Peter Hülzer gab bei seinem Abschied der nunmehr von Yorick M. Lowin
(40) und Hans-Jürgen Drechsler (62) geführten siebenköpfigen
Reifenverbandsspitze eine umfassende Analyse mit auf den Weg.
Der Reifenfachhandel, und das gelte auch für Österreich, muss, um zu
überleben, vollumfänglich sich auf die hochpreisige Vermarktung
seiner Dienstleistungen konzentrieren, gab der scheidende
BRV-Vorsitzende Peter Hülzer den Mitgliedern als Parole aus.
Das vor dem Hintergrund, dass Hersteller die Auffassung vertreten, in
absehbarer Zeit am Verkauf eines Pkw-Reifens keine Marge mehr zu
erzielen. "Eine Tendenz, die der Verband nicht umkehren kann,
wenngleich sie kaufmännisch aberwitzig ist!"
Hülzer weiter: "Zuerst erhöht man herstellerseitig den
Wettbewerbsdruck durch eine keinerlei Ordnungsprinzipien
unterliegenden Distributionspolitik, eine den Nachfragerealitäten
nicht angepassten Produktion sowie eine wettbewerbsverzerrende
Subventionspolitik, die die eigenen Handelstöchter davorbewahrt, für
ihre eigenen Verluste auch gerade zu stehen, um dann denjenigen, die
sich um eine qualifizierte Vermarktung ihrer Hightech-Produkte
kümmern, mitzuteilen, dass man auskömmliche Produktmargen zukünftig
vergessen kann." Er wundert sich über die "stoische Gelassenheit",
mit der der Reifenfachhandel diese absurden Aussagen zur Kenntnis
nimmt.
Auf Schleuderkurs Bei der abwesenden Reifenindustrie inüber 30
Jahren Verbandstätigkeit versteht Hülzer nicht, warum die Industrie
über alle verfügbaren Vertriebskanäle -Großhandel wie Hersteller -ein
Hightech-Produkt wie Reifen verschleudert. Auf die im Rahmen des
Branchenbarometers dem Reifenfachhandel gestellte Frage, ob sich die
Reifenindustrie bemühe, Dumpingpreise einzelner Anbieter zu
unterbinden, antworteten 68 Prozent der in Deutschland befragten
Reifenfachhändler mit "trifft eher nicht zu/trifft überhaupt nicht
zu". Umfragewerte in Österreich werden in einem ähnlichen Szenario
vermutet.
Hülzers letzte Bitte vor "habe fertig"
Am Ende seiner 30 Jahre währenden Verbandstätigkeit tadelte Hülzer
nochmals die Industrie, die jedoch durch Abwesenheit zu verstehen
gab, dass sie die Verbandsarbeit inhaltlich anders verstehen will.
"Eine an Vermarktungsqualität orientierte vertriebspolitisch
sinnvolle Ausrichtung und Struktur ist für mich nicht erkennbar."
Daraus resultiere die Gefahr, dass es zunehmend schwerer werden
werde, im von den Herstellern verantworteten Vertriebsdschungel
hochwertige Hightech-Dienstleistungen mit ausreichender Marge zu
verkaufen. "Man will uns allerdings weismachen, dass dies möglich
sein könnte." Hülzers abschließender Appell an den Reifenfachhandel:
"Fallen Sie auf solche Empfehlungen auch aus Gründen Ihrer eigenen
Existenzsicherung nicht herein!" Dann faltete er sein Redemanuskript
mit den an Bayerns Ex-Trainer Giovanni Trapattoni angelehnten
legendären Worten "Ich habe fertig" und ging endgültig von der
BRV-Bühne. Seine Nachfolger haben viel zu tun, den Verband aus dem
Würgegriff der Industrieinteressen zu befreien, was angesichts der
wirtschaftlichen Realität schwierig ist.
Österreichs Verband liest vielleicht diese Botschaften. Zum
Abschiedsakt fand sich niemand vom VRÖ-Vorstand in der Lage, nach
Köln zu reisen. Zahlreiche Reifenfachhändler ringen mit sich selbst,
Antworten auf die vor ihnen liegenden Herausforderungen und die
geschäftspolitische und strategischeAusrichtung zu finden. Wenn auf
diese Zitate Antworten vielerorts noch nicht gefunden wurden, so
zeigen die Überlegungen doch, dass die Branche Überlebenswille hat
und sich weiterentwickeln will.
Stephan Helm greift zu Beginn seiner Amtszeit die Empfehlung des
Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) auf, den Reifenfachhandel zum
Mobilitätsdienstleister zu gestalten und damit wieder zurück auf den
Erfolgsweg zu bekommen. Ob das reicht?
Auf diesem Weg muss der Verband allen Szenarien im
Veränderungsprozess Rechnung tragen, den viele Mitglieder von heute
morgen nicht mehr folgen werden oder schlicht nicht mehr mitgestalten
können. Die Karten sind längst neu gemischt. (LUS)
Zitate aus Hülzers Rede:
"Emotionale Intelligenz, die ein Verkäufer oder Meister im
Kundenkontakt rüber bringt, darf nicht dem Digitalisierungswahn, dem
wir vielerorts begegnen, geopfert werden."
"Der zielgruppenorientierte Einsatz der Digitalisierung muss ein
aktives Servicemarketing zur Sicherstellung der Werkstattauslastung
ermöglichen und zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit und -bindung
durch Schaffung von echtem Mehrwert beitragen.
"Wer Treiber und Berater einer Branche sein will, muss, will er sich
nicht selbstüberflüssig machen, seine eigene Position stets
überdenken und gegebenenfalls den Veränderungsprozessen anpassen."