Jüngster Coup bei den großen Übernahmen ist der Kauf von Reifen-Müller durch Hankook in Deutschland. Dabei hat man mittlerweile das Gefühl, es ist ein Match zwischen Industrie und internationalen Großhändlern entstanden: Wer schluckt den nächsten Übernahmekandidaten? Auch in Österreich sind Fakten und Gerüchte über so manchen, größeren Anbieter im Gespräch. Doch was sind die Gründe dafür: Ist es für die Konzerne ohne eigene Retail-Schiene nicht mehr möglich, erfolgreich zu wirtschaften? Wohl kaum. Oder will sich die Industrie den großen Händlern nicht mehr länger ausliefern?

Mehr Volumen, mehr Marge

Die Gründe dafür sind auf den ersten Blick nicht gleich nachvollziehbar: Bei der Übernahme von kleineren, familiengeführten Betrieben durch Hersteller oder Großunternehmen sind in der Regel immer (deutliche) Einbußen zu verzeichnen. Die Erfahrung mussten Autohersteller ebenso machen wie Reifenkonzerne und -ketten. Kein Filialleiter hat den persönlichen Kontakt, den gesellschaftlichen Hintergrund und den arbeitszeittechnischen Einsatz wie langjährige Unternehmer vor Ort. Und manchmal erwirtschaften sie trotzdem keine Gewinne mehr. Dennoch ist die Industrie daran interessiert, solche Betriebe zu übernehmen. Die Motivation erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Für die Großhändler bringt das Wachstum des Volumens natürlich auch Vorteile bei Marktmacht und Einkaufspreis. Die Industrie hingegen steigert in diesen Häusern den Marktanteil der eigenen Marke auf Kosten des (direkten) Mitbewerbers. Das bringt natürlich Volumen und es bringt eine höhere Marge, da die Handelsspanne des Zwischenhändlers wegfällt. Zuletzt darf auch der Konkurrenzdruck nicht unbeachtet bleiben: Übernimmt nicht der eine, schlägt der andere zu.

Die „Großen“ sind im Vorteil

Die „Großen“ sind gegenüber den „Kleinen“ hinsichtlich Preis, Marketing, aber auch Logistik im Vorteil. Das trifft sehr stark auf den B-Handel zu, der für die regionalen Reifenfachhändler zwar nach wie vor ein wichtiges Standbein ist, aber in der Umsetzung immer schwieriger wird. Das Problem für die heimischen, regionalen Anbieter sind schlichtweg die Preise. Die Margen, die für Lagerhaltung, Personal und Zustellung notwendig wären, sind bei Volumenware einfach nicht mehr drinnen. Schuld sind die Online-Plattformen, sagen viele, doch stimmt das wirklich? Vielmehr machen die Online-Börsen ein langjähriges und möglicherweise noch stärker werdendes Problem transparent: Überbelieferung und fragwürdige Kalkulationen. Schon vor Erfindung der Plattformen sind Reifen containerweise durch Europa transportiert worden, weil in irgendeinem Land ein besserer Preis bei höherer Abnahme vereinbart wurde. Heute fällt das noch stärker auf und vielleicht sind die Überproduktionen und der Absatzdruck noch größer geworden. Die Eröffnung zahlreicher neuer, europäischer Werke würde diesen Schluss zulassen.

Platzen die Reifenlager?

Die Volumen sind zu hoch, Reifen werden zu nicht nachvollziehbaren Preisen durch ganz Europa verkauft. Entweder, weil der Ehrgeiz oder der Druck bei manchem Manager so hoch ist oder weil die Lager einfach platzen. Sind wir sicher, dass nicht auch der eine oder andere österreichische Reifenimporteur dabei ist, der seine Stückzahlen mit direkten oder meist indirekten Exportgeschäften erhöht? Warum auch immer: Für den „kleinen Großhandel“, oder nennen wir ihn regionalen Zwischenhändler, zahlt sich der B-Handel fast nicht mehr aus. Vergleicht man die Kalkulationen auf den Plattformen mit den Großhandelspreisen, stimmt das nicht mehr zusammen. Der Zwischenhändler kann die für ihn notwendige Marge nicht mehr erzielen. Dabei muss noch nicht einmal etwa falsch laufen: Die „Großen“ haben andere Einkaufspreise, andere Volumen und vor allem andere Handlingkosten über ihre großen Logistikzentren. Weder die nachvollziehbaren noch die nicht nachvollziehbaren Kalkulationen von diversen Großhändlern und Internetplattformen können von der heimischen Branche beeinflusst werden. Aber das eigene Haus sauber zu halten, kann von den Reifenherstellern und Vertriebsorganisationen verlangt werden, auch wenn die Versuchung der „schnellen Nummer“, also der rasche Verkauf größerer Stückzahlen ins Ausland, sehr verlockend klingt.

B-Handel muss sich rechnen

Faktum ist: Die Hersteller beliefern erst ab einer gewissen Größe selbst und wollen nach wie vor über den B-Handel in die Fläche. Um sich nicht komplett den internationalen Großhändlern auszuliefern, sollten sich die Reifenkonzerne rasch darum kümmern, dass auch der kleine Zwischenhändler den B-Handel kostendeckend durchführen kann.