Um den Händlern mitzuteilen, dass "das Geschäftsmodell von heute dauerhaft keine Zukunft hat", dazu hätte VW-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann nicht das "International Partner Meeting" in Berlin gebraucht. Geliefert wurden nur Schlagworte zur E-Mobilität und zur Digitalisierung. Über Hintergründe des bevorstehenden Umbruchs ("Transform 2025+") war nichts zu hören.
Die meisten Hersteller erwarten, dass in fünf Jahren bis zu 30 Prozent der Neuzulassungen auf E-Autos entfallen werden. VW steht so wie alle Hersteller vor dem Problem, dass damit das rentable Ersatzteilgeschäft wegzubrechen droht. 10 bis 15 Jahre können sie noch vom Altbestand zehren -doch mit fortschreitender E-Mobilität ist damit Schluss. Das führt zu einer Ertragslücke, die gefüllt werden muss.
Ein weiteres Problem steht vielen Herstellern per Juni 2018 ins Haus. Denn 2010 wurde die neue Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung 461/2010 eingeführt, die für das Handelsgeschäft ab dem ersatzlosen Auslaufen der bisherigen Kfz-GVO 1400/2002 im Juni 2013 wirksam wurde. Im Brüsseler Amtsdeutsch wurde festgelegt, dass "Vereinbarungen mit Markenzwang" nur fünf Jahre ihre Gültigkeit bewahren. Vertragsklauseln, mit denen Händler verpflichtet werden, "Kraftfahrzeuge nur von diesem Anbieter oder anderen von diesem Anbieter angegebenen Unternehmen zu beziehen", sind nur gültig, "sofern diese Wettbewerbsverbote nicht länger als fünf Jahre gelten".
EU-Wettbewerbsrecht, Markenexklusivität Gleichzeitig wurde bestimmt, dass eine "Verlängerung über diese fünf Jahre hinaus der ausdrücklichen Zustimmung beider Seiten bedarf". Untersagt wurden alle Maßnahmen, die "den Händler daran hindern, das Wettbewerbsverbot nach dem Ablauf der fünf Jahre tatsächlich auslaufen zu lassen". Doch Markenexklusivitätsklauseln für einen unbestimmten Zeitraum oder für mehr als fünf Jahre verstoßen gegen das EU-Wettbewerbsrecht und sind daher kartellrechtswidrig. "Dasselbe gilt für Wettbewerbsverbote, die über einen Zeitraum von fünf Jahren hinaus stillschweigend verlängert werden können."
Natürlich wurde bei VW darüber nachgedacht, wie man aus der Klemme heraus kommt. Die EU-Kommission hatte aber bereits 2010 in Erwartung phantasievoller Konstruktionen in den "Ergänzenden Leitlinien" (2010/C 138/05) klargelegt: "Behinderungen, Kündigungsdrohungen oder die Androhung, dass der Markenzwang wieder eingeführt wird, bevor der Händler oder der neue Anbieter genügend Zeit hatte, um seine unwiederbringlichen Investitionen zu amortisieren, würden einer stillschweigenden Verlängerung dieses Markenzwangs gleichkommen" - und damit ebenfalls kartellrechtswidrig sein. Diese Bestimmung verursachte besonders den Audi-Strategen Kopfzerbrechen. Seit 2007 hatte man den Vertriebspartnern "wegen steigender Leistungsanforderungen an den Handel" mit Kündigungsandrohungen (Nichterfüllung der Vertriebsstandards) das teure "Hangar"-Konzept aufs Auge gedrückt. Da von einer Amortisation dieser Investition bisher keine Rede sein kann, darf Audi die Händler nicht mit Kündigungsdrohungen zu einer Verlängerung ihrer Markenexklusivität zwingen.
Aus Händlern werden Verkaufsagenten Die Idee ist daher, künftig dem Verbot vertikaler Vertriebsbindungen des Artikel 101 des EU-Vertrages durch völlig neue Rechtskonstruktionen auszuweichen. Denn dieses Verbot gilt nicht für all jene "echten" Agenten, denen der Hersteller kein unternehmerisches Risiko aufhalst. Ziel ist es daher, aus Händlern Verkaufsagenten zu machen. Das Autohaus vermittelt nur das Geschäft mit dem Kunden -der Abschluss erfolgt direkt mit dem Konzern in Deutschland. Die Agenten werden für ihre Dienstleistungen - vom Verkauf bis hin zur Auslieferung -mit Provisionen entlohnt. Ein System, das in Österreich bereits die beiden Mercedes-Händler Pappas und Wiesenthal mit ihren kleineren Vertriebspartnern erfolgreich praktizieren. Der Haken bei dieser Sache ist, dass dem "echten" Agenten kein Inkassorisiko aufgehalst werden darf. Deshalb arbeiten findige Juristen derzeitdaran, die Agenten gleichzeitig zu "Auslieferungskommissionären" zu machen. Denn auch Verträge mit Kommissionären unterliegen nicht den Kartellbeschränkungen des Art. 101 AEUV. Die bisherigen Händler trifft somit keine Lagerhaltungspflicht; das Lager wird -soweit noch erforderlich -vom Hersteller mit Kommissionsware bestückt. Doch dieser wird mithilfe der Digitalisierung des Verkaufsprozesses die Lagerhaltung möglichst reduzieren. Die Kunden werden künftig ihre Autos beim Hersteller -via Agent - maßgeschneidert in Auftrag geben und (wie bei Amazon) auch direkt ins Ausland bezahlen.
