Ich muss zugeben -vor zwei Jahren habe ich mit diesem Wort nochüberhaupt nichts anfangen können. Seit Dieselgate und dem damit
ausgelösten E-Mobility-Hype ist es in aller Munde.
Diverse Start-ups
wollen damit ihr revolutionäres Denken signalisieren. Gleichzeitig
werden herkömmliche Autoproduzenten mit diesem Schlagwort
angeprangert, schon jetzt die Zukunftverschlafen zu haben.
Selbsternannte Gurus prophezeien, es werde ihnen so gehen wie Kodak.
Da hat die digitale Fotografie dem analogen Filmproduzenten den
Garaus gemacht. Oder wie Nokia. Da hat das Smartphone den finnischen
Handy-Weltmarktführer in der Versenkung verschwinden lassen.
Disruption ist ein aus Amerika importierter Begriff und beschreibt
das Phänomen, dass eine stark wachsende Innovation bestehende
Geschäftsmodelle zusammenbrechen lässt. Neue Technologien können da
abrupt ganze Märkte zerstören. Viele übersehen dabei: Das gilt nur
für die Digitalwirtschaft. Der Kfz-Markt eignet sich dafür nicht.
Denn im Gegensatz zu digitalen Produkten und Revolutionen benötigt
die Mobilität eine extrem kostenintensive Infrastruktur - unabhängig
davon, um welche Form der Mobilität es sich dabei handelt.
Das gilt auch für die E-Mobilität. Da treffen die Redakteure unseres
Verlagshauses immer wieder auf einzelne innovative Anwender, die
diese erfolgreich nutzen. Etwa Peter Koch in Wien, der den gesamten
Fuhrpark seiner Spenglerei elektrifiziert hat und dank Förderung und
Steuerersparnis bei der Anschaffung, demEntfall des Sachbezugs bei
Dienstfahrzeugen und einer Photovoltaikanlage am Firmendach eine
durchaus positive Bilanz ziehen kann. Der wegen mangelnder
flächendeckender Ladeinfrastruktur seine Urlaubsfahrten dennoch in
einem Diesel verbringt.
Da treffe ich auf einen Segelfreund, der schon seit einiger Zeit
einen teuren Tesla fährt. 40.000 Kilometer pro Jahr -davon das meiste
auf Autobahnen. Der das flotte Auto neben dem Spaß an neuer
Technologie auch wegen der Förderungen, der Steuerersparnis und dem
Gratisstrom an den Tesla-Zapfsäulen geleast hat. Der seinen Tesla
nach vier Jahren zum halben Ankaufspreis zurückgeben kann; dem daher
die Batterielebensdauer und der Restwert kein Kopfzerbrechen
bereitet. Der nun nach 60.000 Kilometern unter dem Strich auf
niedrigere monatliche Betriebskosten kommt als mit seinem früheren
BMW. E-Mobilität eignet sich wegen der erforderlichen Ladezeit
besonders für kurze Strecken im Stadtverkehr. So kam es in Norwegen
zu einem Boom der E-Autos, da sie auf Busspuren fahren und gratis
parken dürfen. Benutzt von wohlhabenden Autofahrern, die ihre
Zweitautos bei ihren Häusern in ihren Garagen am Stadtrand bequem
laden können. Denn in den dicht verbauten Städten hapert esmit der
Ladeinfrastruktur. Und bei Koch in Wien funktioniert sein E-Fuhrpark
nur deshalb klaglos, weil er am Betriebsgelände Platz für genügend
Ladestationen hat.
Bei den alten Handys kam man einige Tage mit einer Ladung aus.
Smartphones müssen ständig an die Steckdose. Ihr Aufladen ist in der
Praxis trotzdem kaum ein Problem. Freie Steckdosen sind auch
unterwegs überall schnell zu finden. So konnte es zu einer Disruption
des Handymarktes kommen. Wie mühsam eine leere Batterie jedoch sein
kann, weiß jeder, der sein E-Cart am Golfplatz ohne Strom zum
Clubhaus zurückschleppen musste.
Weder die alten noch die jungen Autoproduzenten werden ein Problem
haben, attraktive E-Autos zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
Ich sehe aber kaum eine Chance, dass die Ladeinfrastruktur mit dem
Entwicklungstempo der Autobauer Schritt halten kann. Wien ist dafür
ein abschreckendes Beispiel. Die Politik kann der Autoindustrie zwar
CO2-Quoten vorschreiben, den Bürgermeistern aber nicht die Zahl der
für die E-Autos erforderlichen Ladestationen. Das versuchen die
Politiker erst gar nicht. Von einer Disruption des Automarktes kann
keine Rede sein. Angesagte Revolutionen finden eben nur selten statt
-und bei schlechtem Wetter schon gar nicht.