "Die Lizitationsmöglichkeit für den Endkunden ist dadurch natürlich größer. Als Anbieter muss ich immer in greifbarer Nähe zum Online-Angebot sein", erklärt Fleischmann die Situation.
Für den kleinen Vermarkter
"Auch für den kleinen Reifenvermarkter, der nur den Endkunden betreut, ist die komfortable Einkaufsmöglichkeit bei Großhändlern aus Deutschland und BeNeLux eine ideale Versorgung", sagt Fleischmann. So können beispielsweise freie Werkstätten gemeinsam mit ihrem Kunden die Reifen auf den Plattformen auswählen, Montagekosten und Marge draufschlagen und die Reifen sowie den Kunden für den übernächsten Tag zur Montage bestellen. Mit dem Argument: "Früher hab ich sowieso keine Zeit." Risiko: Null, Ertrag: Ok! Von der Situation profitieren offenbar die, die garnicht vom Reifenhandel leben. "Die Möglichkeiten in Österreich werden dadurch reduziert, für die Filialisten und die Großhändler wird es schwierig", weiß Fleischmann: "Ich kann nur dann alles verfügbar haben, wenn sich mein Lager dreht." Will heißen: Wenn der klassische Reifenfachhandel nicht auf sein Volumen kommt, ist ein wesentlicher Teil des Volumens sowie die Grundversorgung in Gefahr. Die Industrie muss sich also überlegen, mit wem sie in Zukunft ihr Geschäft machen möchte und mit wem sie selbst überleben kann. Vermutlich hat sie das schon längst entschieden, aber die Umsetzung ist so schwierig, weil: Jeden Tag lockt das Volumen!