Wer sich nicht in eine Franchise-Vereinbarung mit der Industrie flüchten kann oder nicht eine lokal bedeutsame Kompetenz in der Kundenpflege auszuüben versteht, dem sind im freien Reifen(fach)handel zunehmend die Überlebensstrategien genommen. Die Industrie verschiebt die Distributionsordnung zu ihren Bedingungen nach Belieben, zürnt die heimische Händlerschaft ob ihrer mangelnden Ertragskraft und prangert gleichzeitig eine historisch hohe Profitabilität der Reifenindustrie an. "Die Industrie präferiert eine kontrollierte Vertriebsstrategie", legt Branchen-Urgestein Herbert Varga von Reifen-Team in Salzburg und Tirol den Finger in die Wunde des frei agierenden Reifenhandels: "In Österreich sind die Niederlassungsmanager nur noch Überbringer meist negativer Konzern-Entscheidungen."

Der freie Reifenhandel als Partner der Industrie wird dort weiter "gepflegt", wo er von Nutzen ist. Ansonsten können natürlich auch kleine Händler über Internetportale zu Großhändlern werden -trotz mangelnder Kompetenz.

Dennoch erkennt der Reifen(fach)handel nicht den Ernst der Lage. Professionalisieren ja, ohne gemeinsame Orientierung sich der Industriemacht entgegenzustellen, kann nicht funktionieren. Gar nicht in einem weiter in Menge und Marge sinkenden Markt.

Das Labeling ist mangels Exekutierwilligkeit der Industrie zur stumpfen Waffe verkommen, kostet aber Verwaltungsaufwand, den niemand bezahlt.

RDKS (Reifendruckkontrollsystem) verteuert dem Kunden den Umrüstaufwand in den Sommer-und Winterreifen-Saisonen und führt -auch in alpinen Lagen -kerzengerade in die Nutzung von Ganzjahresreifen. Erste Leasinggesellschaften verordnen ihren Kunden bereits diesen Reifentyp, der bei entsprechender Marktdurchdringung in geschätzten 5 Jahren auch das Reifendepotgeschäft der lokalen Händler ruiniert. Erstausrüstungsfreigaben bereiten diesen Weg!

Im Markt herrscht Anarchie

Der Druck wächst von allen Seiten und die Märkte gehen auch 2016 zurück. In dieser unheiligen Allianz schreitet die Konzentration fort und die Hersteller bedienen sich der Rosinen. Im Markt herrscht Anarchie. Jeder verkauft an jeden und die Reifenpreise befinden sich in allen Angebotslagen im freien Fall.

Da nützen auch die soeben veröffentlichten Sommerreifen-Tests immer weniger, wenn die Leute kein Geld haben, sich die Produkte zu kaufen oder eben die Leasing-und Flottenorganisationen den Takt vorgeben, was im Markt geht oder nicht. Irritierend kommt dann hinzu, dass just im Hochleistungsreifensegment Rückrufaktionen starten, weil die Produktqualität zu wünschen offen lässt. "Muss auf der Seitenflanke noch der Premium-Markenname stehen", fragt Varga stellvertretend für die gebeutelte Branche, "wenn der Kunde ohnehin nur preisorientiert kauft?" Spätestens ab da kann sich der Reifen(fach)handel wieder ins Interessenspiel der Hersteller bringen: Wer eine Top-Marke sucht und deswegen zum Reifen(fach)-handel kommt, zahlt dafür. "Für den Reifen im richtigen Preis-Leistungs-Verhältnis sind wir zuständig", folgert Varga, "zum Überleben wird es den meisten meiner Kollegen nicht reichen." Die Hersteller ficht das nicht weiter an, lautet ein weiterer Kritikpunkt aus dem etablierten Reifenhandelsszenario. Trotz sinkenden Reifenabsatzes und der sich weiter eintrübenden wirtschaftlichen Gesamtsituation steigt die Zahl der Filialen im Reifenfachhandel und betriebswirtschaftlich nicht überlebensfähige Betriebe werden durch Einkaufskonditionen oder Übernahmen gestützt. Peter Hülzer vom BRV: "Die Fragmentierung des Marktes bleibt bestehen, obwohl eine Konsolidierung des Gesamtmarktes zwingend wäre." Besonders davon ist der Pkw-Reifenmarkt betroffen, weniger das Nfz-Segment, dasanderen Gesetzen der Kundenpflege unterliegt. Angemessene Beratungskompetenz, auf die sich die Lieferanten und Kunden verlassen können, wird immer weniger rentabel. Dazu kommen signifikante Zunahmen im Onlinevertrieb zwischen geschätzten 12 und 15 Prozent Marktanteil.

Der Reifen(fach)handel versucht, sich mit Blick auf die sich wandelnden Markt-und Kundenbedürfnisse zumindest ein neues Zielbild zu geben. Die Lust der Produzenten daran mitzuwirken, hält sich bis dato allerdings in überschaubaren Grenzen. Die Situation für den Reifenfachhandel kann sich erst wieder positiv verändern, wenn den Herstellern die Rohstoffpreisvorteile verloren gehen unddie Reifenmarken wieder lokal um die Kundengunst für ihre Reifen fighten müssen.

Die Reifenhersteller, ist sich die Reifen(fach)handelsszene zumindest in diesem Fall klar geworden, werden entscheiden, ob sie weiter Wettbewerbsverzerrung und mangelnde Konsolidierung im Markt zulassen oder den Willen zur notwendigen Vertriebsgemeinsamkeit aufbringen. (LUS)