Der Reifenfachhandel, und das gelte auch für Österreich, muss, um zu überleben, vollumfänglich sich auf die hochpreisige Vermarktung seiner Dienstleistungen konzentrieren, gab der scheidende BRV-Vorsitzende Peter Hülzer den Mitgliedern als Parole aus.

Das vor dem Hintergrund, dass Hersteller die Auffassung vertreten, in absehbarer Zeit am Verkauf eines Pkw-Reifens keine Marge mehr zu erzielen. "Eine Tendenz, die der Verband nicht umkehren kann, wenngleich sie kaufmännisch aberwitzig ist!"

Hülzer weiter: "Zuerst erhöht man herstellerseitig den Wettbewerbsdruck durch eine keinerlei Ordnungsprinzipien unterliegenden Distributionspolitik, eine den Nachfragerealitäten nicht angepassten Produktion sowie eine wettbewerbsverzerrende Subventionspolitik, die die eigenen Handelstöchter davorbewahrt, für ihre eigenen Verluste auch gerade zu stehen, um dann denjenigen, die sich um eine qualifizierte Vermarktung ihrer Hightech-Produkte kümmern, mitzuteilen, dass man auskömmliche Produktmargen zukünftig vergessen kann." Er wundert sich über die "stoische Gelassenheit", mit der der Reifenfachhandel diese absurden Aussagen zur Kenntnis nimmt.

Auf Schleuderkurs Bei der abwesenden Reifenindustrie inüber 30 Jahren Verbandstätigkeit versteht Hülzer nicht, warum die Industrie über alle verfügbaren Vertriebskanäle -Großhandel wie Hersteller -ein Hightech-Produkt wie Reifen verschleudert. Auf die im Rahmen des Branchenbarometers dem Reifenfachhandel gestellte Frage, ob sich die Reifenindustrie bemühe, Dumpingpreise einzelner Anbieter zu unterbinden, antworteten 68 Prozent der in Deutschland befragten Reifenfachhändler mit "trifft eher nicht zu/trifft überhaupt nicht zu". Umfragewerte in Österreich werden in einem ähnlichen Szenario vermutet.

Hülzers letzte Bitte vor "habe fertig"

Am Ende seiner 30 Jahre währenden Verbandstätigkeit tadelte Hülzer nochmals die Industrie, die jedoch durch Abwesenheit zu verstehen gab, dass sie die Verbandsarbeit inhaltlich anders verstehen will. "Eine an Vermarktungsqualität orientierte vertriebspolitisch sinnvolle Ausrichtung und Struktur ist für mich nicht erkennbar." Daraus resultiere die Gefahr, dass es zunehmend schwerer werden werde, im von den Herstellern verantworteten Vertriebsdschungel hochwertige Hightech-Dienstleistungen mit ausreichender Marge zu verkaufen. "Man will uns allerdings weismachen, dass dies möglich sein könnte." Hülzers abschließender Appell an den Reifenfachhandel: "Fallen Sie auf solche Empfehlungen auch aus Gründen Ihrer eigenen Existenzsicherung nicht herein!" Dann faltete er sein Redemanuskript mit den an Bayerns Ex-Trainer Giovanni Trapattoni angelehnten legendären Worten "Ich habe fertig" und ging endgültig von der BRV-Bühne. Seine Nachfolger haben viel zu tun, den Verband aus dem Würgegriff der Industrieinteressen zu befreien, was angesichts der wirtschaftlichen Realität schwierig ist.

Österreichs Verband liest vielleicht diese Botschaften. Zum Abschiedsakt fand sich niemand vom VRÖ-Vorstand in der Lage, nach Köln zu reisen. Zahlreiche Reifenfachhändler ringen mit sich selbst, Antworten auf die vor ihnen liegenden Herausforderungen und die geschäftspolitische und strategischeAusrichtung zu finden. Wenn auf diese Zitate Antworten vielerorts noch nicht gefunden wurden, so zeigen die Überlegungen doch, dass die Branche Überlebenswille hat und sich weiterentwickeln will.

Stephan Helm greift zu Beginn seiner Amtszeit die Empfehlung des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) auf, den Reifenfachhandel zum Mobilitätsdienstleister zu gestalten und damit wieder zurück auf den Erfolgsweg zu bekommen. Ob das reicht?

Auf diesem Weg muss der Verband allen Szenarien im Veränderungsprozess Rechnung tragen, den viele Mitglieder von heute morgen nicht mehr folgen werden oder schlicht nicht mehr mitgestalten können. Die Karten sind längst neu gemischt. (LUS)

Zitate aus Hülzers Rede:

"Emotionale Intelligenz, die ein Verkäufer oder Meister im Kundenkontakt rüber bringt, darf nicht dem Digitalisierungswahn, dem wir vielerorts begegnen, geopfert werden."

"Der zielgruppenorientierte Einsatz der Digitalisierung muss ein aktives Servicemarketing zur Sicherstellung der Werkstattauslastung ermöglichen und zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit und -bindung durch Schaffung von echtem Mehrwert beitragen.

"Wer Treiber und Berater einer Branche sein will, muss, will er sich nicht selbstüberflüssig machen, seine eigene Position stets überdenken und gegebenenfalls den Veränderungsprozessen anpassen."