Eigentlich wollten die Kartellrichter des Oberlandesgerichts Wien mit
dem Peugeot-Prozess schon vor dem Sommer fertig werden. Doch im
Herbst geht erüberraschend in die Verlängerung.
Ausschlaggebend ist die Peugeot-Preispolitik, mit welcher der Konzern
die eigenen Peugeot- Händler bei deren Kunden preislich ausbootet.
Eine Praxis der Direktverkäufe, die auch von anderen Importeuren
gepflegt wird.
Stutzig wurde der Senat, als Händlersprecher Bernhard Kalcher zur
Verkaufspraxis der Peugeot Autohaus GmbH befragt wurde. Zu jenen
PSA-eigenen Betrieben in Wien und Linz, "mit denen das freie
Peugeot-Netz enorm unter Druck gesetzt wird", wie Kalcher anhand
eines Einzelfalls darlegte. So wurde er von einer erbosten Kundin als
Betrüger beschimpft, weil sie sich beim Kauf eines Peugeot 3008 mit
einem Rabatt von 13,5 Prozent über den Tisch gezogen sah. Denn am Tag
danach habe ihr Peugeot Wien dasselbe Auto telefonisch mit einem
Rabatt von 18,5 Prozent angeboten.
Freie Händler fühlen sich benachteiligt Was Kalcher verblüffte. Ihm
wäre bei den 13,5 Prozent bloß eine Restspanne von 2,7 Prozent
verblieben. Bei 18,5 Prozent hätte er der Kundin nicht nur seine
ganze Händlerspanne überlassen, sondern noch 2,3 Prozent auf seinen
Einkaufspreis dazugelegt. Als er diesem Angebot in Wien nachging,
erfuhr er, dass es sich dabei um einen "Fuhrparkrabatt" handle. Den
nicht nur Peugeot Wien als Konzernbetrieb, sondern alle
Peugeot-Händler ganz normalen Endkunden aktionsweise anbieten können.
"Das wurde uns freien Peugeot-Händlern aber nie mitgeteilt." Die
frustrierte Kundin ließ sich bei Kalcher mit seinen "mickrigen"
Prozenten verständlicherweise nie mehr blicken.
Wie konnten die Verkäufer von Peugeot Wien wissen, dass sich diese
Kalcher-Kundin gerade jetzt für einen Peugeot 3008 interessiert? Eine
der Möglichkeiten ist das sogenannte WÖK-System, in das alle Händler
all ihre Verkäufe mit den genauen Konditionen, die sie ihren Kunden
gewähren, einzuspeisen haben. In diesesSystem haben laut Peugeot nur
die Mitarbeiter des Importeurs, wie etwa die Gebietsbetreuer,
Einblick. Was aber nicht ausschließt, dass es doch informelle
Querverbindungen gibt, die es den Peugeot-Verkäufern in Wien oder
Linz ermöglichen, zeitnah auf die bei freien Peugeot-Händlern
eingehenden Kundenanfragen mit eigenen Angeboten zu reagieren.
"Mutter" trägt Retail-Verluste Die Tendenz, den eigenen Partnern das
Geschäft abzujagen, gibt es schon lange. Im Oktober 2011 berichtete
AUTO&Wirtschaft bereits von der Praxis, selbständigen
Peugeot-Partnern in deren Verkaufsgebiet durch die Peugeot Autohaus
GmbH Konkurrenz zu machen. Die dadurch in den Retailbetrieben in Wien
und Linz anfallenden Verluste wurden von der Muttergesellschaft
bilanziell ausgeglichen. "Der bisherige Höhepunkt wurde 2009 mit
einem Minus von 4,4 Millionen Euro erreicht -neuere Bilanzen scheinen
im Firmenbuch noch nicht auf", untermauerte A&W den Bericht mit einer
Bilanzanalyse.
Auf die Bedenklichkeit einer derartigen Vorgangsweise hat
Univ.-Dozent Dr. Hans Peter Hanreich als Leiter der rechtspolitischen
Abteilung der WirtschaftskammerÖsterreich bereits 2004 aufmerksam
gemacht. In allen Händlerverträgen finden sich Klauseln, mit denen
sich die Importeure das Recht einräumen, verschiedene Kundengruppen
selbst zu beliefern. Mit Konditionen, die weit über den vertraglichen
Händlerspannen liegen.
Bis zu 40 Prozent Rabatt So gewährte Opel einem markenfreien
Autohändler 2011 für ein Jahreskontingent von 200 bis 300 Stück einen
Rabatt von 30 bis 40 Prozent, weil dieser gleichzeitig auch als
"Autovermieter" firmierte. Mit dessen Kurzzulassungen wurden dann die
Zulassungsstatistiken geschönt -wobei sich der ortsansässigeOpel-Partner mit all seinen Bonifikationen mit maximal 20 Prozent
begnügen musste. Eine Praxis, die lange Zeit auch bei Peugeot üblich
war. Wodurch es der Peugeot Autohaus GmbH möglich war, solche Autos
nach 6 Monaten als Jungwagen mit 0 Kilometern zu Schleuderpreisen
direkt vom Neuwagenlager anden Mann oder die Frau zu bringen.
