Was passiert, wenn eine Reparatur plötzlich viel teurer wird als
anfangs prognostiziert wurde? Wie können Werkstätten vermeiden, das
Risiko zu tragen?
Schon 2008 hat der in Deutschland lehrendeÖsterreicher Univ.-Prof.
Dr. Christian Huber am ZVR-Verkehrsrechtstag auf ein österreichisches
Unikum beim Kfz-Schaden hingewiesen. In Deutschland wird der
Schadensumfang im Auftrag des Geschädigten von einem unabhängigen
Sachverständigen ermittelt. In Österreich hingegen erfolgt die
Prognoseder Reparaturkosten durch Sachverständige, die in einem
Abhängigkeitsverhältnis zur Versicherungswirtschaft stehen. Das führt
zu einem Prognoserisiko, das die Versicherungen den Werkstätten
umhängen wollen. Der wesentliche Unterschied zwischen Deutschland und
Österreich liegt nicht in der Rechtslage, sondern im Umfang der
zulässigen Reparatur -welche Prozentsätze beim Überhang der
Reparaturkosten über den Wiederbeschaffungswert gebilligt werden.
In Deutschland gibt es da eine Wechselbeziehung zur Qualität der
Reparatur: Liegen die Reparaturkosten samt dem merkantilen Minderwert
unter dem Wiederbeschaffungswert, reicht es, dass das Fahrzeug
verkehrssicher ist. Betragen sie bis zu 130 Prozent, muss die
Reparatur umfassend sein. Es müssen alle Gebrechen behoben sein, auch
die optischen.
Bleibt dies beim Reparieren unberücksichtigt, ist immerhin die
Reparatur bis zum Wiederbeschaffungswert ersatzfähig. Wenn der
Sachverständige genau 130 Prozent schätzt, es im Nachhinein jedoch
teurer wird (und das Prognoserisiko den Schädiger trifft), führen
somit selbst echte Reparaturkosten von 150 Prozent zu keiner
nachträglichen Totalschadensabrechnung. Somit kann der deutsche
Geschädigte fast immer auf Reparaturkostenbasis abrechnen.
Wer trägt das Prognoserisiko?
Im Mai 2017 hat das Amtsgericht Ansbach (2C440/177) neuerlich
klargestellt, dass dem Geschädigten die durch ein
Sachverständigengutachten ermittelten Kosten zustehen. "Das
Werkstatt-und Prognoserisiko trägt der Schädiger." Der Geschädigte
erteilt zwar den Gutachtens-und Reparaturauftrag, die Reparatur fällt
aber dennoch in die Verantwortungssphäre des Schädigers. Stellt sich
nachder Schadensbegutachtung heraus, dass durch verborgene Schäden
Mehraufwendungen entstehen, kann sich die Versicherung nicht
nachträglich auf eine "Untunlichkeit" der Reparatur berufen -und
damit den Schaden durch eine billige Totalschadensabrechnung
liquidieren.
Aufgrund der identen Rechtslage wäre diese Entscheidung 1 :1 auf
Österreich übertragbar. Huber kritisiert jedoch, dass bei uns der
Oberste Gerichtshof bei diesem Überhang nur anhand des Einzelfalls
bei 110 bis 115 Prozent herumlaviert. Über diesen Wert hinausgehende
Reparaturkosten sind keinesfalls ersatzfähig -daher spielt auch die
Reparaturqualität keine Rolle. Dazu Huber zu dieser
konsumentenfeindlichen Judikatur: "Das Abstellen auf den Einzelfall
ist für den Geschädigten nachteilig. Im Zweifel unterlässt er eine
Reparatur wegen des Risikos, dass diese untunlich ist, er auf die
Totalschadensabrechnung verwiesen wird und trotz getätigter
Aufwendungen bloß die Hälfte ersetzt bekommt."
Ein zusätzlicher Nachteil ist die Schadensbeurteilung im Auftrag des
Schädigers -denn die Versicherungen sind an einer für sie günstigen
Totalschadensabrechnung interessiert. Dafür erfanden sie den Trick,
die Werkstätten schon lange vor einem Totalschaden auf eine
"Totalschadensgefährdung" hinzuweisen. Und zwar schon dann, wenn die
voraussichtlichen Reparaturkosten 80 Prozent des Zeitwerts
übersteigen. Da steht dann auf der Reparaturkalkulation "Grenzfall
Totalschaden". Da die Fahrzeuge im unzerlegten Zustand begutachtet
werden, können vor allem bei älteren Fahrzeugen die tatsächlichen
Reparaturkosten schnell die "Tunlichkeitsgrenze" von 100 bis 110
Prozent überschreiten.
"Autopreisspiegel" kann helfen
Die Versicherungen lassen die Werkstätten beim "Grenzfall
Totalschaden" über den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs im
Dunkeln. Die Werkstätten sollten angesichts dieser
"Totalschadenswarnung" der Versicherungen den Zeitwert des
Unfallfahrzeugs unbedingt selbst ermitteln -was mit dem
"Autopreisspiegel" kein Problem ist. Der kannbei 81 Prozent oder bei
99 Prozent der Reparaturkosten liegen. Wenn sich dann bei der
Reparatur herausstellt, dass die "Tunlichkeitsgrenze" voraussichtlich
überschritten wird, muss sie die weiteren Schritte unbedingt mit dem
Kunden koordinieren.
"Wenn die Werkstätte das Auto zerlegt, muss sie diesen Aufwand
jedenfalls von der Versicherung ersetzt bekommen", verweist der
Kfz-Sachverständige Martin Freitag auf den dafür geltenden
Vertrauensgrundsatz. Das gilt auch, wenn sich der zusätzliche Schaden
erst nach der Reparatur bei einer Probefahrt herausstellt. "Das kann
bei einem durch den Unfall geschädigten Automatikgetriebe durchaus
passieren." Nach Meinung Freitags darf bei einem derartigen
Reparaturverlauf das Fahrzeug nicht nachträglich als Totalschaden
klassifiziert werden.
Kein Risiko für die Werkstätten
Doch viele Versicherungen argumentieren, dass in einem derartigen
Fall die Reparaturfreigabe -dank der vorherigen "Warnung" - hinfällig
wird. Auf der Kostenkalkulation steht ja "Besichtigung im
undemontierten Zustand ohne Haftung". Damit sei die Werkstätte an
höheren Reparaturkosten selbst schuld. Die Versicherung ersetzt somit
diese nur bis zur Höhe der Totalschadensabrechnung. Die Differenz zu
den vollen Kosten soll derGeschädigte tragen: Doch dieser will sich
wiederum an der Werkstätte schadlos halten. Was unzulässig ist -denn
das Prognoserisiko trifft auch in Österreich den Schädiger.
Dem Kunden ist daher zu empfehlen, sich die Differenz zu den vollen
Reparaturkosten von der gegnerischen Haftpflichtversicherung zu
holen. Selbst dann, wenn der Kunde diese Reparaturkosten vorweg an
die Werkstätte zediert hat. Denn dieser wird dafür meist einen
Rechtsschutz haben. Für die Werkstätte besteht jedenfalls keine
Notwendigkeit, das Prognoserisiko an Stelle des Schädigers und seiner
Versicherung zu schlucken.