Sie war einer der Top-Aufreger in den ersten Monaten der türkis-blauen Regierung: die Novelle zum Arbeitszeitgesetz (AZG), die den lang gehegten Wunsch der Arbeitgeber nach einer möglichen Flexibilisierung der Arbeitszeiten nun seit Anfang September erfüllen soll. Eine grobe Übersicht der wichtigsten Änderungen finden hier Sie in der Tabelle (ausgenommen die Änderungen der Ruhezeiten in der Gastronomie).
Einwände der Arbeitnehmervertreter erfolgten mit im sozialpartnerschaftlich verwöhnten Österreich ungewohnter Heftigkeit: Damit werde der Zwölfstundentag, die 60-Stundenwoche Realität, der Ausbeutung werde Tür und Tor geöffnet. Gleichzeitig ertönte von Gewerkschaftsseite die Kampfansage, sich in Zukunft bei den Kollektivvertragsverhandlungen auch nicht länger bescheiden zurückhalten zu wollen. Wankt gar der soziale Frieden?
Anforderungen erfordern Flexibilität
„Die neue Regelung legalisiert nur, was in vielen Betrieben im guten Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Angestellten längst gelebte Praxis war“, kalmiert Sonja Marchhart, Leiterin des Referats für Sozialpolitik bei der Wirtschaftskammer Österreich in der Bundessparte Handel. „Aber auch aufseiten der Arbeitnehmer wächst das Bedürfnis nach einer gewissen Autonomie der Zeiteinteilung – man will etwas fertig machen oder muss eben eine Frist einhalten. Gleichzeitig werden Freizeit und Arbeit immer stärker miteinander verwoben. Die Gesetze sind schon viele Jahre alt und haben zuletzt den Bedürfnissen sowohl von Arbeitgebern als auch von Arbeitnehmern nicht mehr ausreichend Rechnung getragen. Es war notwendig, die gesetzliche Regelung der Praxis anzupassen.“
Worauf müssen Arbeitgeber achten, wenn sie die neuen Regelungen nutzen wollen? „Zunächst einmal wird der Unternehmer aus Kostenbewusstsein nicht ohne Not eine Überstunde anordnen“, ist sich Marchhart sicher. Allerdings könne leicht das gegenteilige Szenario eintreten, wenn Mitarbeiter gerne länger arbeiten würden – etwa um ein längeres Wochenende zu genießen –, der Arbeitgeber dies jedoch aufgrund der für ihn höheren Kosten ablehne. Dies muss der Mitarbeiter dann natürlich akzeptieren – ein Anrecht auf eine 4-Tage-Woche existiert nicht.
Im Gegenzug hat der Unternehmer keine Entscheidungsbefugnis, ob er die „Überstunden neu“ auszahlt oder in Form von Zeitausgleich abgilt. „Dieses Wahlrecht seines Mitarbeiters muss der Unternehmer akzeptieren.“
Ein weiteres Detailproblem: Die neu geschaffene Möglichkeit, bis zu 4 Wochenenden oder Feiertagen im Jahr arbeiten zu lassen, setzt nicht das Öffnungszeitengesetz außer Kraft, das zum Beispiel den Verkauf im Autohaus betrifft. „Ich kann als Unternehmerin die Wochenendruhe nun zwar durchbrechen, aber nur, wo der Betrieb nicht dem Öffnungszeitengesetz unterliegt.“
Im Großen und Ganzen steht laut Marchhart zu erwarten, dass hauptsächlich die Industriebetriebe von den neuen Regeln Gebrauch machen werden. Dort würden die Maschinenauslastungen oft nur eine Ausweitung ins Wochenende zulassen. „Bei uns im Handel sehen wir bei den vielen Außendienstmitarbeitern gewisse Vorteile, die haben bisher sehr oft durch längere Fahrzeiten oder Ähnliches ein Problem gehabt und waren eingeschränkt. Für sie wird es nun leichter.“
Bereits gelebte Praxis jetzt in Gesetz gegossen
Dass durch das AZG Neu nur bereits gelebte Praxis sozusagen legalisiert werde, sieht auch Ford-Händler Werner Blum so: „Wer das negiert, lebt schon länger an der Zeit vorbei: Bei gutem Geschäft wird halt etwas länger gearbeitet und in den magereren Zeiten dafür etwas weniger.“ Die Mitarbeiter würden das genauso sehen und den Zeitausgleich dann gern in Anspruch nehmen. „Es hängt natürlich schon davon ab, wie gut das Betriebsklima ist“, räumt der Händler ein, der die neuen Grenzen bei Bedarf am ehesten bei Spitzen in der Werkstatt einsetzen will.
