Der Zugang zu den "Restwertermittlungsplattformen" der Kfz-Versicherungen ist einem kleinen Personenkreis vorbehalten. Das hat mehrere Gründe: Einerseits mussten sich die Versicherer von der ersten Stunde an gegen den Vorwurf wehren, dass in diesen Internetbörsen nicht realistische Marktwerte, sondern Höchstgebote ermittelt werden -zuweilen womöglich eher durch das Interesse am Typenschein als am havarierten Fahrzeug motiviert. Dem möchte man mit einer restriktiven Zugangspolitik entgegenwirken.
Andererseits geht es wohl auch darum, negative Publicity zu vermeiden. Ein Besuch in der Wrackbörse kann nämlich erstaunliche Einblicke eröffnen -zum Beispiel dann, wenn es um die Umsetzung des am 1. April in Kraft getretenen Erlasses zur Altfahrzeugeverordnung geht.
Klare Regeln
Zum Hintergrund: Bereits im Herbst 2013 hatte der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass nicht mehr zulassungsfähige Autos als "gefährlicher Abfall" zu betrachten sind. Im heurigen Frühjahr stellte das Umweltministerium klar, wie die Unterscheidung zwischen Altfahrzeug und Abfall zu erfolgen hat: "Übersteigen die durchschnittlichen Wiederherstellungs- und Reparaturkosten in Österreich, die für die Herstellung eines zulassungsfähigen Zustandes aufzuwenden sind, den Zeitwert des Fahrzeuges in unverhältnismäßig hohem Ausmaß, liegt Abfall vor", heißt es in dem von "AUTO&Wirtschaft" im Mai vorgestellten Erlass.
Ausdrücklich nimmt das Ministerium darin Bezug auf die Wrackbörsen: "Wenn die Abfalleigenschaft eines Fahrzeuges erfüllt ist, darf der Versicherer bei der Ermittlung des Wrackwertes nur zur Sammlung und/oder Behandlung von Altfahrzeugen berechtigte Bieter nach§ 24a AWG 2002 dem Eigentümer des Altfahrzeuges als potentielle Käufer vorschlagen." Die Praxis sieht jedoch anders aus.
Fragwürdige Angebote
Ein Teilnehmer am "Restwertcenter" von Audatex, hierzulande die dominierende Wrackbörse, durchforstete Ende Juni mit Verwunderung das Fahrzeugangebot. Obwohl er keine Genehmigung für den Ankauf von gefährlichem Abfall besitzt, wurde ihm beispielsweise von der Oberösterreichischen Versicherung ein Mercedes-Benz C270 Elegance CDI (Erstzulassung März 2001,171.439 Kilometer Laufleistung) angeboten. Die Schadenbeschreibung umfasste einen "massiven Anstoß an der linken Fahrzeugseite vorne" samt "schwerem Achsschaden", großflächig eingedrücktem Radkasten, deformierter A-Säule und ausgelösten Fahrer-,Seiten und Dachairbags. Die Reparaturkosten wurden im Sachverständigengutachten mit 15.231,60 Euro beziffert, der Restwert -der in der Börse freilich deutlich in die Höhe getrieben werden soll -mit mindestens 900 Euro. Wenn das kein "Abfallauto" ist?
Die Uniqa ließ eine im September 2008 erstmals zugelassene Mercedes B-Klasse mit 104.389 Kilometern am Tacho in das Restwertcenter einstellen. Ihr Motorraum hatte nur mehr entfernte Ähnlichkeit mit dem üblichen Erscheinungsbild eines Pkw, was zu Wiederherstellungskosten von 14.181,12 Euro bei einem Restwert von mindestens 1.800 Euro führte.
Besonders eklatant: Ein Kastenwagen vom Typ VW T5 TDI 4motion (Erstzulassung Jänner 2013,15.000 Kilometer geschätzte Laufleistung) stand mit einem Restwert von 250 Euro und Reparaturkosten von 63.600 Euro (!) in der Audatex-Börse. Die dem Zustandsbericht beiliegenden Bilder zeigten ein völlig zerstörtes Fahrzeug, das nicht einmal als Teilespender taugt. Was soll einen potenziellen Käufer motivieren, auf dieses Fahrzeug zu bieten -abgesehen vom Typenschein?
