Sein internationaler Durchbruch waren die "One Minute Sculptures",
hierzulande ist er der breiten Masse und uns Autoaffinen vor allem
durch seine "Fat Cars" und "Fat Houses" bekannt: Künstler Erwin Wurm,
der Alltagsdinge und Alltagsthemen als Material für seine Kunst
verwendet, im Interview über Shopping, Autofahren und Selbstzweifel.
Er ist, nach eigenen Aussagen, ein wenig rastlos, ein Kind unserer
Zeit also. Er will ständig irgendwohin. Ist oft unterwegs. Immer auf
Achse. Dennoch kokettiert er durchaus mit der Ruhe und dem Verweilen,
würde gern meditieren können. Erwin Wurm. Einer der erfolgreichsten
Künstler unserer Zeit. Er wollte uns gerne für ein Interview auf
seinem Anwesen am Land treffen. Doch ein außerordentlich wichtiger
Termin vereitelte unser persönliches Gespräch. Verschieben war auf
aufgrund der Heftproduktion nicht mehr möglich. Nichtsdestotrotz kam
das Interview zustande - und sogar passend während des Autofahrens.
Das Gespräch begann allerdings nicht wie sonst üblich mit einer
Begrüßung unsererseits.
Erwin Wurm: Grüß Gott, tut mir leid, dass der Kuratorentermin
dazwischen gekommen ist, ich hätte gerne persönlich mit Ihnen
gesprochen. Aber ich sitze jetzt etwa eine Stunde lang im Auto
4wd: Das passt gut, Herr Wurm, ich auch. Danke, dass Sie sich die
Zeit genommen haben. In welchem Auto sitzen Sie? Ist das noch der
Aston Martin Vantage?
Nein, bis vor Kurzem hatte ich einen Porsche Cayenne, jetzt einen
Maserati Ghibli. Ich habe immer gern neue Autos, weil mich der
neueste Stand der Technik interessiert.
Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre privaten Autos aus?
Es muss mir gefallen und ein bisschen Kraft unter der Motorhaube
haben.
Sie sind einer der erfolgreichsten Künstler der Gegenwart und
verbinden Ihre Kunst gern mit Problemen unseres Alltags -warum?
Weil ich glaube, dass die großen und kleinen Fragen unserer Zeit
Themen in der Kunst sind. Und mich interessiert bzw. versuche ich
immer, das Phänomen von Realität unserer Zeit, unserer Welt, aus
einer Perspektive anzuschauen, die mit dem Paradoxen und Absurden zu
tun hat. Weil ich glaube, dass man dadurch erkennt, dass nicht die
Fantasie das Problem ist, sondern die Realität. Und mit der müssen
wir uns alle beschäftigen. Daran arbeite ich immer wieder aufs Neue.
Eine Ihrer Lieblingsproblematiken ist unser Konsumverhalten - was
genau kritisieren Sie daran?
Dass das Haben immer wichtiger wird als das Sein. Bereits Erich Fromm
(Anm.: deutsch-US-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph, * 1900,
1980) hat in seinem schönen Buch "Haben oder Sein" festgestellt, dass
sich die Persönlichkeit der Menschen eindeutig in Richtung "Haben"
verschiebt und das Sein immer weniger zählt. Wir umgeben uns mit so
vielen Objekten, Möbel, Autos, Wohnungen, die uns mittlerweile zum
Teil sogar ausmachen. Kaufen und Shopping ist ein zentrales Phänomen
unserer Zeit. Wir schmeißen auch viel weg, nichts wird mehr
repariert. Der Plastikmüll landet in den Ozeanen und treibt als
Riesenkontinent unter der Oberfläche dahin wir vermüllen unsere
Umwelt also mit dem, was wir täglich haben wollen, weil wir es zu
brauchen glauben.
Leben Sie anders?
Nein, ich bin auch ein Kind unserer Zeit, mache die gleichen Fehler
und trete in die gleichen Fettnäpfchen. Trotzdem erlaube ich mir, mir
darüber Gedanken zu machen und darüber zu reden.
Aus diesen Gedanken heraus sind auch ihre Fat-Skulpturen entstanden,
Häuser und Autos -warum das Auto?
