Eine einseitige Marktbeurteilung anhand des weiterhin stagnierenden Reifenersatzbedarfes könnte rasch ein Unternehmerbild vom Sterben auf Raten vermitteln, eine Einschätzung, die Yorick Lowin, Geschäftsführer Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V., für "völlig aus der Luft gegriffen" hält. Die Industrie auf der Lieferantenseite engagiert sich jedoch nur mehr sporadisch mit den Reifenverbandsinteressen. Von den annähernd 2000 stimmberechtigten Mitgliedern waren bei der jüngsten Mitgliederversammlung in Hamburg knapp 80 anwesend.
Vom assoziierten VRÖ (Verband der Reifenspezialisten Österreichs) reiste niemand an. Der Grund ist einleuchtend: 80 Prozent aller Reifenhändler sind industrielastig korporiert, werden also direkt betreut. Und weil die Reisekosten selten mehr alimentiert werden, sitzen die Funktionäre mit den rund um das Tagesgeschäft nach Aufträgen gierenden Dienstleistern und der zweiten Führungsgarnitur der Reifenproduzenten im Saal. Dabei bot der Veranstaltungsort einen schönen Blick auf den Hafen. Dieses Jahr beherrschten unter dem Motto "Vorfahrt für die Zukunft -Qualitätsdienstleistung mit Menschen" einerseits "markt- und kundengerechte Dienstleistungen" die Diskussionen, andererseits die Förderung qualifizierter und motivierter Mitarbeiter, für eine höchstmögliche Dienstleistungsqualität.
Schwacher Reifen-"Hinausverkauf"
Während die aus dem Salzkammergut stammende Susanne Hübner, Hochschuldozentin für Servicemanagement mit Verve, den erfolgsentscheidenden Unterschied des Personals zwischen Berufseinstellung und Haltung erläuterte, bleibt das Reifenabsatzklima negativ belastet. Jedenfalls reagieren Reifengroßhändler mit Einkaufsstopps und betreiben Lagerabbau. Die Pool-Zahlen reflektieren nur oberflächlich die Marktentwicklung, öffentlich liegen Jubel und Frustration eng beieinander. Tatsache ist, die Erträge schmelzen dahin und nur das Kfz-Servicegeschäft bietet Perspektiven. Erschwerend kommt hinzu, dass der verbal geführte Klimaschutz weitere Kaufzurückhaltung forciert, denn über den sozialwirtschaftlichen Aspekt redet keiner gern. Schon gar nicht die Industrie.
BRV und VRÖ bewahren sich unverdrossen ihre Zuversicht und rechnen am Ende der Winterreifensaison bei weiter "stabilen Margen" mit 1 bis 2 Prozent Mengensteigerung. Gerne werden wir berichten, wann diese Prophezeiung eingetreten ist. Jetzt zu Österreichs Reifen(fach)handel, der von extremer Vorsicht betreffend Einlagerungsverhalten geprägt ist. Das Sommerreifen-Potenzial konnte vielfach nicht ausgeschöpft werden, was nun die Winterreifen-Bevorratung hemmt. Zunächst müssen die das Kapital bindenden Überlager abgebaut werden, um frische Saisonware übernehmen zu können. Eigentlich hat der dem Sommerreifen-Planungen vorauseilende Optimismus den Marktteilnehmern wenig bis nichts gebracht, denn auch der Lkw-Reifenabsatz hinkt den Prognosen nach.
Kleinere Anbieter wachsen zulasten der Großen
Einzelne von der Lieferantenseite postulierte Erfolgserlebnisse beruhen - so die Vermutung betroffener Marktteilnehmer -auf Verschiebungen durch Zukäufe, wie sie Continental via Profi-Reifen mit der Übernahme von John zustande gebracht hat. Allerdings soll der Hinausverkauf (-10 Prozent im Sellout) die Erwartungen deutlich unterschritten haben. Wie überhaupt die kleineren Marktspieler den großen Anbietern das Leben schwer machen. Vor allen werden Premiumreifen in die Preisschlacht geworfen, was die Margen sowohl auf Lieferantenals auch auf Wiederverkäuferseite schmälert. Eine weitereErschwernis ist der ständige Wechsel in den Ansprechpositionen der Industrie, moniert der Reifenhandel: Entscheidungen des Vorgängers sind dann wertlos, was zu weiteren Spannungen im Lieferantenverhältnis führt. Die Produktqualität ist makellos.
"Knapp bis deutlich" hinter Vorjahr
Alles Zutaten, die das Reifenbusiness schwer einschätzbar machen. Ohne genannt werden zu wollen, rechnen landesweit orientierte Reifenhändler am Jahresende mit einem "knapp bis deutlich" zwischen 4 und 10 Prozent liegenden Mengenminus.
Zusammengefasst lässt sich die deutsche mit der österreichischen Einschätzung vergleichen. Lieferantenseitig kennt man keinen Verlierer, händlerseitig sehr wohl! Selbst die Pool-Zahlen versprechen keine Besserung und bleiben der Einzelinterpretation überlassen.
Tatsache ist: Keiner der Marktmacher traut sich die Wahrheit zu sagen, die Unternehmen sind bonitätsseitig zum Wachstum verurteilt, was grosso modo zulasten des gesamten Reifenhandels geht.
Bewahren wir uns den Optimismus, denn zur Wahrheitsfindung setzt man sich mit unserer Redaktion auseinander, weil wir selbst recherchieren.