Eine für Fachleute kaum begreifliche Bieterschlacht lieferten sich im
Vorjahr Deutschlands Mercedes-Händler. Innerhalb von zwölf Monaten
hat die Daimler AG 63 ihrer 158 Standorte verkauft -und dabei um rund
100 Millionen Euro mehr erzielt, als in der Konzernzentrale
ursprünglich erwartet worden war.
Mit 33 Niederlassungen an 158 Standorten, rund 16.000 Mitarbeitern
und einem Umsatz von etwa 10 Milliarden Euro erwirtschafteten die
Daimler-Autohäuser 2012 einen Verlust von rund 45 Millionen Euro.
Allen Finanzleuten war klar, dass mit einer simplen Umstrukturierung
das intern vorgegebene Margenziel von 3 Prozent nie erreichbar sein
würde. Mitte 2013 kursierten daher erstmals Gerüchte, dass sich der
Konzern von einem Teil seines Netzes trennen will. Als
Kaufinteressenten für einen derartigen Superdeal wurden etwa der
ehemalige US-smart-Importeur Roger Penske und seine Automotive Group
oder diverse Finanzinvestoren genannt.
Mitte 2014 wurde klar, dass sich Daimler durch einen derartigen
Abverkauf keinen neuen Megadealer an der Seite der im Konzern
verbleibenden Autohäuser heranzüchten will. Stattdessen rückte ein
scheibchenweiser Abverkauf in den Fokus -was die Vertriebspartner
hoffen ließ, ein Schnäppchen zu erhaschen.
Investor aus Fernost
Groß war daher der Frust, als sich der erste Käufer
herauskristallisierte -die "Lei Shing Hong Ltd."(LSH) aus Hongkong,
ein Mischkonzern des malaysischen Auslandschinesen Chor Lok Lau mit 9
Milliarden Euro Umsatz und 120 Autohäusern in China, der bereits seit
1986 mit Mercedes handelt und zwischenzeitig zum weltweit größten
Mercedes-Partner aufgestiegen ist. Am Beginn des Verkaufsverfahren
Ende 2014 waren die Chinesen nur für die Konzernfiliale in Erfurt mit
zwei zugehörigen Niederlassungen im Gespräch. Dann stellte sich
heraus, dass sich die LSH-Tochter "Stern Auto GmbH" in Ostdeutschland
gleich 15 konzerneigene Betriebe gesichert hat. Auch war sie bereit,
den Mitarbeitern weiterhin das höhere Konzernlohnniveau zu bezahlen,
das zwar im Osten zwischen Rostock und Dresden unter dem Westniveau
liegt, aber doch über den Tarifgehältern des Gewerbes. Ein
asiatischer Multi, den sich die anderen Mercedes-Händler nicht gerade
als benachbarte Markenkollegen gewünscht haben.
Unklare Bieterbewertung
Die angestammten Mercedes-Händler mussten sich von ihrem Traum
trennen, dass beim Abverkauf nur deutsche Händler zum Zug kommen
werden. Bei der von Daimler organisierten "Versteigerung" ihrer
Filialen nutzten auch kollegiale Absprachen nichts- denn es wurden
auch netzfremde Händlergruppen und sogar branchenfremde Investoren
als Bieter zugelassen. Es ging somit für jeden darum, sich durch
Zukäufe von Konzernstandorten die Konkurrenz so weit wie möglich vom
eigenen Leib zu halten. Von der Konzernzentrale bekamen die
Interessenten lediglich zu hören, dass das bisherige Gleichgewicht
unter den Händlern gewahrt bleiben soll. Es blieb jedoch unklar,
welche "Bewertungskriterien" abseits vom reinen Preisgebot in welcher
Form berücksichtigt wurden.
