Die Trendwende zeichnete sich schon im 1. Quartal 2015 ab -ausgerechnet in dem Land, das als das stärkste Zugpferd für die bis dahin erfolgreiche weltweite Expansion des VW-Konzerns galt. Während im Heimatmarkt für den deutschen Autobauer im ersten Halbjahr die Devise "Business As Usual" galt -vier von zehn neu zugelassenen Pkws kamen aus der VW-Gruppe -zogen im Mai die ersten Gewitterwolkenin China auf.

Nun bläst den erfolgsverwöhnten VW-Managern in China zur kalt-nassen Jahreszeit ein eisiger Wind entgegen. Die einheimischen Autobauer haben aufgeholt und setzen die Kundenwünsche rascher, kostengünstiger und mit attraktiveren Fahrzeugmodellen um. Auch die jüngsten Fahrzeug-Rückrufaktionen (Problememit dem DSG Direktschaltgetriebe, Fahrer-Seitenairbag, Hinterachse beim Passat) kratzen massiv am Qualitätsimage; und dann noch der weltweite Imageschaden nach dem Diesel-Abgasskandal.

Der deutsche Branchenkenner Prof. Dr. Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, sieht die Ursache für das "Schwächeln" des deutschen Autobauers in einer globalen Trendwende in China: "Die Frage ist, ob die Verkaufsrückgänge nur eine vorübergehende Delle sind oder ob sich das länger zieht. China befindet sich im Übergang vom boomenden zu einem zunehmend moderat wachsenden Markt."

Die Unkenntnis der lokalen Marktgesetze ist möglicherweise auch ein Grund, warum die Marktprognose China von Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen so daneben lag: "Mit einem Anteil von knapp 50 Prozent am Wachstum wird China die Lokomotive der Autoindustrie", sagte Dudenhöffer: "Vor allem die deutschen Autobauer profitieren von der Kauflust der Chinesen."

Überschneidungen und fehlende

Modelle Im Rennen um Platz 1 in der Hersteller-Weltrangliste, den Volkswagen bis 2018 anpeilt, ist der schwächelnde China-Absatz von VW eine "rote Karte", denn das Reich der Mitte ist für die VW-Gruppe strategisch der wichtigste Markt geworden. Der größte europäische Autokonzern verkaufte voriges Jahr 40 Prozent aller produzierten Fahrzeuge in China.

Die VW-Gruppe produziert vor Ort Pkws der Marken Audi, VW und Skoda in seinen beiden Joint-Venture-Unternehmen an mehreren Standorten. Während bei FAW-VW in Changchun und Chengdu die Modelle Audi A3/A6L, Audi A6L, SUV Q3/Q5, Passat-CC, Magotan, Sagitar, Golf, Jetta und Bora vom Band rollen, produziert das JV SAIC-VW in Shanghai Modelle der Marke Skoda (Octavia und Superb) und VW (Polo, Santana, Lavida, Passat, Lamando, Touran, undSharan). Aus dem Produktportfolio beider Gemeinschaftsunternehmen sieht man deutlich Überschneidungen (Passat-Linie: Magotan, Sagitar) und das Fehlen von Mittelklasse-SUVs, ein boomender Markt schon seit 2014 in China.

Wie schwer es VW derzeit in China hat, untermauert die monatliche Absatzstatistik der CAAM (China Automotive Association of Manufacturer) in Zahlen: Während im Mittelklasse-Segment VW mehr als 200.000 Pkws weniger verkauft hat, legten die beiden chinesischen Autobauer GWM und Geely deutlich zu- beide haben attraktivere und kostengünstigere Alternativen im Schauraum.

Die deutsche Luxusklasse Daimler brummt in China weiterhin und hat in den ersten sieben Monaten 125.859 Fahrzeuge verkauft, ein Anstieg um mehr als 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. BMW schlug sich in einem stagnierenden Markt tapfer und verbuchte nur einen geringen Rückgang um 1.200 Einheiten.

Warum verliert VW Marktanteile in China?

Schon nach der Präsentation des Vize-Präsidenten von S-VW Alexander Seitz beim Monatslunch der D-IHK im September 2014 konnten kritische Zuhörer die Trendwende erahnen. Seitz stellte zwar ausführlich die zukünftigen Investitionspläne der VW-Gruppe in China in neue Produktionsstandorte und geplante Erweiterungskapazitäten im Großraum Shanghai vor -sehr zum Wohlgefallen der anwesenden chinesischen Politiker -, blieb aber die Antwort schuldig auf die Frage, wann endlich NEV(New Energy Vehicle)-Modelle (mit Elektroantrieb bzw. Hybrid-Technologie) oder attraktivere Mittelklasse-(Hybrid-)SUVs einträfen.