Es ist DAS zentrale Fortbewegungsmittel unserer Zeit. Ohne Auto ginge
in unserer Welt im Moment gar nichts mehr. Es hat praktischen Nutzen,
aber auch Erotik und löst Besitzerstolz aus. Es spricht
Technikinteressierte an und solche, die an Design interessiert sind.
Es begeistert Menschen, die sich an komplizierten und kompakten
Lösungen erfreuen und solche, die zu mehrt reisen, aber trotzdem
privat reisen wollen. Viele Leute verwenden es auch als
Aushängeschild dafür, um zu zeigen, was sie sich leisten können -oder
auch nicht. Das Auto gehört also neben dem Smartphone mit Sicherheit
zu den am meisten begehrten und geschätzten, aber auch verachteten
und verhassten Objekten unserer Zeit. »
Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie das jeweilige Modell aus?
Das erste Auto, das wir zu einem Fat Car umgearbeitet haben, war das
ehemalige Auto einer Mitarbeiterin, ein nicht mehr fahrtüchtiger Alfa
Romeo. Danach bin ich draufgekommen, dass die sogenannten Bonzenautos
der frühen 70er, also die großen und fetten Autos der Reichen und
Gehassten, dieses Thema noch viel mehr multiplizieren. Daher nehme
ich immer Autos, die dem Luxussegment zuzuordnen sind.
Wie wird eine solche fette Karre zum Fat Car?
Zuerst kommen alle Flüssigkeiten weg, Motoröl, Getriebeöl etc. Die
Türen werden zugeklebt und verschweißt, damit sich keine Verwindungen
ergeben, alle Öffnungen werden geschäumt. Dann wird Polyurethanschaum
aufgetragen und die Form erarbeitet. Danach wird die Karosserie mit
Epoxidharzen überzogen, in verschiedenen Lagen, Netze kommen drüber
und zum Schluss wird geschliffen, geschliffen und nochmals
geschliffen und dann gespritzt.
Machen Sie alles allein?
Nein, mittlerweile vergeben wir die groben Vorarbeiten an andere
Firmen, eine große Zeitersparnis für uns.
Wie lange dauert es, bis ein Fat Car fertig ist?
Schwer zu sagen, etwa zwei bis drei Monate. Was mirübrigens auch
noch wichtig ist: Ein Auto ist ein technisches Konstrukt und das
Schöne daran, es dick zu machen, ist, dass man es in gewisser Weise
mit einem biologischen Fakt verbindet. Das ergibt ein Zwitterwesen
-und wir bewegen uns ja auch in diese Richtung hin, bekommen
Kniegelenke aus Titan eingesetzt, bald werden Organe kommen,
Mikrochips diesen Mix aus biologischen und technoiden Konstruktionen
finde ich spannend und interessant.
Mobilität fasziniert Sie ja generell...
Absolut. Wir leben in einer extrem mobilen Welt und Mobilität war von
Anfang an das Paradebeispiel von Menschwerdung und -sein. Der Mensch
hat die Welt durch Gehen erobert und von Anfang an sein Hab und Gut
mitgeschleppt. Sowohl der eigene Transport als auch jener von Gütern
waren also von Anfang an wichtig und kulturbildend. Daher
interessiert mich dieses Thema so. Auch heute rasen die Menschen
ununterbrochen rundherum. Ob das jetzt innerstädtischer öffentlicher
oder privater Verkehr ist. Ob wir auf den Mond fliegen oder Radfahren
die Menschen wollen ständig irgendwohin fahren. Helmut Qualtinger hat
einmal so schön gesagt: "Wurscht, wo ich hinfahr, Hauptsache ich bin
früher dort." - Und es geht ja vielen so!
Sie sagen "Wir rasen ununterbrochen rundherum" - wie sehr lassen Sie
selbst sich von diesem Verhalten anstecken?
Ich träume immer davon, irgendwo länger sein zu können - nur wird mir
dann nach zwei Wochen fad und ich möchte wieder woanders hin. Ich bin
ein Kind dieser Welt und vollkommen drinnen gefangen. Da wir so viel
reisen und von außen auf unser Land schauen können, entdeckt man auch
viel mehr, Fehler undPositives, das relativiert sehr viel.
