Die EU kann durchaus als polarisierend gesehen werden. In der
Vergangenheit waren immer wieder kritische Stimmen zu hören. Wie
steht man in wirtschaftlich turbulenten Zeiten der EU gegenüber?
Einheitlicher Markt
Ich bin ein großer Befürworter des Binnenmarktes. Und meiner Meinung
nach würde uns ohne die Gemeinschaftswährung die Krise auch
wesentlich härter treffen, da wir jetzt sehr als kleines Land von den
gesamteuropäischen Anstrengungen profitieren. Ich habe vier Jahre in
den USA gelebt und gesehen, welche Vorteile ein einheitlicher großer
Markt hat gerade für kleine Unternehmen, wie es sie in Österreich
gibt. Man sollte trotzdem noch mehr auf die Erhaltung von regionalen
kulturellen Unterschieden achten, aber das sehe ich weniger als ein
Problem der EU, sondern der weltweiten Vermarktung von weltweitenProdukten, beispielsweise Starbucks und so weiter.
Schmelztiegel an Völkern
Ich persönlich bin nach wie vor ein Befürworter der EU. Ich denke,
dass es vom wirtschaftlichen Standpunkt her gesehen die einzige
Möglichkeit sein wird, in Zeiten der Globalisierung weiter bestehen
zu können. Abgrenzung führt zu einer Ausgrenzung und wird nicht
erfolgreich sein. Vom ethischen Standpunkt betrachtet ist die EU ein
Schmelztiegel an Völkern und Kulturen, oft sehr unterschiedlich. Hier
muss natürlich langfristig gesehen ein Zusammenrücken und ein
Miteinander erfolgen, ohne dass man dabei auf die eigenen Kultur und
die eigenen Wurzeln vergisst. Doch ich bin der Meinung, dass dieses"Miteinander" von intelligenten Menschen möglich und zu schaffen ist.
Sowohl als auch
Ich sehe die EU sowohl als Fluch als auch als Segen. Letzteres
deswegen, da seit mehr als 60 Jahren im Raum der Europäischen Union
kein Krieg stattfand. Das ist es mir wert, dass ich deshalb auch
einiges an Fluch in Kauf nehme. In diesem Fall weiß ich, wovon ich
spreche. Das Unternehmen, dem ich vorstehe, hat sich um den Kauf
einer weiteren Bahnlinie beworben. Die Wettbewerbskommission hat
diesen aus nicht näher erklärten Gründen nicht genehmigt und uns aus
dem Rennen geworfen. Hier werfe ich der EU eine gewisse Intransparenz
und einen Hang zur Unausgewogenheit vor.
Entsprechend reformieren
Ich bin kein besonderer Befürworter der EU, muss aber zugeben, dass
sie trotzdem ihre Berechtigung hat. Sie bewährt sich bei der heutigen
Situation der Globalisierung. Nur eine Wirtschaftsgemeinschaft von
gesamteuropäischer Größe kann adäquate Mittel für eine
Krisenbewältigung finden. Aber als steuerzahlender Bürgersehe ich,
dass die europäische Behörde aufgrund ihrer Größe an einem ungeheuren
Verwaltungsaufwand krankt, wobei der Fluss an Geldern nicht mehr
nachvollziehbar, nicht mehr steuerbar ist und sich der Kontrolle
entzieht, siehe Subventionspolitik im Agrarbereich. Wegen dieser
Tatsache ist die EU-Regierung aufgefordert, sich entsprechend zu
reformieren und ein nachhaltiges Vertrauen gegenüber den EU-Bürgern
zu erwirken.
Gemeinsam stark
Die EU ist auf jeden Fall als Segen zu sehen. Erstens ist es das
größte Friedensprojekt, das es je in der Geschichte von Europa
gegeben hat. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass politische
Entscheidungen am grünen Tisch ausgetragen werden und nicht woanders.
Zweitens ist die EU besonders in Zeiten der bestehenden
Wirtschaftskrise von Vorteil. Diese kann im Kollektiv besser
gemeistert werden. Ich möchte mir nicht vorstellen, welche
Auswirkungen es hätte, wenn jedes Land in Europa jetzt wirtschaftlich
auf sich selbst gestellt wäre. Allerdings möchte ich darauf
hinweisen, dass die EU noch nicht ihren Idealzustand erreicht hat. Da
gibt es noch einiges zu tun.
Glühender Europäer
Auf keinem Kontinent dieser Erde tobtenüber Jahrhunderte so viele
Kriege wie in Europa. In nur wenigen Jahren erreichte die EU die
friedliche Co-Existenz vieler, verschiedener Staaten. Allein aus
diesem Grund ist die Union zu befürworten. Leider machen es
politische und wirtschaftliche Einzelinteressen sehr schwierig, die
Nationen enger aneinander zu führen. Die Schwerfälligkeit des
EU-Apparats in Brüssel ist vielen EU-Bürgern ein unverständliches
Hindernis zu einem demokratischen, gemeinsamen Europa. Trotz all
dieser Schwierigkeiten bin ich ein glühender Europäer, denn ich bin
überzeugt, dass die Zeit eines wirklich vereinten Europas kommen
wird. Dann besteht die große Chance mit den Erfahrungen, die Europa
über Jahrhunderte hin gemacht hat, erste moralische Instanz dieser
Welt zu sein. Mit diesem Ziel vor Augen lohnt es sich auf jeden Fall,
Mitgliedsstaat dieser Union zu sein.