Ende 2014 wurden erstmals deutlich mehr Elektroautos bzw. Hybrid-Fahrzeuge in China verkauft (74.763, +324 Prozent) als im Jahr zuvor. Im 1. Halbjahr 2015 wurden schon 72.711 NEVs -alles chinesische Modelle - ausgeliefert -fast so viele wie im gesamten abgelaufenen Jahr. Die Top-3 NEV OEMs sind BYD mit 19.789 verkauften Einheiten, gefolgt von Zotye (9.260 E-Autos) und BAIC (5.892 NEVs). China setzte konsequent eine Förderpolitik zugunsten der lokalen Fertigung von NEVs um und wird langfristig die umweltschädlichen Pkws aus dem Stadtverkehr genauso verbannen wie schon alle Mopeds und Kleinmotorräder zuvor.

Schon im Jahr 2014 beherrschten Plug-in-Hybrid-Pkws und Elektroautos aus chinesischer Fertigung den lokalen Markt. Elektroautos der Marken BYD, Chery, SAIC und BAIC gehören inzwischen zum Straßenbild in Peking und Shanghai.

VW China hat nicht nur den NEV-Trend verschlafen, sondern auch den SUV-Boom im Mittelklassesegment, wo die Produktpalette weiße Flecken aufweist: Neben den Audi Luxus-SUVs Q3 und Q5 und dem inzwischen angestaubten VW Tiguan hat der deutsche Autobauer kein kostengünstiges Kompakt-Modell für die Young Urban Professionals in den boomenden Städten im Angebot. Die chinesische Konkurrenz -allen voran Great Wall Motors -hathingegen acht Modelle im Schauraum.

Rückrufaktionen schlecht gemanagt

Hand in Hand mit dem Absatzeinbruch häufen sich die Rückrufaktionen in China: 2012 beklagen sich Kunden über eine fehlerhafte Hinterachse. Hartnäckig leugnet FAW-VW, dass es hier ein Problem gibt und droht sogar "aufmüpfigen Kunden" mit einer Verleumdungsklage. Erst zwei Jahre später gibt VW das Problem zu, nachdem es zu einem Shit-Storm in den Social Media gekommen ist.

VW-Kunden beklagen 2013/14 ein Fehlverhalten im DSG: 680.000 Fahrzeuge aus insgesamt 21 Modellen (Scirocco, Bora, Touran, Octavia, Passat) aus der Produktion seit 2008 sind betroffen. Es kommt zum Marketing-Supergau: Der selbstbewusste deutsche Autobauer verbreitetüber Internet, dass "Chinesen nicht richtig Auto fahren können und durch ihr Fehlverhalten die DSG-Probleme verursachen". Bei 78.000 VW-Fahrzeugen, die nach China importiert wurden (Tiguan, Golf, Magotan und Scirocco, produziert von 2009 bis 2014) kann ein Fehler in der Lenksäule die Aktivierungdes fahrerseitigen Airbags verhindern. Auch hier muss VW nachbessern.

Nur 1.946 VW-Dieselautos in China betroffen

Die Diskussionüber die Manipulation der Abgaswerte von Dieselfahrzeugen ist auch in China in Online-News, Tageszeitungen und im staatlichen Fernsehen entbrannt. Zwar wurden in China nur 1.946 Tiguan mit dem manipulierten Dieselaggregat importiert, die Medien berichten aber breitest über den Skandal und spekulieren über die negativen Auswirkungen auf das Image des deutschen Autobauers.

VW kooperiert diesmal mit der Pekinger Behörde von Anfang an und plant auch hier ein Software-Update für die chinesischen Kunden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Pekinger Regierung VW China nicht bestrafen, denn die Anzahl der betroffenen Fahrzeuge und Konsumenten ist zu gering; auch wurden keine Emissions-Grenzen überschritten.

Es ist zu befürchten, dass das deutsche Flaggschiff der Automobilindustrie in China eine größere Bruchlandung erleiden wird als in Amerika und Europa. Der Winter im Norden Chinas in Beijing und Changchun wird diesmal besonders frostig für Volkswagen.