Sein linker Fuß dürfte nicht der muskulöseste gewesen sein. Als mir ein Bekannter von seiner neuesten Errungenschaft erzählt hat, kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Er habe sich einen Audi 100 gekauft, von 1984, solide Ausstattung, mit dem Fünfzylinder-Benziner bestückt und sage und schreibe 954.000 Kilometern auf dem Zähler. Mit erstem Motor, erstem Getriebe, und – Trommelwirbel – sogar noch der ersten Kupplung! Krämpfe dürfte der Vorbesitzer im linken Fuß also nie gehabt haben. Sicher ist der alte Audi etwas bieder und an sich jetzt nichts mehr wert. Er fasst aber sehr gut zusammen, wie Nachhaltigkeit funktionieren kann, und wie viel sie von einem abverlangt.

Sehen wir die Sache nüchtern: Wir leben in einer Spaßgesellschaft, die sich nach wie vor zum Großen darüber definiert, was man sich leisten und kaufen kann. Das trifft beim emotionalen Thema Auto auf fruchtbaren Boden, und auch wenn man sich als Grün einstuft und es wirklich gut meint: Sich zu überlegen, welches Fahrzeug man kaufen soll, um der Umwelt zu helfen, ist der falsche Ansatz. Wer Nachhaltigkeit leben will, darf sich am besten gar nichts kaufen. Konsum betäubt, und er erzeugt CO2, daran wird kein Antrieb der Welt etwas ändern können. Aber wer dieses Thema wirklich leben wollen würde, dürfte sich auch nur einen Blaumann zum Anziehen kaufen – der hält schließlich ewig und bedeckt ebenso den Körper.

All das wollen wir nicht. Wozu geht man schließlich arbeiten? Man will sowohl mit Stoff als auch mit vier Rädern gut angezogen sein, und ich gebe zu, dass ich es mir ebenso wenig vorstellen kann, ein und dasselbe Auto mehr als 30 Jahre jeden Tag zu nutzen. Oder denselben Pulli, wobei ich stolz sein könnte, dass mir der von 1993 noch passt. Wie weit darf Nachhaltigkeit also gehen? Wenn man sich mit langlebigen Industrieprodukten quälen muss, kann das Thema Umweltschutz durchaus schmerzhaft werden. Doch sowohl bei meinem Fruit-of-the-Loom-Pulli als auch beim Audi 100 kommt dazu, dass das heute vermutlich gar nicht mehr möglich wäre. Vielleicht kommt es nur mir so vor, dass jüngere Gegenstände schneller verschleißen, doch Innovation bedingt auch den Bruch mit Bewährtem. 

Stets auf Altbewährtes zurückzugreifen, macht schnell betriebsblind, man darf es der E-Mobilität also nicht übel nehmen, wenn aus der aktuellen Fahrzeuggenerationen kein Exemplar jemals das Oldtimeralter erreichen wird. Wo liegt schließlich der Reiz eines 30 Jahre alten Tesla, der aus gleichen Motiven cool ist wie ein iPhone: moderne Technik, spannendes Design, immer innovativ und niemals konservativ. Alt ist out, und eine solidere und damit nachhaltigere Bauweise würde somit eh kaum jemand goutieren und erst recht zahlen wollen. Kein Wunder also, dass sich unsere Zeit mit echter Nachhaltigkeit so schwertut – wirklich gut fürs Geschäft ist sie nur bedingt.

Wer also darüber grübelt, sich ein neues Fahrzeug anzulachen, sollte mehr darüber nachdenken als je zuvor. Natürlich gibt es Anwendungen, für die ein batterieelektrisches Fahrzeug das sinnvollste ist. Bei anderen Einsätzen ist es aber nach wie vor der Diesel, vielleicht auch ein Gebrauchter oder vielleicht auch das Vehikel, das man schon seit Jahren sein Eigen nennt. Die Zeit der einfachen Lösungen ist genauso vorbei wie die der -emotionalen.

Seien wir uns also ehrlich: Nachhaltigkeit ist mühsam, konservativ und etwas fad. So wenig wie möglich zu ändern, bringt am meisten. Doch gleichzeitig können wir froh sein, dass nicht alle im Blaumann herumlaufen und seit 1984 einen biederen Audi 100 fahren – sowohl realistisch als auch literarisch betrachtet.

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