"Eisenärsche", hat es vor Kurzem im Onlinedienst "www.info4you.co.at"
geheißen, müssen Funktionäre haben, um im Kammerstaat Österreich
erfolgreiche Interessenvertretung zu betreiben. Dabei handelt es sich
allerdings um ein persönliches Ausstattungsmerkmal, das immer mehr
abhanden kommt. Grundsätzlich steht es schlecht um den Nachwuchs in
Innungen und Gremien. Womit sich die Frage stellt: Wie weiter in den
Gliederungen der Wirtschaftskammer?
Aus den Trümmern der bürgerlichen Revolution 1848 ist quasi wie ein
Phönix aus der Asche im Jahr 1851 die Gründung der Handelskammern in
Österreich aufgestiegen. Diese Körperschaft zur Selbstorganisation
der Träger von Handel und Gewerbe erforderte von Anfang an viel
Engagement der Unternehmer zur Koordination ihrer Anliegen und
Interessen.
Vermutlich war diese Form der Selbstorganisation schon immer - und
bevor die Handelskammer zur heutigen Wirtschaftskammer geadelt wurde
- eine mühsame Angelegenheit, weil den Menschen das Hemd näher ist
als der Rock. Was so viel bedeutet, dass der Einzelne seine
verfügbare Zeit lieber dafür aufwendet, auf seinen eigenen Vorteil
bzw. sein eigenes Geschäft zu schauen, als sich für eine ganze
Branche ins Zeug zu legen und die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Unausgelastete Firmenchefs
Vermutlich war die Auswahl der Funktionäre im Rahmen von
Selbstverwaltungskörperschaften nie ganz unproblematisch. Freiwillig
zur Verfügung stellten und stellen sich in erster Linie Firmenchefs,
die nicht ganz ausgelastet waren, ihre Gewerbeberechtigung
zurückgelegt oder ihren Betrieb bereits übergeben haben,
Gschaftlhuber, die sichin den Vordergrund spielen wollten, und
Schlieferl, die sich vom Netzwerken im Kammerrahmen persönliche
Vorteile erhofften. Selbst die Idee, den Titel Kommerzialrat als
Auszeichnung für selbstloses Engagement in Aussicht zu stellen,
dürfte eher ehrsüchtige Charaktere als die Blüte der jeweiligen
Branche angezogen haben.
Dabei hat sich das rot-weiß-rote Kammersystem unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten als Erfolgsmodell erwiesen. Was im sogenannten
Ständestaat -die Versöhnung der Hauptklassen der Gesellschaft
-absolut in die Hose ging, gelang nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs, dem ein "Kompromiss auf der Lagerstraße" zwischen
Unternehmer-,Bauern-und Arbeitervertretern vorangegangen war.
Spätestens nach dem Oktoberstreik 1950 und dem darauf folgenden Ende
der Lohn-Preis-Abkommen kam die Sozialpartnerschaft zu voller
Entfaltung. Sie basierte und basiert in erster Linie auf der
Kooperationsbereitschaft von Wirtschaftskammer undIndustriellenvereinigung einerseits und Arbeiterkammern und ÖGB
andererseits.
Schattenkabinett
Zur Zeit ihrer Hochblüte in der 50er-,60er-und 70er-Jahren galten die
Spitzen der Sozialpartnerschaft als Schattenkabinett in allen
Wirtschaftsund Sozialfragen. Probleme wurden - wie kolportiert wurde
-zwischen Rudolf Sallinger und Anton Benya beim Schnapsen im
Weinkeller des Handelskammerpräsidenten entschieden. Regierung und
Nationalrat konnten sich darauf beschränken, die vorformulierten
Gesetzestexte durchzuwinken. Gleichzeitig wurde ein umfangreiches
Geflecht von Institutionen der Sozialpartnerschaft entwickelt wie
Lohn-und Preiskommission samt etlicher Unterkommissionen und der
wirtschaftspolitische Beirat.
