Jene Kreuzung, an der unsere gewählte Abzweigung unzweifelhaft als Sackgasse beschildert war. Und jetzt bringt er sein Ich-habs-ja-gleich-gesagt-Gesicht in Stellung.

Auf der anderen Seite des Flusses liegt eine alte, stillgelegte Mühle. Klares Wasser gurgelt über die kleine Staustufe, ein paar Fische tummeln sich im sauerstoffreichen Wasser. Kleine weiße Wolken ziehen über den blauen Himmel. Richtig idyllisch ist es hier. In der tschechischen Republik ist heute nämlich Bilderbuchfrühling, während nur wenige Kilometer weiter südlich schwerer Regen aus dunklen Wolken stürzt. Ein älteres Ehepaar schaut, vom Dieselmotor unseres Range Rover Sport über unsere Anwesenheit informiert, kurz aus dem Wohnwagen, der seinerseits so aussieht, als hätte man ihn schon lange vor Václav Hawels Regierungszeit hier abgestellt.

Der Diesel dieselt nämlich schon hörbar. Nicht nur außen. Auch innen. Komisch, im "unsportlichen" Range wirkt er im Innenraum irgendwie leiser, besser weggedämmt. Natürlich könnten wir uns auf Kürzeststrecken auch lautlos (wenn wir das Rollgeräusch der Reifen mal unberücksichtigt lassen) fortbewegen. Dazu istes lediglich erforderlich, das Knopferl "EV" in der Mittelkonsole zu drücken und behutsam am Gaspedal zu arbeiten. Denn unter der Haube sitzt nicht nur der Diesel-V6 mit 292 PS und 600 Nm, sondern auch ein Elektromotor, der 48 PS und 170 Nm Output generieren kann. (O. K., eigentlich sitzt die E-Maschine an der Stelle des Drehmomentwandlers in der ZF-Achtgang-Automatik und nicht direkt unter der Motorhaube.) Damit unterscheidet sich das Hybridsystem (Systemleistung: 340 PS, 700 Nm) deutlich von den ersten Ideen, die uns Land Rover im Dezember 2008 in London präsentierte; ein Elektromotor an der Hinterachse war damals unter dem Arbeitstitel "e_Terrain Response" zur Elektrifizierung des Antriebsstranges in Planung.

Jetzt ist das System fertig. 120 Kilogramm Mehrgewicht sind für den E-Motor, die Akkus und die Steuerungselektronik zu verbuchen. Die Systemleistung des Hybridmodells gleicht der des 4,4 Liter Hubraum messenden V8-Dieselmotors (der durch die bekannt originelle österreichische Steuergesetzgebung jedoch teurer angeboten werden muss). Egal, ob V6 Hybrid oder V8, beide sind nach 6,4 (Range Rover Sport) bzw. 6,9 (Range Rover) Sekunden auf Tempo 100. Das Spitzentempo beträgt 218 km/h für den Range Rover, 225 km/h für den Range Rover Sport. Aber viel spannender: Eine Meile, also 1,6 Kilometer, könnten wir bei knallvollen Akkus und superzärtlichem Gasfuß(max. 48 km/h) elektrisch fahren. Nicht viel, aber immerhin. Und die Software könnte durchaus noch den einen oder anderen Feinschliff vertragen, beispielsweise läuft das Abstellen und Wiederanstarten bei Stopptaferln nicht ganz geschmeidig. Aber Software ist ohnehin work in progress, wie das im Rennenglisch heißt.

Das Thema "work in progress" hatten wir mit einem Prototypen bereits auf der Seidenstraße ausprobiert, 3 Vorserienmodelle sind ja letzten Herbst von Großbritannien bis nach Mumbay gefahren. Einer der Prototypen wurde danach bis zur letzten Schraube zerlegt, um den Ingenieuren über Verbesserungspotenziale zu geben. Der zweite Wagen dient bereits wieder als Erprobungsträger und zwar"für eine weiterführende Technologie", wie man im Hause Land Rover auf Anfrage kryptisch kommuniziert. (Vermutungen, in denen Steckdosen eine tragende Rolle spielen, werden gewiss sehr, sehr nahe an der Wahrheit liegen.) Und der dritte steht vermutlich auf Hochglanz poliert im Werksmuseum neben seinem älteren Bruder, jenem Range Rover, der anno 1971/72 die komplette Panamericana inklusive des unwegsamen, straßenlosen Dschungeldickichts im Darién Gap abgefahren ist.

