Ventiliert wurde die neue EU-Idee zuletzt prominent von den beiden CEOs Alain Favey von Peugeot und Florian Huettl von Opel. Beide begrüßten beim A&W-Tag den Vorstoß, eine günstigere Kleinwagenklasse zu schaffen und stellten als Positiv-Beispiel das japanische Kei-Car in den Raum – also jene Kleinstwagen, die seit den 1950ern in Japan sehr beliebt sind und ein Drittel der dortigen Neuzulassungen ausmachen. 

Den niedrigeren Preis könne man – nicht nur, aber auch – dadurch erzielen, dass Assistenzsysteme wie Spurhalteassistent oder Aufmerksamkeitswarner in der neu zu schaffenden Fahrzeugklasse nicht verpflichtend verbaut werden müssen. 

Elektronische Nervensägen
Ich wette, dass man mit der Idee, die „Piepserln“ einzusparen, bei einer  Mehrheit der Autofahrer offene Türen einrennt: Die Helferleins sind sagenhaft unbeliebt, viele Testberichte und -videos widmen sich breit der Frage, wie man etwa den Tempowarner bei den einzelnen Modellen deaktiviert.

Ich gestehe, dass ich den elektronischen Nervensägen ebenfalls keine Träne nachweinen würde. Ich bezweifle, dass durch sie effektiv Unfälle verhindert werden, und halte es stattdessen für bitter nötig, dass sich der Regulator einmal kritisch mit den Ablenkungspotenzialen in modernen Cockpits auseinandersetzt.

Nichtsdestotrotz wirft das „europäische Kei-Car“ bei mir die eine oder andere Stirnfalte auf.

Da wäre einmal der soziale Aspekt: So lästig und teils kontraproduktiv die Systeme sind, handelt es sich doch immerhin um Sicherheitsfeatures, die eingespart würden und somit jenen vorbehalten wären, welche sie sich leisten können. Das ist umso problematischer, als kleine Autos per se interessant für Fahranfänger und Wenigfahrer sind, welche von den Assistenten sicherlich am ehesten profitieren.

Außerdem scheint mir unklar, wie weit man die Standards tatsächlich senken müsste, um das Ziel von 15.000 Euro Kaufpreis zu erreichen. Opel-Chef Florian Huettl spricht von einer dreistelligen Euro-Ersparnis pro Fahrzeug, wenn die unnützen Helferleins wegfallen. Da klafft noch eine ziemliche Lücke, wenn man sich aktuelle Verkaufspreise ansieht. Werden aber die Regeln zu sehr gelockert, besteht dann nicht die Gefahr, dass man sich erst recht Billigkonkurrenz einlädt, anstatt wie beabsichtigt den europäischen Herstellern die Flügel zu heben?

Wollen wir noch Spitze sein?
Am meisten wurmt mich aber, dass Europa in zunehmendem Maß willens scheint, Standards nach unten zu nivellieren, um sich den Wettbewerb leichter zu machen. Diese Einstellung ist brandgefährlich für jemanden (Europa, Österreich, die Autoindustrie, …), der eine Spitzenposition verteidigen will.

Klar ist: Wir brauchen leistbare, saubere Automobilität. Ob wir als bekanntlich SUV-affine Europäer das Kei-Car brauchen, sei dahingestellt. Ganz sicher aber brauchen wir das bewusste Streben nach besseren, ja den besten Lösungen.

Wer seine Standards – und somit die Erwartungen an die eigene Leistung – wieder und wieder nach unten nivelliert, braucht sich nicht zu wundern, wenn er sich in einer unentrinnbaren Abwärtsspirale gefangen sieht.

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