Als "18. Bundesland von Deutschland" fühlt sich Österreichs
Reifenhandel inzwischen von Teilen der Reifenindustrie behandelt. Bei
vollen Überlagern aus Altbeständen gestaltet sich die Einlagerung bei
der "über"-nächsten Saison entsprechend schwierig.
Wer sich nicht in eine Franchise-Vereinbarung mit der Industrie
flüchten kann oder nicht eine lokal bedeutsame Kompetenz in der
Kundenpflege auszuüben versteht, dem sind im freien
Reifen(fach)handel zunehmend die Überlebensstrategien genommen. Die
Industrie verschiebt die Distributionsordnung zu ihren Bedingungen
nach Belieben, zürnt die heimische Händlerschaft ob ihrer mangelnden
Ertragskraft und prangert gleichzeitig eine historisch hohe
Profitabilität der Reifenindustrie an. "Die Industrie präferiert eine
kontrollierte Vertriebsstrategie", legt Branchen-Urgestein Herbert
Varga von Reifen-Team in Salzburg und Tirol den Finger in die Wunde
des frei agierenden Reifenhandels: "In Österreich sind die
Niederlassungsmanager nur noch Überbringer meist negativer
Konzern-Entscheidungen."
Der freie Reifenhandel als Partner der Industrie wird dort weiter
"gepflegt", wo er von Nutzen ist. Ansonsten können natürlich auch
kleine Händler über Internetportale zu Großhändlern werden -trotz
mangelnder Kompetenz.
Dennoch erkennt der Reifen(fach)handel nicht den Ernst der Lage.
Professionalisieren ja, ohne gemeinsame Orientierung sich der
Industriemacht entgegenzustellen, kann nicht funktionieren. Gar nicht
in einem weiter in Menge und Marge sinkenden Markt.
Das Labeling ist mangels Exekutierwilligkeit der Industrie zur
stumpfen Waffe verkommen, kostet aber Verwaltungsaufwand, den niemand
bezahlt.
RDKS (Reifendruckkontrollsystem) verteuert dem Kunden den
Umrüstaufwand in den Sommer-und Winterreifen-Saisonen und führt -auch
in alpinen Lagen -kerzengerade in die Nutzung von Ganzjahresreifen.
Erste Leasinggesellschaften verordnen ihren Kunden bereits diesen
Reifentyp, der bei entsprechender Marktdurchdringung in geschätzten 5
Jahren auch das Reifendepotgeschäft der lokalen Händler ruiniert.
Erstausrüstungsfreigaben bereiten diesen Weg!
Im Markt herrscht Anarchie
Der Druck wächst von allen Seiten und die Märkte gehen auch 2016
zurück. In dieser unheiligen Allianz schreitet die Konzentration fort
und die Hersteller bedienen sich der Rosinen. Im Markt herrscht
Anarchie. Jeder verkauft an jeden und die Reifenpreise befinden sich
in allen Angebotslagen im freien Fall.
Da nützen auch die soeben veröffentlichten Sommerreifen-Tests immer
weniger, wenn die Leute kein Geld haben, sich die Produkte zu kaufen
oder eben die Leasing-und Flottenorganisationen den Takt vorgeben,
was im Markt geht oder nicht. Irritierend kommt dann hinzu, dass just
im Hochleistungsreifensegment Rückrufaktionen starten, weil die
Produktqualität zu wünschen offen lässt. "Muss auf der Seitenflanke
noch der Premium-Markenname stehen", fragt Varga stellvertretend für
die gebeutelte Branche, "wenn der Kunde ohnehin nur preisorientiert
kauft?" Spätestens ab da kann sich der Reifen(fach)handel wieder ins
Interessenspiel der Hersteller bringen: Wer eine Top-Marke sucht und
deswegen zum Reifen(fach)-handel kommt, zahlt dafür. "Für den Reifen
im richtigen Preis-Leistungs-Verhältnis sind wir zuständig", folgert
Varga, "zum Überleben wird es den meisten meiner Kollegen nicht
reichen." Die Hersteller ficht das nicht weiter an, lautet ein
weiterer Kritikpunkt aus dem etablierten Reifenhandelsszenario. Trotz
sinkenden Reifenabsatzes und der sich weiter eintrübenden
wirtschaftlichen Gesamtsituation steigt die Zahl der Filialen im
Reifenfachhandel und betriebswirtschaftlich nicht überlebensfähige
Betriebe werden durch Einkaufskonditionen oder Übernahmen gestützt.
Peter Hülzer vom BRV: "Die Fragmentierung des Marktes bleibt
bestehen, obwohl eine Konsolidierung des Gesamtmarktes zwingend
wäre." Besonders davon ist der Pkw-Reifenmarkt betroffen, weniger das
Nfz-Segment, dasanderen Gesetzen der Kundenpflege unterliegt.
Angemessene Beratungskompetenz, auf die sich die Lieferanten und
Kunden verlassen können, wird immer weniger rentabel. Dazu kommen
signifikante Zunahmen im Onlinevertrieb zwischen geschätzten 12 und
15 Prozent Marktanteil.
Der Reifen(fach)handel versucht, sich mit Blick auf die sich
wandelnden Markt-und Kundenbedürfnisse zumindest ein neues Zielbild
zu geben. Die Lust der Produzenten daran mitzuwirken, hält sich bis
dato allerdings in überschaubaren Grenzen. Die Situation für den
Reifenfachhandel kann sich erst wieder positiv verändern, wenn den
Herstellern die Rohstoffpreisvorteile verloren gehen unddie
Reifenmarken wieder lokal um die Kundengunst für ihre Reifen fighten
müssen.
Die Reifenhersteller, ist sich die Reifen(fach)handelsszene zumindest
in diesem Fall klar geworden, werden entscheiden, ob sie weiter
Wettbewerbsverzerrung und mangelnde Konsolidierung im Markt zulassen
oder den Willen zur notwendigen Vertriebsgemeinsamkeit aufbringen.
(LUS)