Wäre es billiger gewesen, den Benziner zu verstromen? Yes. But: Who cares in dieser Preisklasse? Hätte man damit auch 169 Gramm Kohlendioxid pro Prüfstandskilometer zusammengebracht? Never ever. Im Gegenteil, der serienmäßige V6-Diesel hätte einem Benzinhybrid (nicht nur) am Emissionsdatenblattfeste Konkurrenz gemacht. Klar: Die 6,4 Liter Normverbrauch interessieren den Besitzer so sehr wie das berühmte Fahrrad, das in China gerade auf ein Sackerl Reis umfällt. Anders ist das beim Hersteller: Dem geht es nicht zuletzt um den Flottenverbrauch. 95 Gramm sind aus Brüssel für 2020 angesagt - für die Land-Rover-Produktpalette derzeit so sehr in Griffweite wie der Fußballweltmeistertitel für Österreichs Nationalelf. Aber man kann sich ja bemühen, mit einem derartigen Paukenschlag so weit wie möglich in die gewünschte Richtung einzubiegen und den in Übersee exzellent vermarktbaren Rest (Benzinhybrid, Plug-in, dickere Akkus für längere Elektrofahrten - "weiterführende Technologie" also gleich in doppelter Bedeutung) bei Gelegenheit nachschießen.

Doch zurück zur Wiese, in der unser Schotterweg sein Ende findet. Dort steht ein alter Bekannter. Schwarze Jacke mit Experience-Logo, Geheimratsecken und ein breites Lächeln im Gesicht: Christian Karlberger, einer der profiliertesten Offroader Österreichs, streckt die Hand zum Gruß durch das Seitenfenster: Wiedersehen macht Freude. Damit ist auch die Sache mit der Sackgasse relativiert - die mit 85 Zentimetern recht großzügig bemessene Wattiefe des Range Rover Sport werden wir für den Fluss zwar nicht benötigen, aber sie beruhigt das Gewissen ganz ungemein. Nur rein elektrisch werden wir die Furt nicht durchmessen, denn wenns wirklich ins Gelände geht, ist der Verbrenner immer in Betrieb. Luftfederung rauf, Untersetzung rein, Rock Crawl im Terrain Response vorgewählt und dann geht es ins Gewässer.

Speziell bei langsamen Kletterausflügen spielt der Hybrid seine Stärken aus: Er ist mit dem maximalen Drehmoment bei lediglich 1.500 Motorumdrehungen noch besser kontrollierbar als der exklusiv fossil angetriebene Range. Zahlreiche Iterationsschleifen waren für die feinfühlige Verschränkung der beiden Antriebsaggregate erforderlich, zuerst im Simulationsrechner, dann bei den ersten Testfahrzeugen. 3 mit Messtechnik equipte Vorserienmodelle hat die Company dann, wie erwähnt, noch zum Chef geschickt, vom Stammwerk in Solihull nach Mumbay, der Heimat von Ratan Tata, dem Eigentümer von Jaguar und Land Rover (unter anderem).

Über 16.000 Kilometer quer durch Europa, Zentralasien und einmal über den Himalaya. Samarkand und Lhasa standen ebenso am Reiseprogramm wie Sewastopol - letzten Herbst noch eine friedliche Stadt mit kriegerischer Vergangenheit. "Wir haben schon sehr viel über unser Auto gelernt", erzählte mir damals einer der die Prototypen begleitenden Ingenieure in Tashkent, knapp die Halbzeit des Trips über die Seidenstraße. Die zusätzlichen 170 Nm des Elektromotors sorgten bei Sandfahrten für ein besonders breites Grinsen der Fahrer. Auch beim engagierten Überholen kann die Zusatzpower seeehr hilfreich eingesetzt werden, dann sind die im Datenblatt vermerkten 6,4 Liter Diesel allerdings schon auf kürzeren Strecken verheizt. Mit dem über mehr als 8.000 Kilometer Fahrtstrecke (on-und offroad!) ermittelten Praxisverbrauch um die 8 Liter war das in Usbekistan abgelesene Zwischenergebnis des Hybrid-Range jedenfalls richtig respektabel - immerhin wiegt der Wagen samt Besatzung und Ausrüstung knapp unter 3.000 Kilogramm und die Dachgalerie mit Reservesprit und Ersatzrädern sorgt für zusätzlichen Luftwiderstand. Endstand in Mumbai auf der anderen Seite des Himalayas mit seinen über 5.000 Meter hohen Pässen: beachtliche 9,1 Liter Diesel. (Apropos 5.000 Meter Seehöhe: Nicht nur den Fahrern geht dort schnell mal die Luft aus, auch Verbrennungsmotoren haben einen deutlich messbaren Leistungsverlust. Der E-Motor im Hybrid-Range habe die Begleit-Discoverys da aber richtig alt aussehenlassen, hört man hinter vorgehaltener Hand.)