Wie wichtig ist Ihnen eigentlich, dass Betrachter den Sinn Ihrer
Werke verstehen?
Ganz wichtig! Das Hauptthema in meiner Arbeit ist ja unsere Zeit und
unsere Realität mit besonderem Augenmerk auf unsere
Konsumgesellschaft. Und ein dickes Auto ist zwar sofort als solches
erkennbar, aber selbstverständlich geht es um die Problematik, die
mit dem Begriff Auto einhergeht. Es geht um den Inhalt.
Wie gehen Sie mit Kritik um?
Grundsätzlich positiv, da Kritik oft hilft, die Arbeit
weiterzuentwickeln und Dinge zu sehen, die andere für mich sichtbar
machen. Reine Runtermache interessiert mich nicht. Dem gegenüber
verschließe ich mich und es tangiert mich auch nicht.
Was war das schönste Kompliment, das Sie jemals bekommen haben?
Als ich die House Attack am Mumok gemacht habe, hat Franz West mir
eine SMS geschrieben: "Bei dieser Arbeit war wirklich scheiße, dass
sie nicht von mir war." Das war toll.
Haben Sie jemals an Ihrer Berufung gezweifelt?
Natürlich. Und das war damals beinhart, hat aber das Verhältnis zu
meiner Arbeit verändert und meinen Umgang mit dem Thema Kunst -war
letztendlich also wichtig für mich. Man liest das ja auch oft bei
Psychologen und Philosophen, dass eine Krise so wichtig ist, aber
wenn du in dieser Krise steckst,findest du das gar nicht wichtig,
sondern nur entsetzlich und du möchtest Auswege finden. Im Nachhinein
lässt sich leicht reflektieren und sagen "es war wohl wichtig", so
halte ich es auch, aber damals war es furchtbar! Ich habe mich
anfangs viele Jahre lang als kleiner Künstlerstudent gesehen und vor
mir eine hohe Latte an höchst qualitativen Arbeiten und ich habe
versucht, intellektuell eine Verbindung herzustellen. Das ist mir nur
scheinbar geglückt. Irgendwann war es mir dann egal -und plötzlich
schien alles wie von selbst zu funktionieren. Das war zum Beispiel
der Beginn der One Minute Sculptures, wo ich ganz bewusst die Themen
Peinlichkeit und Lächerlichkeit und viele andere psychologische Teile
zugelassen habe. Und siehe da, das "Lächerlich-oder
Peinlich-sein-Gefühl" ist verschwunden und hat meine Arbeit enorm
verändert und stark gemacht. Und plötzlich haben sich wichtige
Kuratoren und Museen aus der ganzen Welt gemeldet.
Welche Erkenntnis haben Sie daraus gezogen beziehungsweise was legen
Sie Menschen inähnlichen Situationen ans Herz?
Durchhalten und weitermachen, nicht aufgeben! Sich vor allem nicht
durch blöde Meinungen anderer unterkriegen lassen. Hätte ich auf
gewisse Leute aus österreichischen Kunst-und Kritikerkreisen gehört,
hätte ich nie im Leben Erfolg gehabt, sondern wäre rumgegrundelt wie
die meisten.
Also an sich und seineÜberzeugungen glauben
Absolut. Und stur durchgehen, auch wenn man zehn Jahre lang deswegen
verachtet oder gemieden wird -wurscht! Durchziehen! Wichtig war auch,
Leute zu haben oder zu finden, mit denen ich kritisch positivüber
meine Arbeiten sprechen konnte und wir uns gegenseitig unterstützt
haben. Das kann ein Galerist sein, ein Kuratorenfreund oder ein
Künstler. Denn wenn man allein auf sich gestellt ist, besteht die
Gefahr, dass man sich in seine eigene Welt flüchtet und unnahbar
wird. Notwendige und wichtigeKritik von außen prallt dann an einem
ab -und man bewegt sich meistens nicht weiter. Das führt zu gar
nichts. Das Gegenteil wäre allerdings, dass man von jedem etwas
annimmt und sich immer in die Richtung wendet, die einem irgendwer
vorgibt - das bringt schon gar nichts. Dann ist man ein Fähnchen im
Wind.
Gibt es außer Ihrer künstlerischen Tätigkeit etwas, das Sie Zeit und
Raum vergessen lässt?
Beim Betrachten von Bildern und Gemälden kann ich alles vergessen.
Manchmal auch bei Konzerten, Filmen, auch bei Gedanken und
Fragestellungen, die ich lese ich interessiere mich dafür, wie sich
das Bild von Realität verschiebt.
Was würden Sie gerne öfter tun?
Ich würde gern eine Möglichkeit finden, richtig abschalten zu können.
Meditieren zum Beispiel. Ich bin ein unruhiger Geist, wache mitten in
der Nacht auf, habe Ideen, muss die aufschreiben und kann nicht mehr
schlafen. Es treibt mich die ganze Zeit irgendwo herum, ich bin immer
auf Achse. Ich hätte gern mehr ruhigere Zeit, gleichzeitig
widerspreche ich mir, weil ich gern so viel Schönes wie möglich
erleben und sehen will. Auf Reisen in unserer Welt. Ob das nun eine
schöne Insel in Griechenland ist, eine Ausstellung in Korea oder New
York, ein gutes Essen in Kopenhagen das trägt alles zu Lebensqualität
und Freude bei. Und Freude ist einer der wichtigsten Teile im Leben.
Abschließende Frage: Wie sollte der Titel eines Romans über Sie
lauten? Hm. (Denkt kurz nach). Weitermachen. Trotzdem weitermachen.
Ausstellungen Erwin Wurm 2018
Kunstmuseum, Luzern, Schweiz Albertina, Wien,Österreich Public Art
Fund, New York, USA
Storage by Hyundai Card, Seoul, Südkorea
Ludwig Museum, Budapest, Ungarn
Galerie Thaddaeus Ropac, London, Großbritannien
Ayala Museum, Manila, Philippinen Villa Le Lac, Vevey, Schweiz
Erwin Wurm im Wordrap
Mein erstes Auto war ein Fiat Puch 500.
Bei einem Auto schaue ich zuallererst auf die Schönheit.
In meinem Auto befindet sich immer der Autoschlüssel.
Aus meinem Autoradio tönt meistens Ö1.
Gleiten oder Glühen? Gleiten.
Das Design eines Autos ist mir sehr wichtig.
Bei einer Reifenpanne rufe ich den Pannendienst. Es gibt ja auch gar
keinen fünften Reifen, kein Reserverad mehr bei den Autos.
Wenn ich mein Führerscheinfoto ansehe, dann Schreck lass" nach!
Mehr Kofferraum oder Hubraum? - Beides.
Tempo 130 auf der Autobahn oder kein Tempolimit? Mir wäre schon
lieber, ich könnte ein bisserl schneller fahren aber dann würde wohl
die Unfallkurve steil ansteigen.
Ich brauche mein Auto, weil ich viel Autofahre.
Einparken kann ich immer schlechter. Ich parke ja auch nie ein, denn
in Wien fahre ich die Tiefgarage und am Land in den Hof. Ich warte
also schon darauf, dass sich mein nächstes Auto vielleicht ganz von
selbst einparkt.
Verbrauch und Emission eines Autos ich wünsche mit natürlich so wenig
Emission und Verbrauch wie möglich. Die Realität sieht anders aus.
Allradantrieb ist ganz wichtig.
Vollautomatisiertes Fahren finde ich cool. Ich bin ein bequemer
Fahrer und freu mich, wenn es soweit ist, dass ich gelegentlich
Zeitung lesen kann.
Lieber Automatik oder manuelle Schaltung? Automatik.
Ich steige auf ein Elektroauto um, wenn es mehr Zapfstellen gibt, das
System besser ist und das Design schöner und besser wird. Bislang
gefällt mir keines.
Bei einer Polizeikontrolle bin ich immer sehr freundlich. Dann zahlt
man weniger.
Ein Auto, das ich gerne fahren würde, ist der neue Bentley
Continental. Den habe ich noch nicht ausprobiert.