"Üblicherweise räumt der Lieferant den von ihm selbst belieferten
Endkunden höhere Rabatte ein als seinen Vertragshändlern. Der erhält
diese Konditionen selbst dann nicht, wenn er die gleichen Stückzahlen
wie Großabnehmer auf einmal kauft", skizziert Hanreich in der mit Dr.
Christoph Nauer für eine Festschrift erstellten Rechtsanalyse die
Ausgangslage der Vertragshändler. "Aus wirtschaftlichen Gründen
können die Händler aufgrund dieser Rabattspreizung nicht mehr um
diese Kundengruppen mit dem Lieferanten konkurrieren", zitiert
Hanreich die Europäische Kommission, die darin den freien Wettbewerb
gefährdet sieht.
Hersteller im Wettbewerb mit Händler Somit ist klar, dass der
Hersteller, sobald er selbst um den Letztverbraucher konkurriert, mit
dem Einzelhändler im Wettbewerb steht. Unabhängig davon, ob er diese
Geschäfte direkt oder über eine eigene Retail-Tochter abwickelt. So
stellte Nauer schon 2004 klar: "Durch die Direktbelieferung der
Endkunden begibt sich der Lieferant auf die Handelsstufe des Händlers
und konkurriert mit dem Händler auf dessen Handelsstufe."
Zu einemähnlichen Ergebnis kommt auch die Bundeswettbewerbsbehörde
(BWB), die im laufenden Peugeot-Verfahren als Amtspartei
einschreitet. Sie wurde bereits im April 2016 von Vertretern des
Bundesgremiums "über die betriebswirtschaftlich und finanziell
angespannte Situation zahlreicher Kfz-Vertragshändler informiert".
Für sie ergäbe sich dies nicht zuletzt "aus diversen Vorgaben,
Maßnahmen oder Vertragsbedingungen der jeweiligen
Lieferanten/Importeure, durch die in einer Weise Einfluss auf die
Kosten bzw. Ertragsmöglichkeiten der Betriebe genommen werde, die ein
positives Wirtschaften erschwereoder mitunter unmöglich mache". Was
sich in den Händlerbilanzen mit jenen Verlusten niederschlage, die
-im Gegensatz zur Peugeot Autohaus GmbH -von keinem Importeur
nachträglich ausgeglichen werden.
Die BWB kommt zu dem Schluss, dass sich Peugeot als Lieferant
gegenüber den Händlern in einer "marktbeherrschenden Stellung"
befindet. Weil diese Händler "zur Vermeidung schwerwiegender
betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der
Geschäftsbeziehung angewiesen sind". Dadurch trägt Peugeot als
marktbeherrschendes Unternehmen "eine besondereVerantwortung dafür,
dass durch sein Verhalten der wirksame unverfälschte Wettbewerb nicht
beeinträchtigt wird".
Teuer beim Lieferanten einkaufen Von besonderer Relevanz ist dabei
das "Bundesgesetz zur Verbesserung der Nahversorgung und der
Wettbewerbsbedingungen" (NVG). Aus der Sicht der BWB handelt es sich
dabei um ein wettbewerbsrechtliches Sondergesetz, "dessen
Bestimmungenüber das "Kaufmännische Wohlverhalten" nicht auf
Wirtschaftszweige beschränkt sind, die für die Nahversorgung
Bedeutung haben". Generell soll das NVG einen "leistungsgerechten
Wettbewerb" sichern, gilt somit auch für den Kfz-Vertrieb.
Dazu hat bereits Nauer klargestellt: "Der Händler hat im Wettbewerb
wesentlich höhere Einstandspreise als der Lieferant selbst. Der
Händler muss teuer beim Lieferanten einkaufen, und dieser unterbietet
gleichzeitig seinen Händlerverkaufspreis, wenn er selbst an die
Endkunden verkauft". Er verweist dabei auf §2 Absatz 1 NVG, durch den
esdem Lieferanten verboten ist, befugten Wiederverkäufern "beim
Vorliegen gleicher Voraussetzungen ohne sachliche Rechtfertigung
unterschiedliche Bedingungen zu gewähren."
Wenn Peugeot mit seinem Retail-Geschäft Verluste schreibt und diese
nachträglich bilanziell ausgleicht, verstößt dies gegen das
Diskriminierungsverbot des § 2 NVG.
Das Gericht wird im laufenden Verfahren daher zu prüfen haben, ob und
bis zu welcher Höhe unterschiedliche Preisdifferenzierungen sachlich
gerechtfertigt sind. "Vor allem, da der Lieferant die Kosten für das
sonstige Vertriebssystem und den Imageaufbau seiner Marke weitgehend
auf die Händler abwälzt", hat Hanreich bereits 2004 eine Klärung
dieser Rechtsfrage angeregt. Möglicherweise kommt es 15 Jahre später
vielleicht doch noch dazu.