Unabhängig sein, das wollen viele im Leben erreichen. Doch Job, Familie, Kind und Kegel binden einen im Alltag bekannterweise an gewisse Verpflichtungen und Abläufe. Was bleibt, ist also nur das Verschieben dieses Anspruchs in die schönste Zeit des Jahres - in den Urlaub. Und mit keiner anderen Fahrzeuggattung lässt sich die Unabhängigkeit "on the road" besser erleben als mit den kompakten Camper-Modellen vom Schlage eines Mercedes-Benz Marco Polo oder VW T5 beziehungsweise T6 California (siehe auch Modellübersicht auf Seite 56). Denn unbestritten, so eine Tour in einem Reisemobil hat feine Vorteile, birgt aber auch seine Tücken, wie unser Praxistest im neuen Marco Polo gezeigt hat.

Viel platz auf relativ wenig Raum

Zunächst mal zum Setup, was bietet der Kompakt-Camper aus Stuttgart überhaupt? Die gute Antwort: auf relativ wenig Raum fast alles. Auf 5,14 Meter Länge -die neue V-Klasse bildet die Basis für den Umbau durch Westfalia - gibt es etwa vier Sitzplätze, zwei Betten auf zwei Ebenen, einen 40 Liter großen Kühlschrank, einen zweiflammigen Gaskocher mit 2,8 Kilogramm schwerer Druckflasche, eine Standheizung und ein Abwaschbecken mit Wasserhahn, der an einem 38 Liter großen Frischwassertank angeschlossen ist. Das reicht auch schon mal für eine kleine Outdoor-Dusche, denn im Heck lässt sich einkleiner Duschkopf an den Frischwasssertank anschließen, der wiederum am Heckfenster mittels Saugnapf befestigt werden kann. Für das Abwasser beim Geschirrspülen stehen 40 Liter in einem separaten Nutzwassertank zur Verfügung. Nicht die Welt, weshalb wir auf unserer Tour für den schnellen Abwasch nach einem ausladenden Frühstück auf eine zusätzliche Plastikwanne vertraut haben und vor allem außerhalb des Fahrzeugs abgewaschen haben. Wie dem auch sei, unter dem Wasserhahn befinden sich drei Ausziehfächer und ein zweietagiges Regalfach. In Kombination mit dem Kühlschrank finden darin Geschirr, Besteck, Konservendosen, Gewürzpackerl, Töpfe und Pfannen sowie eine Wochenration Lebensmittel für zwei Personen Platz. Vorausgesetzt, die Dinge werden Tetris-mäßig eingeschlichtet ... Doch das ist noch nicht alles: Dank einem weiteren Schrank können noch andere Dinge -wie etwa ein Badminton-Set, ein Frisbee und ein Fußball -verstaut werden, die einem das Leben abseits von Hotelzimmern oder der Campingplatzinfrastruktur komfortabel und unterhaltsam machen. Der Haken: Der Nutzwert dieses Schranks ist nicht universell gültig, hängt es doch immer davon ab, ob die zweite Sitzreihe zum Sitzplatz oder Bett umgebaut ist. Stehen die Lehnen etwa aufrecht, ist es fast unmöglich, große Gegenstände herauszunehmen. Von den eigenartigen Verrenkungen, die man dabei aufführen muss, ganz zu schweigen. Sehr praktisch ist hingegen der Kofferrauminhalt. Während der untere Bereich alsKlappfach einen Tisch und zwei Stühle beinhaltet, die sich auf der Tour wirklich bezahlt gemacht haben, bildet der Deckel dieses Fachs die Auflagefläche für die Matratze, die über die Fondsitze gelegt wird. Oder man verwendet ihn während der Fahrt als Ablagefläche für Taschen und Koffer.

packen, schlichten, wegräumen

Es geht im Marco Polo platzmäßig keinesfalls eng zu, doch spätestens beim ersten Aufbau merkt man, dass das Aus-und Einräumen, Schlichten und Packen fest zum Urlaubsalltag in einem Kompakt-Camper gehören. Einfaches Beispiel: Baut man die Fondsitze zum Bett um, dann müssen Koffer und Taschen vom Kofferraum in den Fond geräumt werden, das wiederum verstellt denjenigen den Weg, die zum Schlafen ins Hubdach klettern müssen. Am Morgen wiederum muss also alles wieder angefasst werden, weil man nur dann an Kühlschrank, Gasherd und Spüle kommt, wenn die Fondsitze wieder aufgerichtet werden (was glücklicherweise rein elektrisch funktioniert). Als gute Lösung hat sich deshalb das Verstauen der Koffer und Taschen auf Fahrer- und Beifahrersitz sowie im Fußraum von letzterem erwiesen, weil die Sachen dort, sofern man am Campingplatz stehenbleibt, kaum im Weg sind.

Und wie schläft es sich im mobilen Heim? Ganz gut. Oder sagen wir so, eine ausgiebige Wanderung oder Mountainbiketour und ein, zwei oder drei gemütliche Schlummer-Drinks schaden nicht, wenn man durchschlafen möchte. Dabei gibt es jedoch durchaus Unterschiede bei den beiden Betten: Auf dem unteren liegt es sich etwa trotz zusätzlicher Auflage etwas hart, wer also empfindlich wie die sprichwörtliche Prinzessin auf der Erbse ist, sollte sich eine weitere aufblasbare Isomatte besorgen und unterlegen. Oben im Hubdach ist der Liegekomfort nicht zuletzt dank Lattenrost und Matratze deutlich besser, aber auch dort geht es relativ kuschelig zu. Die beiden Betten messen in der Breite nämlich nur 1,40 Meter, weshalb man sich - ob man will oder nicht -näherkommt. Entsprechende Zuneigung beziehungsweise Toleranz bildet also die zwischenmenschliche Basis für eine erholsame Nacht.

Keine Einschränkungen im Alltag

Hat man das Nachtlager zusammengepackt und kurvt zur nächsten Station, dann spielt der Marco Polo aufgrund der kompakten Abmessungen seinen wirklichen Trumpf aus. Die Einfahrt in Innenstädte und Tiefgaragen stellt ebenso wenig ein Hindernis dar wie lange Etappen auf der Autobahn, wo man im Gegensatz zu den rollenden Häusern von Hymer oder Dethleffsauch auf der linken Spur eine sportliche Figur macht. Gleiches gilt für den Spritverbrauch: Mit acht Liter Diesel findet man trotz 190 PS Leistung und Allradantrieb locker das Auslangen, vorausgesetzt man fährt geistesgegenwärtig. Alles andere ist ob der Beladung mit Konservendosen, Knäckebrot und einem Kühlschrank voll druckempfindlicher Lebensmittel aber ohnehin nicht zu empfehlen. Und schließlich gilt ja auch, wer reist, soll nicht rasen.

Günstig ist diese Unabhängigkeit auf Rädern freilich nicht, unfinanzierbar aber ebenso wenig. Knapp 100.000 Euro sollte man für einen derart ausgestatteten Marco Polo aber schon kalkulieren. Kleines Trostpflaster: Kompakte Camper sind sehr wertstabil und für Gebrauchte findet sich im Normalfallschnell ein Käufer. Wer also seinen Wagen nicht runterwohnt, der hat beim Wiederverkauf die Möglichkeit, die vergangenen Urlaube auf ein extrem niedriges Preisniveau zu drücken. «