Politformel Interessenausgleich
Die Gewohnheit, Konflikte nicht auszutragen, sondern im Kompromissweg
beizulegen, ist eine zeitaufwändige Angelegenheit. Sitzungen von
langer Dauer gehören dazu wie des Amen zum Gebet. Dieses Verhalten
hat sich in den beteiligten Institutionen zu einem generellen
Grundmuster ausgebildet, das sie alle prägt. Wo Mangel an
verlässlichen Funktionären herrscht, die sich bekanntlich nicht
vervielfältigen lassen, ist kein Kraut gegen die Ämterkulminierung
gewachsen. Mit der Folge, dass ein und derselbe Personenkreis auf
Landes-und Bundesebene, im weiteren und engeren Beschlussgremium ein
und dieselbe Materie eins ums andere Mal durchkaut.
Um dieser Tortur gewachsen zu sein, hat sich als primäres Merkmal
dieser Spezies der erwähnte "Eisenarsch" herausgebildet. Dieses Organ
ist erforderlich, um die diversen Sitzungsmarathons zu bewältigen und
die zahlreichen Gremien am Leben zu erhalten.
Neue Rahmenbedingungen
Allerdings haben sich -unter anderem aufgrund des Siegeszugs des
Neoliberalismus und der wieder unverhohlener in den Vordergrund
gestellten Profitinteressen -die Rahmenbedingungen für die
Sozialpartnerschaft ebenso wie für die Innungsund Gremialarbeit
massiv geändert.
Insbesondere Unternehmer, die kleine bis mittlere Unternehmen leiten
und bisher zu den Trägern der Kammerarbeit gehörten, müssen ihre
ganze Kapazität aufwenden, um ihre Nussschalen bei auffrischendem
Gegenwind sicher in den Hafen zu lenken. Zeit aufzuwenden, um die
Selbstorganisation der Brancheninteressen in die Hand zu nehmen,
können sie sich kaum mehr leisten. Dazu kommt eine stark gesunkene
Bereitschaft der nachwachsenden Generationen, sich eine derartige
ehrenamtliche Tätigkeit überhaupt anzutun.
Reformbedarf
Unter diesen Voraussetzungen sind Reformen unabdingbar, wenn diese
frühe und erfolgreiche Form zivilgesellschaftlicher Selbstbestimmung
funktionsfähig bleiben soll. Die Neuerungen müssen einen effektiven
Ablauf der Sitzungen und ihre Rückführung auf ein vernünftiges Ausmaß
zum Ziel haben. Es dient der Sache wenig, wenn gelangweilte
Funktionäre andächtig Dauerreden lauschen, deren Inhalt bereits zum
zweiten, dritten oder vierten Mal wiedergekäut wird.
Wenig zielführend ist ferner die Praxis, Funktionäre zu
Marathonsitzungen einzuberufen, deren Ergebnis von vornherein
feststeht.
Leider hat in nahezu allen Beratungskörperschaften sich die Unart
herausgebildet, dass eine kleine Führungsgruppe sich von vornherein
ausmacht, welche Ergebnisse eine Sitzung zu haben hat. Statt die
Expertise aller Beteiligten zu nützen und echte Alternativen
abzustimmen, wird ohne Rücksicht auf Verluste versucht, bereits
festgelegte Resultate durchzubringen. Das ist eine der großen
Unarten, die dazu beiträgt, die Mitarbeit in derartigen Gremien zu
verleiden.
Heutzutage ist nicht die Spezies der "Eisenärsche" gefragt, die mit
ihrem Sitzfleisch auftrumpfen und so lange Sitzungen nicht verlassen,
bis "richtig" abgestimmt wurde. Die diversen Gliederungen
insbesondere der Wirtschaftskammer sind gut beraten, flexible Formen
der Verständigung zur Selbstorganisation zu entwickeln, die es
Unternehmernvon heute erlauben, aktiv an der Willensbildung in ihrem
Metier - dem eigentlichen Zweck der Kammer -mitzuwirken.
In den Hochzeiten der Sozialpartnerschaft haben Regierung und
Nationalrat Wirtschafts-und Sozialgesetze durchgewunken