Mit dem Projekt "Task Force" will der BRV
Reifenfachhandelsunternehmen dabei unterstützen, ihre Marktchancen
und Optimierungspotenziale individuell auszuloten und zu erschließen.
Gemeinsam mit Hans-Jürgen Drechsler bildet Yorick Lowin seit Anfang
2017 die neue Doppelspitze des Bundesverbands Reifenhandel und
Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV). Im Interview mit AUTO&Wirtschaft
bezieht der Diplom-Wirtschaftsjurist Stellung zu aktuellen
Entwicklungen, deutlichen Mengenverlusten im Reifengeschäft und
künftigen Branchenszenarien.
A&W: Die Mengenentwicklungen des WDK-Sellout-Panels per Ende Juli
machen mit Ausnahme des deutlich wachsenden Segments der
Ganzjahresreifen erhebliche Mengenverluste sichtbar. Wie erklären Sie
sich -abgesehen von Qualitätsverbesserungen und einer leicht
rückläufigen Fahrleistung -die negativen Zahlen?
Yorick Lowin: Der Bedarf an Reifen ist an den Fahrzeugbestand
gekoppelt und hat somit eine natürliche Grenze. Zwar wächst dieser
kontinuierlich an, doch die Qualitätsverbesserungen der Reifen
kompensieren diesen Anstieg bereits. Nimmt man dazu noch die
regressive Fahrleistung in der Bevölkerung, ergibt sich zwangsläufig,
dass das Volumen nicht steigen kann.
Werden die RFH-Verluste möglicherweise Gewinne in anderen
Distributionskanälen mit sich bringen?
Lowin: Die solitäre Betrachtung des WDK-Sellout-Panels als Gradmesser
für eine mögliche Verschiebung der Mengen vom Reifenfachhandel in
andere Distributionskanäle ist nicht möglich. Betrachtet man parallel
zu dem WDK-Sell-out-Panel das ERMC-Sell-in-Panel, so sieht man auch
hier einen Rückgang von 4 Prozent imPkw-Sommerreifen Segment. Es ist
also kein großes Delta zwischen Sell-in generell und Sell-out im
Reifenfachhandel erkennbar, das auf eine Verschiebung der
Absatzkanäle hindeutet.
Was raten Sie dem Reifenfachhandel bezüglich einer angemessenen
Reaktion auf das Wachstum des Ganzjahresreifensegments?
Lowin: Die außer Frage stehende Tatsache, dass Ganzjahresreifen
mittlerweile bei einer ganzen Reihe von Kunden deutlich im Fokus
stehen, hat zwei wesentliche Ursachen: Zum einen haben wir seit
mittlerweile fünf Jahren in großen Teilen Deutschlands keinen echten
Winter inklusive entsprechender Straßenverhältnisse mehr gehabt,
sodass die daraus resultierende Frage, ob man denn überhaupt noch
Winterreifen braucht, zumindest plausibel erscheint. Zum anderen sind
viele Kunden von den Convenience- Vorteilen der Ganzjahresreifen
überzeugt. Insbesondere der Zeitfaktor, d. h. der Wegfall der beiden
Umrüsttermine, spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Trotzdem
haben wir, auch unter Berücksichtigung der aktuellen Testergebnisse
zu Ganzjahresreifen, keine Veranlassung, unsere bisherige Empfehlung
zu Sommerreifen im Sommer und Winterreifen im Winter maßgeblich zu
korrigieren. Weder von den Performance-Eigenschaften noch von den
Kosten her sind Ganzjahresreifen im Vergleich zu den jeweiligen
Spezialisten die bessere Alternative.
Mittels welcher Aktivitäten sollten Mengen-, Umsatz-, Ertrags-und
Frequenzverluste Ihrer Ansicht nach ausgeglichen werden?