Da es künftig keine Händler mehr geben wird, gibt es auch kein Problem mit befristeten Markenexklusivitätsklauseln mehr. In Deutschland soll es für Autohäuser ab einem Jahresvolumen von 800 Audi pro Jahr eine Art Basisvertrag geben -an dem derzeit noch gefeilt wird. Die daran anschließenden neuen Agentenverträge wird es nur noch modellbezogen - vor allem für die neuen E-Autos und die Premiumfahrzeuge - geben.
Mit diesem neuen Verkaufsmodell möchte Audi- Chef Rupert Stadler mehrere Fliegen auf einmal schlagen: Die Verpflichtung zur Markenexklusivität kann rechtlich weiterhin aufrecht erhalten bleiben. Durch die Digitalisierung des Verkaufsprozesses können die Kosten der Einzelhandelsstufe eingespart werden. Die bisherigen Händlerkunden werden zu Herstellerkunden. Die Autos sind künftig fahrbare Datenspeicher und Konsumportale, mit deren Daten sich neue Geschäftsfelder und Geschäftsmodelle entwickeln lassen. Der dabei anfallende Digitalisierungsprofit bleibt -rechtlich unanfechtbar -beim Geschäftsherrn des Agentengeschäftes-somit beim Hersteller. Der kann damit jene Ertragslücke kompensieren, die durch den Wegfall des Ersatzteilgeschäfts zu erwarten ist.
Fraglich ist, wie sich der Entfall der Einzelhandelsstufe auf das konzerneigene Retailgeschäft auswirken wird. Schließlich verursacht der Direktvertrieb auch beim Hersteller Kosten. Und die Handelsorganisation der Salzburger Porsche Holding war schon bisher recht schlank aufgestellt. Ob da eine komplette organisatorische Eingliederung in den Konzern Einsparungen bringen kann, wird eherbezweifelt.
Audi als Vorreiter, dann folgen VW, Seat und Skoda Audi will parallel zur Einführung des neuen A8 bereits per 1. Oktober 2017 mit dem neuen Direktvertrieb anfangen. Bei Volkswagen soll es mit 1. März 2018 so weit sein. Wobei sich Österreichs VW-Händlerobmann Stefan Hutschinski diplomatisch darauf verlässt, dass ja auch die konzerneigenen Autohäuser darauf achten müssen, bei neuen Verträgen von Wolfsburg nicht über den Tisch gezogen zu werden. "Es ist gemeinsam abzuklären, wie der Handel unter den neuen Rahmenbedingungen zukünftig ein positives Ergebnis erwirtschaften soll."
Wenn alles glatt geht, sollen dann mit 1. Juni 2018 Skoda und Seat dem neuen Vertriebsmodell folgen. Viel Zeit für Vertragsverhandlungen bleibt bei diesem Zeitplan nicht. Primär wird es aber darum gehen, ob der Konzern überhaupt in der Lage ist, diese Umstellung in so kurzer Zeit organisatorisch zu bewältigen. Denn der Hund ist bekanntlich im Detail begraben, z. B. in den vielen EDV-Programmen, die an dieneue Situation angepasst werden müssen.
Umstellung der Wertschöpfung Mit derartigen Details wollte man die nach Berlin angereisten VW-Partner nicht belasten. Weshalb sich Stackmann, sein Aftersales-Chef Peter Maiwald und Europa-Verkaufschef Wolf-Stefan Specht bisher mit der Aussage begnügten, dass es "um die grundsätzliche Umstellung der Wertschöpfung im Handel" gehe. Nach den Berechnungen des deutschen Händlerverbandsvorsitzenden Dirk Weddingen von Knapp würde diese "Umstellung" den neuen Agenten eine Halbierung des Ertragsvolumens bescheren. Was den einen oder anderen Händler dazu veranlassen könnte, aus diesem Geschäft gleich auszusteigen.