Wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann, die aus Europas größtem Autokonzern nach außen dringen, dann steht ein "Kulturkampf im VW-Management" ebenso bevor wie der Abgang "alter Seilschaften". Es heißt auch, dass die lange Zeit bestimmenden Maschinenbauer "nicht mehr zeitgemäß" seien.

Schon jetzt liest sich die Liste der Abgänge wie das "Who is who" des Volkswagen-Konzerns: Es begann mit Martin Winterkorn, dem Ex-Konzernchef. Unmittelbar danach mussten auch gleich drei Technikvorstände ihren Hut nehmen: Ulrich Hackenberg (Audi), Wolfgang Hatz und Heinz-Jakob Neußer (VW) - alle wegen des Abgasskandals. Dazu kam Winfried Vahland, der bisherige Skoda-Chef, der mit der neuen Konzernstruktur (und seiner Versetzung nach Nordamerika) nicht einverstanden war und freiwillig ging. Wenige Tage später beendete auch der Designer Walter de Silva sein kurzes Gastspiel als Präsident des zum VW-Konzern gehörenden Designstudios Giugiaro vorzeitig.

Der Verlust an Knowhow ist zweifellos groß. Aber es gibt im Volkswagen-Konzern genügend fähige Techniker und Manager mit großer Erfahrung und Zugang zu neuen Technologien, die hier nachrücken werden. Da muss man sich keine Sorgen machen.

Auch die aktuelle Modellpalette quer durch alle Marken und all das, was noch in der Pipeline steht, ist gut sortiert und qualitativ auf höchstem Standard. In Sachen Optik und Haptik liefert der Konzern erstklassige Ware. Keine Frage.

Es begann mit einem Produkt und einer Fabrik

Priorität haben jetzt aber die Bewältigung des aktuellen Abgas-Themas und die Finanzierung all dessen. Das Problem, das es künftig zu lösen gilt, liegt wo anders. Nicht die "alten Seilschaften" sind das Problem, sondern der Zentralismus, der schon immer in Wolfsburg wurzelte und der sich ausgebreitet hat, je größer der Konzern wurde. Dazu ein kurzer Blick zurück in die Kulturgeschichte von Volkswagen: Als das Volkswagenwerk nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde, gab es ein Produkt -den Käfer -und eine Fabrik. Umgeben von Wolfsburg, wo die VW-Werker zuhause waren. Im Pulsschlag der Schichten konnten sich die Wolfsburger ihr Leben einrichten. Die Fabrik gehörte sich quasi selbst, weil die meisten Aktionäre Mitarbeiter waren und das Land Niedersachsen als größter Einzelaktionär nur an der Erhaltung des Standortes interessiert war. Der Vorstand regierte weitgehend freihändig, weil eslediglich einer Abstimmung mit dem Betriebsrat über Beschäftigung und Tarifvertrag bedurfte und ein "gut dotierter" Vorstand die Entlastung in der Hauptversammlung sicherte. Das prägt das Erbgut der Wolfsburger Mitbestimmung bis heute.

Einmaliger Ausdruck dieser seltsamen Praxis war wohl die "Politik der mittleren Linie", die noch in den 1980er-Jahren praktiziert wurde, wonach als zentraler Punkt eine durchgehende Auslastung der Produktion vereinbart wurde. Völlig unabhängig davon, was der Markt gerade verlangte! Die logische Konsequenz: Ging das Geschäft gut, gab es zu wenige Fahrzeuge, ging das Geschäft schlecht, waren halt zu viele Fahrzeuge am Markt.

Mit Ferdinand Piëch begann der große Umbau

Als Volkswagen von Mercedes in den 1960er-Jahren die Audi-Fabrik in Ingolstadt erwarb, geschah das mit der Absicht, das Modellangebot insgesamt zu erweitern. Dass sich die biedere Mittelklassemarke Audi unter der Leitung von Ferdinand Piëch binnen zehn Jahren zu einer Premiummarke entwickeln würde, war nicht absehbar.

Aber selbst als das Werkl bereits funktionierte, durfte Audi auf Konzern-Geheiß die Fahrzeuge nicht selbst vermarkten, sondern musste an den Volkswagen-Vertrieb liefern. Dort wurde befunden, wer, was, wann geliefert bekommt. Das änderte sich erst, als Piëch zum Konzernchef gekürt wurde.

Die Mehrmarkenstrategie, die von da an entwickelt wurde, fand ihre technische undökonomische Basis auf den sogenannten Plattformen (heute längst weiterentwickelt zu hochmodernen Modular-Baukästen). Jede Marke, die in der künftigen Markenwelt Platz fand, sollte von da an selbst verantwortlich sein und lediglich technische Unterstützung aus Wolfsburg bzw. Ingolstadt bekommen.

Soweit die Theorie. Dagegen stehen aber die vielen Parallelwelten im Innenleben des Volkswagen-Konzerns (Technik, Produktion, Finanzen, Einkauf, Vertrieb, Personal multipliziert mit allen Marken) - und die haben alle so ihre eigenen Vorstellungen, verteidigen ihre Positionen bis in die untersten Ebenen und belauern sich damit gewissermaßen selbst. Angeheizt nicht zuletzt auch durch die Erfolgsprämien-Systeme. Denn was für den einen vielleicht gut ist, ist für den anderen schlecht und mündet dann letztlich beim Konzernvorstandsvorsitzenden, der sich mit all den Themen vor dem Aufsichtsrat verantworten muss. Die bereits erfolgte Verkleinerung des Konzernvorstands war bereits die logische Konsequenz mit mehr Entscheidungskompetenz bei den Marken selbst. Auch die Ausgliederung des Lkw-Geschäftes in eine eigene Holding ist ein wichtiger Beitrag zur Entflechtung.

Denn jede dieser Parallelwelten hat sein Reporting, und das zieht sich durch bis in alle Ebenen und Länder. Vor lauter Reporting (= Zentralismus) bleiben dann Kreativität, Spontaneität und Eigenverantwortung auf der Strecke und Selbstbeschäftigung ist garantiert.

Fazit: Dem völlig logischen Zug zur Vereinheitlichung auf der technischen Seite (mit all den ökonomischen Vorteilen) folgte sogleich auch der (selbst auferlegte) Zwang, dies auf alle anderen Bereiche anzuwenden. Bei der Planung von Fabriken macht das ja noch Sinn. Aber heute entscheidet etwa der "Zentraleinkauf" praktisch über jedes Papierl oder jede Schraube, die irgendwo in der Konzernwelt besorgt werden muss.

Alles muss "von oben" genehmigt werden

Da geht viel an Eigeninitiative und Spontaneität verloren, wenn von oben alles verordnet und genehmigt werden muss. Die Thematik der Compliance-Regeln verschärft das zudem. Selbst Aussagen in der Öffentlichkeit bedürfen einer Absegnung durch eine Clearing-Stelle, womit faktisch auch das "Wording" gleichgeschaltet wird. Vielleicht ist das aber auch notwendig in einem börsennotierten Konzern mit mehr als 600.000 Mitarbeitern Bernd Osterloh, Gesamt-und Konzernbetriebsratsvorsitzender der Volkswagen AG, formulierte die Thematik vor Wochen so: "Dezentral so viel wie möglich, zentral so viel wie notwendig." Ob er damit wohl auch seinen Bereich meinte?