Ein Jahr ist es her, dass sich die Mehrheit der Briten entschlossen
hat, der EU den Rücken zu kehren. Angesichts dieses Wahlergebnisses
gelobten Kommissionspräsident Jean Claude Juncker und sein
Politzwilling Parlamentspräsident Martin Schulz Besserung.
Wir
brauchen eine Reform, die deutlich macht, dass "wir den Schuss
verstanden haben", tönte dieser in der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung". Die Union sollte bei ihren Mitgliedern wieder jene
Beliebtheit und Anerkennung erhalten, die einst zu ihrer Gründung und
Erweiterung geführt hatten. Und zwar beim Volk und nicht bei jenen
Eliten, die vorrangig von der EU profitieren.
Zum "Volk" gehören jene Klein-und Mittelbetriebe, deren Arbeitsplätze
und Steuerzahlungen das wirtschaftliche Rückgrat der EU bilden. Die
auch nicht mit Steuertricks in Junckers luxemburgische Heimat
ausweichen können. Die -im Gegensatz zu den multinationalen Konzernen
-auch nicht damit drohen können, in Billiglohnländer abzuwandern. All
jene kleinen Unternehmer und Dienstleister, deren Bedeutung in der EU
im Lauf der vergangenen Jahre in der EU verloren gegangen ist.
Da gab es einst den deutschen Sozialdemokraten Günter Verheugen.
Unter dessen Ägide als Kommissions-Vizepräsident wurde am 20. März
2003 ein europaweites Förderungsprogramm für SMEs (small and
medium-sized enterprises, 2003/361/EC) verabschiedet, das Anfang 2005
in Kraft trat und dessen Umsetzung unter Juncker längst in
Vergessenheit geraten ist. Es unterteilte die künftig zu
unterstützenden Unternehmen in "micro"(bis zu 10 Mitarbeiter und 2
Millionen Euro Umsatz),"small" (50 Mitarbeiter, 10 Millionen Euro
Umsatz) und "medium" (250 Mitarbeiter, 50 Millionen Euro Umsatz). Die
Präambel dieses Maßnahmenplans betont, dass in der EU 23 Millionen
SMEs 99 Prozent aller Gesellschaften repräsentieren, 75 Millionen
Mitarbeiter beschäftigen und die durchschnittliche Betriebsgröße bei
nicht mehr als 6 Mitarbeitern liegt.
Verheugen verwies auf die Schwierigkeiten, mit denen diese
Unternehmen zu kämpfen haben. Das betrifft sowohl den Zugang zum
Kapitalmarkt, die Finanzierung als auch die Zusammenarbeit mit den
restlichen einen Prozent der Unternehmen - so auch mit den bisher von
der EU vorrangig gehätschelten Konzernen. Künftig sollten alle
Programme und Gesetzesvorhaben auf EU-und nationaler Ebene auf ihrer
Auswirkungen für diese Klein-und Mittelbetriebe überprüft werden.
Sowohl die EU als ihre Mitgliedsstaaten sollten regionale Fonds,
Venture-Kapital-Unternehmen als auch Business Angels mit finanziellen
Mitteln ausstatten, um diesen die Förderung und Beteiligung an den
KMUs zu erleichtern. Das sollte auch kleineren Gemeinden bis 5.000
Einwohnern die Unterstützung derartiger Betriebe ermöglichen. Die
Zusammenarbeit dieser SMEs mit der übrigen Wirtschaft sollte durch
geeignete Maßnahmen verbessert werden.
Die Hoffnungen, die diese 23 Millionen Unternehmen mit ihren 75
Millionen Mitarbeitern in dieses Programm gesetzt haben, wurden
bitter enttäuscht. Bis 2004 hatte der Wirtschaftswissenschafter Mario
Monti -ein Feind aller Monopole und Oligopole - das Amt des
Wettbewerbskommissars inne. Ihm verdankten die KMUs mithilfe von
Gruppenfreistellungsverordnungen die Gängelung der Konzerne, er
sorgte im Sinne des SME-Programms für den erforderlichen
Interessenausgleich zwischen "Klein" und "Groß". Mit seiner
Nachfolgerin Neelie Kroes wurde beim Schutz des Wettbewerbs der Bock
zum Gärtner gemacht. