Die Autobauer auf der Suche nach der Mobilität von morgen werden
zunehmend von neuen Marktteilnehmern bedrängt. Der Bedarf an IT in
der Branche wächst ebenso rasant wie der Zwang, die Mobilität neu
definieren zu müssen. Wie sich Strategie und Realität duellieren,
zeigte das illustre Teilnehmerfeld auf dem diesjährigen
Automobilwoche Kongress in Berlin.
Große, mit Weitblick gesetzte Worte in die Zukunfts( be) deutung der
Automobilität bestimmten den 11. Automobilwoche Kongress 2017 in
Berlin. Bei aller geäußerten Meinungsvielfalt erschöpft sich die
digital beschleunigte Denkwelt am realen wirtschaftlichen Zustand.
Dieser Zustand ist holprig und voller Gefahren. Dennoch warnen die
Supermänner -Superfrauen waren leider keine am Podium -vor zu großem
Pessimismus, denn auch moderne Gesellschaften sind auf das Auto und
individuelle Mobilität angewiesen. Nahezu alle Statements und Spitzen
der Crème de la Crème der europäischen Mobilitätsmanager zielten auf
die derzeitige politische Einschätzung in der Europäischen Union ab.
Seat-Chef Luca de Meo ist besorgt, weil sich viele Menschen, vor
allem junge Menschen in großen Städten, vom Auto abwenden. Er ist
aber überzeugt davon, diese zurückgewinnen zu können, indem er ihnen
die passenden Angebote macht. Die Autobranche dürfte sich nicht auf
die Car Guys fokussieren, sondern müsse auch auf die Autohasser
eingehen. Alles möglich, fix ist wenig: PSA-Chef Carlos Tavares
möchte seine jüngste Neuerwerbung Opel bis 2020 wieder in die
Gewinnzone zurückführen. Seine Mobilitätsszenarien sind von Disziplin
bei der Unternehmensrettung ("Leistung schützt das Unternehmen und
die Arbeitsplätze") geprägt. Profan spricht er im Tempo der
Veränderungen von Kostenreduzierung auf allen Ebenen. Dennoch sollen
bis 2024 alle europäischen Baureihen entweder einen E-oder
Hybrid-Antrieb haben. Ein Highlight war die Diskussion zur "Zukunft
der Autobranche" mit den Vorstandsvorsitzenden Tom Enders (Airbus),
Tim Höttges (Deutsche Telekom) und Harald Krüger (BMW), denen in
Fortschreibung ihres wirtschaftlichen Erfolges ein vereintes Europa
unabdingbar erscheint. Für Enders überschneiden sich zunehmend die
Technologien von Auto-, Luftfahrt- und Telekommunikationsbranche.
Telekom arbeitet daran, WLAN mit LTE-Geschwindigkeit (Long Term
Evolution: Mobilfunkstandard der 3. Generation) auch in Flugzeugen
nutzbar zu machen. Enders hält Volocopter, also Kleinflugzeuge zum
Personentransport, für denkbar, wenn auch nicht in naher Zukunft. Die
Amerikaner hätten eine andere Mentalität, sie würden mehr
ausprobieren und nicht zuerst einmal ein Gesamtkonzept entwickeln,
stichelt er in Richtung europäische Entwicklungskultur.
