Eine aktuelle Studie von McKinsey analysiert den derzeitigen Stand der Dekarbonisierung des Straßenverkehrs in Europa. Angesichts dieser Fragen erhebt sich die Frage: Wer ist schuld, dass Europas Autoindustrie bei dieser Transformation so ins Hintertreffen geraten ist? Damit könnten 440 Milliarden Euro – ein Drittel der Wertschöpfung der Industrie – bis 2035 verloren gehen.
Die McKinsey-Ermittlungen ergaben, dass von der Autoindustrie 7 Prozent der europäischen Bruttoinlandsproduktion erwirtschaftet werden. Ihr kann man den Schwarzen Peter nicht anhängen: 150 Milliarden Euro werden von ihr jährlich in die Umstellung auf die E-Mobilität und die damit verbundenen Problemkreise gepumpt. Bis 2032 werden 350 neue Modelle auf den Markt kommen, um die politischen Vorgaben von Brüssel zu erfüllen.
Die Notwendigkeit einer europäischen Wertschöpfung haben die EU-Politiker dabei völlig vernachlässigt: Aktuell liegt bei einem in Europa produzierten und verkauften „Verbrenner“ die europäische Wertschöpfung bei 85–90 Prozent. Bei einem von einem Europäer in Europa produzierten batterieelektrischen Auto sinkt dieser Anteil – vor allem durch die von asiatischen Produzenten gelieferten teuren Batterien – auf 70–75 Prozent. Wenn diese „Nicht-Europäer“ nun ihre E-Autos selbst in Europa produzieren, liegt der Europa-Anteil nur noch bei 55–60 Prozent. Bei einem nach Europa importierten E-Kfz sinkt der europäische Wertschöpfungsanteil überhaupt auf 15–20 Prozent.
Die Brüsseler Vorgaben waren – kombiniert mit einem Importverbot für billiges russisches Erdgas und Erdöl – eine Steilvorlage für asiatische Exporteure: Die Energiepreise sind in Europa doppelt so hoch wie in den USA und China. Dazu kommt Europas Asien-Abhängigkeit bei den für Europas Kfz-Produzenten „strategischen Rohstoffen“. 40 Prozent der globalen Minenkapazitäten für Batteriematerialien und 80 Prozent des Refinings liegen in chinesischer Hand. Damit beherrschen sie 80 Prozent der weltweiten Batterie-Wertschöpfungskette. Mit der Folge, dass Europas Hersteller seit 2017 im Zuge der überambitionierten europäischen Transformation ein Fünftel ihres weltweiten Marktanteils verloren haben. Ihr Anteil liegt nur noch bei 24 Prozent – gleichauf mit chinesischen Kfz-Herstellern und Tech-Unternehmen.
Die Brüsseler Strategen haben zusätzlich alles überreguliert und gleichzeitig auf das für E-Autos erforderliche Ökosystem vergessen. Um Europa auf einen nachhaltigen Null-Emissionspfad zu bringen, muss die Ladeinfrastruktur bis 2035 um den Faktor 6 ausgebaut werden. Der Ausbau des Stromnetzes an den neuralgischen Punkten und 350 Milliarden Euro sind dafür nötig. Dafür gibt es in Europa doppelt so viele regulatorische Bürden als in China – deshalb dauern bei uns Genehmigungsverfahren zehnmal länger als dort. Angesichts dieses Umfeldes ist es nicht verwunderlich, dass völlig neue chinesische Anbieter ihre europäische Konkurrenz um 20 bis zu 50 Prozent unterbieten. So sind Europas Konsumenten beim Kauf von E-Autos zurückhaltend: Von den technikaffinen Chinesen würden künftig nur noch 18 Prozent einen Verbrenner kaufen, in Europa sind es 49 Prozent; in den USA – dank der billigen Sprit-Preise – sogar 70 Prozent.
Patrick Schaufuss, McKinsey Partner und Co-Autor dieser Studie, gibt sich bei dem von ihm vorgeschlagenen Maßnahmenpaket dennoch optimistisch: „Die europäische Autoindustrie steht immer noch auf einem starken Fundament – auf diesem muss sie jetzt mutig umsteuern.“ Da bin ich skeptischer: Kommen zu Brüssels Fehlern der Vergangenheit jetzt auch noch zusätzliche weltweite handelspolitische Spannungen hinzu, wird Europas einst so erfolgreiche Kfz-Industrie ihre Führungsrolle letztlich an China abtreten müssen.
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