Da ist der kleine tschechische Fluss vergleichsweise ein Spaziergang. Drüben die zweite Experience-Jacke, ebenfalls ein alter Bekannter, bei dem es stets Freude macht, ihn wiederzusehen: Der Obercapo der österreichischen Experience-Experten, im Rennenglisch Lead Instruktor genannt. Ernest Loidl, der - für Leute, die seinen Frisurstil in jüngeren Jahren kennenlernendurften, leicht erklärbar - auf den Spitznamen Arafat hört, überwacht das erste Offroad-Manöver des Tages und gibt, wenn nötig, kurze Zeichen zur Spurkorrektur. Sandbleche, ein Spaten und ein fettes Abschleppseil, vom Durchmesser einem Schiffstau gleichend, finden sich griffbereit neben seinemAuto. Für jenen hypothetischen Fall der Fälle, der jedoch weder bei uns noch bei den nachfolgenden Kollegen reale Gestalt annehmen wird. Offenbar ist der kleine Fluss doch ein bisserl anspruchsvoller, als es der so mühelos durchkraxelnde Ranger Rover Sport vermuten lässt.

Weiter geht es auf kurvigen, wenig befahrenen Nebenstraßen. Für diese sauber versiegelten Oberflächen bietet sich eine andere Stellung des Allradsystems an. Natürlich könnte man auch in der Stellung "Auto" bleiben und die Technik der zweiten Generation des Terrain Response sich selbst überlassen, aber wenn man eh weiß, was benötigt wird, kann man der Elektronik durchaus zuvorkommen. Zumal die Stellung "Dynamic" in jedem Fall vom Fahrer höchstselbst eingelegt werden muss. Damit man gleich weiß, was Sache ist, ändert sich die Anzeige im TFT-Display-Cockpit. Adieu grün-blaue Hybrid-Anzeige, bonjour Drehzahlmesser. (Oder besser ahoi, schließlich sind wir ja in Tschechien.) Und um letzte Zweifel zu zerstreuen, worum es in diesem Modus geht, schalten zahlreiche Details der Anzeige von neutralem Weiß auf sportives Rot. Selbst wenn die Wankbewegungen des Aufbaus bestmöglich unterdrückt werden, spürt man dennoch, dass hier ein Zweitonner um die Kurven gewuchtet wird - dramatische Gewichtsreduktion durch die Vollalu-Karosserie hin oder her.

Wie ein Anhalter steht wenige Minuten später der nächste Experience-Guide am Wegesrand, mit einem dermaßen gepflegten Bärtchen, dass sogar Frau Wurst neidisch wäre. Rupert Schachinger, ein Mann, der im Rahmen der Drift Challenge dem gepflegten Querverkehr sehr aufgeschlossen gegenübersteht, steigt zu. (Auch ihn wiederzusehen macht Freude, wenngleich er zum Gaudium des am Volant werkenden Kollegen ansatzlos auf ein bereits mehrfach verjährtes Ereignis zu sprechen kommt, in dem meine Fahrkünste, ein unter nächtlichem Neuschnee verborgener tschechisch-polnischer Grenzstein sowie eine 21-Zoll-Felge eines Range Rover tragende Rollen spielen.) Rupert wird uns als Navigator im erfrischend unkartierten Privatgelände unseres großzügigen Gastgebers und als Experte für das Öffnen und Schließen der Weidegatter auf einer Tour durch eine Gegend begleiten, die als Little Britain durchgehen würde. Wegen der Optik, nicht wegender Skurrilität. Schafe und zottelige Rinder weiden auf saftig grünen Wiesen. Vorsichtig rollen wir entlang der Zäune, um die zutraulichen Tiere nicht zu verschrecken. Kleine weiße Wolken ziehen über den blauen Himmel. Bilderbuchfrühling halt. Und kleine weiße Lämmer liegen mitten auf den Wegen, springen auf und laufen neben den Autos her. Von Runde zu Runde werden sie zutraulicher und frecher. Nach ein paar Steilauf- und -abfahrten, Schrägfahrten und ähnlichen Spielereien trennt uns nur mehr der alte Steinbruch vom Mittagessen. Als Höhepunkt der Offroadrunde gilt es, eine abgesoffene Kiesgrube zu durchqueren. Kein Problem für unseren Range und kein Problem für die Teichbewohner. Schließlich ist das 40 Kilogramm leichte, vom Kühlkreislauf der Klimaanlage temperierte Lithium-Ionen-Batteriepaket (266 Volt, 72 Zellen, 1,7 kWh Speicherkapazität) unter der Sitzbank gut abgedichtet. Somit treiben keine vom Stromschlag erlegten Fische mit dem Bauch nach oben durch das trübe Nass, die man nur mehr mit dem Kescher einfangen müsste.

Auch in der Wiese neben dem Restaurant steht ein alter Bekannter. Englische Nummer. Der dritte Prototyp von der Seidenstraße. Land-Rover-Pressechef Dieter Platzer zieht aus der Tasche seiner Experience-Jacke den Schlüssel heraus und drückt ihn mir lächelnd in die Hand. Oh ja: Wiedersehen macht Freude.