Lowin: Der aktuelle BRV-Betriebsvergleich für den Zeitraum Januar bis
Mai 2017 hat gezeigt, dass der Gesamtumsatz um 0,8 Prozent gegenüber
dem Vorjahreszeitraum und ebenso der Gesamtrohertrag um 1,7 Prozent
gestiegen sind. Dieser Umsatzanstieg wurde aber im Durchschnitt nicht
mit dem Kerngeschäft Räder/Reifen generiert, da wir hier einenMengenrückgang von rund 2,0 Prozent verzeichnen. Primär kommt der
Umsatzanstieg durch die weitere Konzentration auf den Autoservice
zustande. Um die jeweilige Umsatz-und Ertragssituation zu verbessern,
ist das Thema Autoservice jedoch nicht als pauschale und alleinige
Lösung für alle Betriebe anzusehen. Hier muss jedes Unternehmen
individuell analysieren, welche Potenziale das Kerngeschäft
Räder/Reifen in seinem Einzugsgebiet mit sich bringt. Denn viele
finanziell gesunde Betriebe erreichen ihre Wirtschaftlichkeit auch
ohne Autoservice.
Mit welchen Maßnahmen unterstützt der BRV seine Mitglieder konkret?
Lowin: Der BRV hat zusammen mit der BBE Automotive GmbH das Projekt
"Task Force" ins Leben gerufen, das Reifenfachhandelsunternehmen
dabei unterstützt, ihre Marktchancen und Optimierungspotenziale
individuell auszuloten und zu erschließen. Das Konzept besteht aus
zwei Phasen: Die erste beginnt mit einem Strategie-Check
beziehungsweise Chancen-Audit zur Feststellung des Status quo im
Betrieb und der daraus resultierenden Ableitung künftigerPotenziale.
Darauf basierend folgen auf Wunsch entsprechende Beratungs-und
Coaching-Einheiten zur Umsetzung. Speziell im Geschäftsbereich
Autoservice unterstützt der BRV die Mitglieder bei dessen Ausbau und
bietet in diesem Zusammenhang seit Herbst 2016 auch den neuen
Lehrgang zum Kfz-Serviceberater an.
In einem im BRV-Magazin "Trends&Facts" veröffentlichten Interview
spricht Alec Reiff von den Chancen, die der Reifenfachhandel hat. Was
glauben Sie: Warum nimmt die Familie Reiff diese Chancen nicht wahr
und verkauft den Reifen-und Autoservicebereich des Unternehmens?
Lowin: An einer Bewertung der unternehmerischen Entscheidung der
Familie Reiff können und werden wir uns als BRV nicht beteiligen. Der
Kernaussage, dass der Reifenfachhandel Chancen hat, schließen wir uns
an. Diese Chancen sind aber an gewisse Voraussetzungen gebunden,
nämlich Investitionsbereitschaft in die Zukunft, operative Exzellenz
gegenüber dem Kunden, Optimierung derinternen Prozesse und
kontinuierliche Entwicklung der eigenen Mitarbeiter.
Welche insbesondere branchenpolitischen Agendapunkte zeichnen sich
für die kommenden Industrie-Branchengespräche ab?
Lowin: Primär wird es natürlich um die zukünftige Rolle des
Reifenfachhandels im Ersatzmarkt gehen. Sofern der Industrie daran
gelegen ist, die hoch technologisierten Reifen nicht einfach nur zu
verkaufen, sondern mit einer dem Produkt angemessenen Vermarktung und
Beratung an den Kunden zu bringen, bleibt nur der Reifenfachhandel
als kompetenter Vertriebspartner.
Abschließend noch ein Ausblick auf das kommende Jahr: Wie ist es um
den Buchungsstand der "The Tire Cologne" in Köln bestellt?
Lowin: Die neue internationale Branchenfachmesse entwickelt sich
hervorragend. Aktuell sindüber 80 Prozent der geplanten Flächen fest
verkauft. Der Wechsel von Essen nach Köln inklusive der neuen
Namensgebung hat sich bei den Ausstellern durchgesetzt und 19 der 20
umsatzstärksten Unternehmen aus der aktuellen "Reifenweltrangliste"
haben schon ihre Teilnahme in Köln bestätigt.