"Rekombinationen" bestehender Techniken Die Deutschen seien oft zu
zögerlich und durch Regularien gebremst. Deshalb gingen Ingenieure
heutzutage oft ins Ausland, beklagt Krüger, der eine eigene
Batteriezellenfertigung in Deutschland wirtschaftlich momentan für
nicht sinnvoll erachtet. Höttges warnt davor, darauf zu warten, dass
etwas Neues vom Himmel fällt. Viele neue Ideen seien
"Rekombinationen" bereits bestehender Techniken. Uber z. B. sei eine
Kombination aus iPhone, SAP Cloud und Taxifahrern. Laut Krüger sind
schon heute 8,5 Millionen voll vernetzter BMW-Fahrzeuge auf dem
Markt. 2021 soll der elektrisch angetriebene, hoch autonome und voll
vernetzte"iNext" im Markt einschlagen. Trotzdem sollen BMW-Kunden
auch weiterhin entscheiden können, ob sie selbst fahren wollen oder
nicht. Volkswagen-Pkw-Markenvorstand Herbert Diess sieht für das
konventionelle Automobil noch lange Zeit eine goldene Zukunft: "Neue
multimodale Mobilitätskonzepte werdendie Attraktivität des Autos auf
absehbare Zeit nicht schmälern können." Für ihn geht die
diesbezügliche öffentliche Diskussion an der wirtschaftlichen
Realität vorbei. Hohe Stückzahlen seien weiterhin die Voraussetzungen
für wirtschaftlichen Erfolg, entzog er allzu forschen
Autonomiefahr-Denkern den Boden der Realität. Allerdings werde die
chinesische Mobilitätsindustrie das globale Gesicht der Autowelt,
öffnet er der Öffentlichkeit seine Gedankenwelt. Dadurch werde auch
der Vertrieb sich verändern: modern, dezentral.
Schnelligkeit und Digitalisierung Automobilwoche-Herausgeber Helmut
Kluger entzog unter derÜberschrift "Erfolg in unwägbaren Zeiten"
beim 11. Kongress angesichts der Probleme mit der Bahn, den
Autobahnen und dem Breitband-Ausbau den "Regierenden in Deutschland"
kurzerhand den Champions-League-Status. Seine Appell: "Schnelligkeit
wird in einer digitalisierten Welt zunehmend zum entscheidenden
Wettbewerbsvorteil." Wohin der Handel und das Servicegeschäft
transformieren, artikulierten Thomas Hausch (Geschäftsführer Nissan
Center Europe), Roman Still (AVAG-Vorstandssprecher) und
Autohaus-Eigentümer Peter Reisacher. Hausch misst dem klassischen
Servicegeschäft mittelfristig schwindende, hingegen Finanz-und
anderen Dienstleistungen steigende und Verlusten im Handelsgeschäft
kompensationsfähige Bedeutung zu. Für Still ist der Internet-Verkauf
"ein süßes Gift", das insbesondere dann problematisch werde, wenn der
Hersteller dem Handel dafür niedrigere Margen zubillige. Reisacher
wiederum fordert vom Hersteller mehr vertikale Integration, um dem
Kunden ein einheitliches Bild zu bieten. Er und Still beklagten, der
Blick der Hersteller ginge vom Werktor zum Kunden und damit über den
Handel hinweg. Als Beispiele verwies er auf Probleme bei der
Garantieabwicklung und aufnicht geteilte Daten zwischen Hersteller
und Handel. "Der Kunde erwartet, dass wir Zeit für ihn haben und über
seine Bedürfnisse Bescheid wissen." (LUS)
"E-Mobilität ist nicht die allein selig machende Antriebslösung der
Zukunft. Ein Mix mit dem Diesel führt auch zum Ziel.
Elmar Degenhart, Vorstandsvorsitzender Continental AG
"Die Chinesenübernehmen die Systemführerschaft und werden zum
globalen Gesicht der Autowelt."
Herbert Diess, Markenvorstand Volkswagen Pkw
"Opel braucht PSA-Synergien"
PSA-Chef Carlos Tavares versprüht mit seinem Charme Aufbruchstimmung,
obwohl sein dafür vorgesehenes Maßnahmenpaket für Opel sehr
schmerzhaft sein wird. Zunächst auf betriebsbedingte Entlassungen
verzichtend, tritt der ,Sanierungsheld von morgen" ordentlich in die
Kostenbremsen, zumal die Marktanteile und der Fahrzeugbestand (nicht
zuletzt wegen des BREXIT) schrumpfen. Das Zauberwort heißt Synergie,
also der Schwenk von Opel auf die Plattformen, Motoren und
Vertriebsmodule von PSA. Von den angepeilten Milliardensynergien wird
jedes Land betroffen sein.