Vier Anlassfälle
Die Liste an fragwürdigen Fahrzeugangeboten ließe sich über mehrere Seiten fortsetzen. Wir haben einige Versicherungen mit ausgewählten Fällen konfrontiert. Bei der Zurich wollte man nicht im Detail Stellung nehmen und beschränkte sich auf die allgemeine Aussage, dass Abfallfahrzeuge "nur einem ausgewählten Bieterkreis" angeboten würden - obwohl unsere Recherchen das Gegenteil nahelegen.
Die Allianz wurde von uns auf zwei fragwürdige Audi-Angebote angesprochen: Ein A4 Kombi (Erstzulassung November 1997,238.199 Kilometer) wies einen Mindestrestwert von 400 Euro und Reparaturkosten von 4.339,69 Euro auf, der andere A4 Kombi (Erstzulassung September 2003,356.171 Kilometer) kam auf 350 Euro Restwert und 13.988,40 Euro Wiederherstellungskosten. Offensichtlich sei dem für die Schadenbegutachtung verantwortlichen Tochterunternehmen Top Report "ein Fehler bei der Zuordnung unterlaufen", antwortete Konzernsprecherin Elisabeth Rashid: "Wir gehen den Ursachen dafür nach. Als Sofortmaßnahme haben wir diese beiden Fahrzeugeder richtigen Plattform zuordnen lassen."
Bei der Uniqa fiel uns unter anderem eine Audi A4 Limousine (Erstzulassung Februar 1999,291.356 Kilometer) auf. Immerhin standen hier einem Restwert von mindestens 350 Euro die Wiederherstellungskosten von 3.599,99 Euro gegenüber. "Das Vorliegen eines wirtschaftlichen Totalschadens ist evident", hieß es aus der Schadenabteilung der Uniqa. Allerdings handle es sich bei der Beschädigung um einen Streifschaden an der linken Fahrzeugseite -und tatsächlich ist für die Abfalldefinition die §-57a-Tauglichkeit ausschlaggebend, die von einigen Kratzern im Lack nicht beeinträchtigt wird. "Die Kosten für Herstellung eines zulassungsfähigen Zustandes dürfen nicht mit den Kosten im Sinne schadenersatzrechtlicher Wiederherstellung verwechselt werden", stellte man bei der Uniqa klar.
Begrenzter Eifer?
Vor allem das letzte Beispiel zeigt, dass die Unterscheidung zwischen Altauto und Abfall nicht immer offensichtlich ist. Allerdings steht den Sachverständigen mit dem "Abfallprüfmodul" im Reparaturkalkulationsprogramm "Autopreisspiegel" eine zuverlässige und einfach zu bedienende Software zur Verfügung. Sind die zahlreichen Abfallautos in der Wrackbörse wirklich nur eine Folge dessen, dass sich die neuen rechtlichen Vorgaben noch nicht überall herumgesprochen haben?
Kritische Beobachter verweisen darauf, dass die Versicherungswirtschaft bei solchen Fahrzeugen aufgrund des eingeschränkten Bieterkreises mit deutlich niedrigeren Restwertangeboten rechnen muss als bei herkömmlichen Totalschäden. Ihr Eifer bei der Umsetzung des Erlasses könnte sich also in Grenzen halten -zumindest so lange, als es keine strengen Kontrollen der Behörden gibt.
Gefährdete Konsumenten
Mit einem schärferen Durchgreifen ist ab Jänner 2016 zu rechnen. Ab dann müssen nämlich die Transporteure von Altfahrzeugen nachweisen, dass es sich bei den mehr oder minder stark beschädigten Autos auf ihren Ladeflächen um ordnungsgemäße Gebrauchtfahrzeuge handelt. Diese simple Dokumentenkontrolle wirdfür die Exekutive deutlich einfacher sein als eine Recherche in halbprivaten Onlinebörsen.
Ob dies ausreichen wird, um die Altfahrzeugeverordnung mit Leben zu erfüllen und den Exporten endlich den von der Politik gewünschten Riegel vorzuschieben, wird sich zeigen. Jedenfalls sollten vor allem die Autobesitzer auf der Hut sein: Sie haften nämlich schon jetzt dafür, dass ihr havariertes Auto einem berechtigten Übernehmer verkauft wird -auch dann, wenn dasUnfallfahrzeug ganz ohne ihr Zutun in eine Wrackbörse eingestellt wurde.
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