Kaufrausch mit Folgen
Allen großen Händlern war klar, dass weiteres Wachstum in einem
gesättigten Markt nur durch teuren Verdrängungswettbewerb oder
Zukäufe möglich ist. Sie wussten, dass es nach diesen
Konzernabverkäufen des Jahres 2015 im Mercedes-Netz nicht so bald
wieder Zukaufsmöglichkeiten geben wird. Dass zwischen2017 und 2019
weitere Niederlassungen zum Verkauf gelangen könnten, war und ist
bisher schließlich nur eine Vermutung mancher Insider.
Die vom Konzern ausgemusterten Autohäuser wurden den Interessenten
nicht als Gesamtunternehmen angeboten, sondern im Rahmen eines
Asset-Deals. Daimler konnte daher bestimmen, bei welchem Standort
welche Unternehmensbestandteile zu welcher Bewertung angeboten
werden. Der Kaufrausch der Händler brachte es mit sich, dass bei
diesen "Ausschreibungen" die sonst beim Unternehmensverkauf üblichen
Bewertungskriterien vernachlässigt wurden. So bietet ein Hersteller
für den Rückkauf eines Ersatzteillagers seinem Händler meist nur 50
Prozent des Einkaufswertes -beim Verkauf der eigenen Niederlassung
verlangte Daimler dafür volle 100 Prozent. Lagerfahrzeuge werden beim
"normalen" Unternehmensverkauf mit Abschlägen von 10 bis 20 Prozent
auf den DAT-Schätzpreis bewertet -beim Filialabverkauf wechselten sie
zu vollen 100 Prozent den Besitzer.
Kein Fall für Pappas
Für die Stuttgarter war nützlich, dass sich auch die Schweizer
Emil-Frey-Gruppe unter die Bieter gemischt hatte. Die lag in
Deutschland 2014 mit 2.218 Mitarbeitern, 75.560 Neu-und
Gebrauchtwagen und 1,48 Milliarden Euro Umsatz knapp auf Platz zwei
hinter der AVAG-Gruppe mit 85.687 Einheiten. Frey erhielt als
Markenneuling gegen drei eingesessene Mercedes-Händlergruppen den
Zuschlag für die Filiale Kassel-Göttingen mit 480 Mitarbeitern und
4.000 Einheiten und Ende Dezember 2015, ganz zum Schluss des gesamten
Abverkaufs, auch noch die Filiale Mainfranken mit 4 Standorten, 300
Mitarbeitern sowie zuletzt knapp 5.000 Neu-und
Gebrauchtwagenverkäufen. Womit es den Schweizern mit ihrem neuen
"Stern" möglicherweise erstmals gelingen wird, die AVAG von der
Spitze des deutschen Händler-Rankings zu verdrängen.
Dagegen ist für die in Bayern seit 2005 mit Pappas&Werlin in
Traunstein präsente Pappas-Gruppe der deutsche Ausverkauf nur von
untergeordneter Bedeutung. Für eine grenzüberschreitende weitere
Expansion waren auch die äußerst komplexen deutschen
Übernahmsverträge hinderlich, die mit der eigenen Strategie nicht in
Einklang zu bringen waren. Man machte mit, aber nichtzu jedem Preis
-und kam daher auch nicht zum Zug.
Moralische Verantwortung
Für Daimler war der "Super Sale" ein gutes Geschäft. Er wird die
Bilanzen ordentlich aufpolieren: Wer hätte schon gedacht, dass sich
die bisherigen Renditekiller so lukrativ verkaufen lassen? Bis diese
Verkäufe komplett abgewickelt sind, wird es noch einige Monate
dauern. Ob sie sich auch für die Händler rechnen, wird sich erst viel
später herausstellen.
Zumindest moralisch trägt Daimler eine Verantwortung, dass den zum
Zug gekommenen Händlern bei der Rückzahlung der Kredite nicht die
Luft ausgeht. Und davon abgesehen: Was sagt es eigentlich über die
Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells Autohandel aus, wenn der
Hersteller selbst darin keine ausreichenden Ertragschancen mehr
sieht?