Grosso modo reagieren mehrere befragte Autohaus-Betreiber auf die neuen Regeln abwartend bis positiv. „Wir kommen eigentlich gut aus mit den 8 Stunden“, so Opel-Händler Alexander Krammer aus Gleisdorf, der auch keine rechte Freude mit der Aussicht hat, dass Mitarbeiter vielleicht in Zukunft nur noch 4 Tage in der Woche arbeiten wollen. Dass die Mitarbeiter in Spitzenzeiten bei Bedarf länger arbeiten, sei in seinem Betrieb auch heute schon gut akzeptiert.
Aus seiner eigenen praktischen Erfahrung als Spengler und Lackierer fürchtet Krammer allerdings, dass bei längeren Schichten tendenziell die Qualität nachlassen könnte. „Mir ist lieber, einer arbeitet 8 Stunden konzentriert, als er arbeitet zwar 12 Stunden am Stück und es schleichen sich bei der Arbeit Fehler ein.“ Als Kopf eines echten Familienbetriebs – 7 von 26 Mitarbeitern sind Angehörige – kann er Bereiche wie den Verkauf, aber auch Bereitschaftsdienste für Notfälle künftig ganz legal außerhalb des Arbeitszeitgesetzes bedienen. „Ich als Chef darf ja sowieso arbeiten, so viel ich will“, schmunzelt er.
Verantwortliche dürfen mehr arbeiten
Leitende Angestellte mit großen eigenständigen Verantwortungsbereichen waren schon bisher vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen. Neu ist, dass diese Ausnahmeregelung nun auch für Familienmitglieder bzw. nahe Angehörige des Arbeitgebers sowie für Mitarbeiter „mit maßgeblicher selbstständiger Entscheidungsbefugnis“ ausgeweitet wurde. „Das ist jemand, der sehr selbstständig arbeitet, sich auch seine Arbeitszeit selbst einteilen kann, dabei aber keine weitreichende Personalverantwortung trägt“, erklärt Marchhart. „Das kann im Autohaus auf einen Spezialisten im Back Office zutreffen, oder aber zum Beispiel auf einen Key Accounter im Außendienst.“ Auf wen dies zutrifft und ob man diesen Mitarbeiter dann „aufwertet“, indem man ihn von der Pflicht zur Zeitaufzeichnung entbindet, muss man im Betrieb selbst entscheiden. „Manchmal ist es aus anderen Gründen sinnvoll, auch einen solchen Mitarbeiter weiterhin Zeitaufzeichnungen führen zu lassen“, so Marchhart – etwa um für den Fall einer sogenannten gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) vorbereitet zu sein.
Was bleibt also vom Shitstorm nach Ankündigung der Flexibilisierung? Marchhart erwartet kein weiteres Getöse um die Einführung der flexibleren Arbeitszeiten. Auch, was das sozialpartnerschaftliche Klima hierzulande betrifft, will sie keine groben Risse sehen. „Gerade bei uns im Bereich Handel funktioniert die Sozialpartnerschaft sehr gut“, lobt sie. „Ich sehe weiterhin eine sehr konstruktive Gesprächsbasis.“