Wir erinnern uns alle noch sehr an die Lobpreisungen der Globalisierung: Nicht mehr vor unserer Haustür verkaufen wir künftig unsere Produkte, sondern in der großen, weiten Welt. Endlich -so prophezeiten uns die Wirtschaftswissenschafter und mit ihnen die Vorstandsvorsitzenden in allen Branchen- tun sich Wachstumsfelder auf und der Binnenmarkt mit seiner Produktion und seinen Beschäftigten profitiert von den Aufträgen aus den Schwellenländern.

Die Schwelle scheint jetzt aberüberschritten. Um es ganz profan zu sagen. Die Globalisierung ist nämlich keine Einbahnstraße, auf der die Produkte aus Europa und USA die Märkte in die Länder geliefert und nur mit Beifall aufgenommen werden. Nein, es herrscht längst ein mächtiger Gegenverkehr. Und zwar nicht mehr wie früher mit irgendwelchen Billigprodukten: Aus China oder Südostasien kommen in der Zwischenzeit auch Hightech-Produkte in allen Branchen zu günstigeren Preisen. Warnhinweise, dass diese Volkswirtschaften zu echten Konkurrenten werden könnten, wurden kleingeredet oder sogar ignoriert.

Blenden wir zurück: Volkswagen war der erste westliche Automobilhersteller, der mit den Chinesen ein Joint Venture einging. Das war Mitte der 1980er-Jahre. Der Santana, die hierzulande wenig erfolgreiche Stufenhecklimousine des damaligen Passat, wurde in China produziert und prägte das Straßenbild, das bis dahin nur von Fahrrädern und Mopeds gekennzeichnet war. Der Santana, eine Sensation für die dortigen politischen Eliten: endlich ein richtiges, schönes großes und technisch anspruchsvolles Dienstauto. Das Straßenbild, bis dahin praktisch nur von Fahrrädern und Mopeds geprägt, wurde dank der gelben Santana-Taxis im wahrsten Sinn umgefärbt.

Gelehrige Joint-Venture-Partner in China

"Wir holen die Chinesen vom Fahrrad", versprach Anfang der 1990er-Jahre der zum Volkswagen-Chef aufgestiegene Ferdinand Piëch in einem Interview mit der "autorevue". Und wie vieles, was dieser versprach, hat es sich dann auch erfüllt.

Allerdings etwas anders als erwartet. Die Chinesen erwiesen sich als gelehrige Joint-Venture-Partner. Es wurden mehrere Volkswagen-Werke errichtet. Der Gewinn wurde fifty-fifty geteilt (gilt auch heute noch) und die Marke Volkswagen generierte rasch zum Marktführer.

Gleichzeitig versuchten sich die Chinesen mit heimischen Automodellen, die ganz ungeniert Fahrzeugen deutscher Luxusmarkenähnlich schauten. Das rief dann auch sämtliche Luxusautohersteller auf den Plan, die angesichts der Marktmöglichkeiten (Volkswagen führte das ja vor) glasige Augen bekamen.

"Der erfolgreichste Automobilhersteller der Welt"

Die Automobilbranche, insbesondere die europäischen Luxusanbieter, drängten sich in den Markt und sonnten sich in der unglaublich rasch wachsenden Nachfrage durch die zu Geld gekommenen Chinesen. Selbst alle legistischen Erschwernisse, die von der chinesischen Zentralregierung, auch unvermutet, auferlegt wurden, konnten den Elan nicht bremsen. Die Multiplikation von Millionären in China mit dem Portfolio der eigenen Marke ließ keine andere Entscheidung zu, als ins Land der Mitte zu gehen.

Wachstum als Zielgröße rückte in den Fokus. Volkswagen nannte die 10 Millionen als Ziel für 2018 und die Nr.1 in der Welt (ein Ziel das der VW-Konzern von den Stückzahlen im Vorjahr erreicht und aktuell auch im Zwischenranking hat). Die damals rasch entbrannte Kritik, dass Volumenmaximierung keine Orientierung sein kann, entschärfte VW-Chef Martin Winterkorn mit der nachgeschobenen Erläuterung: "Wir wollen der erfolgreichste Automobilhersteller der Welt sein. Ökonomisch und ökologisch." Ganz gewiss waren bei der Zielformulierung die Schwellenländer, vor allem China, ein wesentlicher Faktor. Allein dersogenannte "Nachholbedarf" versprach eine gewaltige Beschleunigung der Absatzzahlen in Asien.

Dass der hoch entwickelte westeuropäische Automarkt bei weiteren Absatzsprüngen nach oben nicht mithalten wird können, war den Verantwortlichen wohl bewusst. Dies änderte dennoch nichts an der Befehlsausgabe "Wachstum" auf dem Markt Europa. Die Hoffnung auf die Entwicklung der osteuropäischen Märkte vor der Haustür erfüllte sich allerdings wegen der hinzugekommenen Finanzkrise nicht. Also blieb nur eins: "Pressing" würde man heute im Fußballdeutsch sagen. Vor lauter Pressing traten dem Autohandel die Augäpfel hervor.

Inländisch produzierte Autos durchaus akzeptabel

Aber zurück zu China: Dort gibt es nicht nur Millionäre. Sondern vor allem viele Millionen, die einen besseren fahrbaren Untersatz als ein Fahrrad suchen. Das Faszinosum Automobil hat selbst die regimetreuesten Anhänger erfasst. Und in der Zwischenzeit sind auch inländisch produzierte Fahrzeuge der Mittel-und Kleinwagenklasse durchaus akzeptabel. Und vor allem leistbar. Mit der Konsequenz, dass der Markt weiter wächst -mit wachsendem Anteil durch inländische Anbieter. Zulasten der Europäer, die das Bremsmanöver des Marktes spüren. Das trifft natürlich auch die Marke Volkswagen: Laut "Frankfurter Allgemeine" entfallen zwei Drittel des Gewinns von VW gemäß Analystenschätzung auf das Land der Mitte. Wenn es denn so ist, dann sagt das alles.

Umso betroffener reagierten im August die Europäer und Amerikaner, als Chinas Regierung innerhalb von drei Tagen die chinesische Währung Renminbi (Yuan) in drei Schritten abwerteten. Damit werden nach China importierte Waren teurer und der Export von Waren aus China billiger. Im Fall der Automobile heißt das eine Verschlechterung der Absatzmöglichkeiten von Autos aus Europa und den USA, die zudem bereits mit hohen Zulassungssteuern belastet sind. Damit wird die bisherige Cashcow empfindlich geschwächt.

Fabriken in Europa werden an Bedeutung verlieren

Will man den Nachholbedarf in China wirklich dauerhaft sichern, werden unter diesen Voraussetzungen weitere Investitionen notwendig, sprich Fabriken und die Schaffung von Arbeitsplätzen in diesen Ländern. Was umgekehrt bedeutet, dass die Kapazitäten jener Fabriken in Europa, die bisher für diese Schwellenländer produzierten, zurückgefahren werden müssten.

Ferdinand Piëch war es, der als Aufsichtsratsvorsitzender zuletzt im Mai den warnenden Finger hob und zuletzt Zweifel am Kurs der Marke Volkswagen hegte, das lang diskutierte Low-Budget-Auto für die Schwellenländer reklamierte und auch personell eine Neuausrichtung verlangte. Dass dies mit seinem Rücktrittendete, erinnert stark an die Antike, wo der Überbringer schlechter Nachrichten geopfert wurde.