Die Reifenindustrie macht in der Erstausrüstung satte Gewinne, auch
Autoimporteure und Flotten sind bequeme Großabnehmer. Welche Rolle
soll der Reifen(fach)handel dabei noch spielen?
Die Reifenindustrie kann zufrieden sein: Die Erstausrüstung mit
Gummis ist -im Gegensatz zu anderen Zulieferbereichen -ein lukratives
Geschäft. Gleichzeitig entdecken die Automobilimporteure das
Reifengeschäft für ihren Ersatzteilbereich. Der Autohändler muss beim
Importeur beziehen, um an Aktionen teilnehmen zu können bzw. um
seinen Ersatzteilbonus zu erreichen. Ebenso springen die freien
Teilehändler langsam auf den Reifenzug auf, nicht zuletzt sind die
Flottenbetreiber und Leasingfirmen potenzielle Großkunden. Das alles
vereinfacht für die Reifenhersteller den Vertrieb bei gleichzeitiger
Volumenerhöhung. Den Reifen(fach)betrieb mitteurem Außendienst
individuell zu betreuen ist -in Relation zur Stückzahl
-vergleichsweise aufwändig.
Doch die Zeiten werden sich wiederändern. Die Automobilhersteller,
die das Auspressen ihrer Zulieferer perfektioniert haben, werden auch
das Reifengeschäft in ihrem Sinne in den Griff bekommen. Ebenso
werden sich die Autoimporteure, Teilegroßhändler sowie
Flottenbetreiber und Leasingfirmen ihr Volumen belohnen lassen.
Letztlichwird sich also herausstellen, dass die Betreuung des
kleineren Fachhändlers zwar aufwändig ist, in Wirklichkeit aber die
größte Marge für die Reifenindustrie bringt.
Reifenhandel nimmtÜberkapazitäten
Außerdem ist der Reifenhandel, hier vor allem die großen Player, der
beste Abverkaufs-Kanal für die vorhandenen Überkapazitäten. Wer nimmt
schließlich die Reifen, die Autohersteller aufgrund der Flaute bei
einem Modell oder der ganzen Marke nicht abnehmen? Zum Volumenpreis
kann man die Gummis noch immer locker an den Großhändler verkaufen,
der damit im darauffolgenden Jahr preisaggressiv in den Markt geht.
Unangenehm ist es für den regionalen Reifenhändler, der seine
Kalkulation und seine Einlagerungen ohne den überraschenden
Störfaktor geplant hat.
Der Verkauf in die Fläche, also eine große Zahl an Partnern, ist
dennoch unverändert wichtig und sinnvoll. Denn die Reifenindustrie
hat trotz aller Kritik an der Überproduktion ein Kapazitätsproblem,
das nur mit dem Reifenfachhandel zu lösen ist.
Sollte es wider Erwarten doch wieder einen strengen Winter in ganz
Mitteleuropa geben, dann werden entsprechend große Mengen gebraucht.
Sollte es der Winter stückzahlmäßig hergeben, können nicht die
Produktionsmaschinen angeworfen werden, dann ist es zu spät. Und das
möchte freilich kein Reifenhersteller akzeptieren.
Verkauft wird nur, was produziert wurde
Das bedeutet: Die Ware, die im optimalen Fall verkauft werden könnte,
muss im Herbst verfügbar sein; idealerweise beim Reifenhändler
eingelagert und zumindest fakturiert (von bezahlt kann noch keine
Rede sein). Auch wenn alle Hersteller Besserung geloben, den Druck
vom Reifenfachhandel nehmen und das Volumen reduzieren wollen: Es
wird nicht passieren. Wachstum ist Gesetz und jeder Reifen, der nicht
produziert wird, kann auch nicht verkauft werden. Denn jeder
Reifenhändler ist kluger Kaufmann, der zuerst seine lagernde Ware
verkauft. Was also nicht auf Lager ist, wird nachrangig angeboten.
Jeder Lieferant muss danach trachten, im Händler-Lager präsent zu
sein.
Letztlich ist der Reifen(fach)händler der verlässlichste Partner für
die Industrie, die offiziell auch nicht müde wird, das zu betonen.
Sollte die Reifenindustrie den Reifenfachhandel behalten wollen,
sollte sie bald was dafür tun und die Betriebe sowohl bei Lager und
Logistik wie auch bei einer ausreichenden Marge unterstützen. Das
Nachverhandeln nach einer schlechten Saison wird dabei zum Standard
werden.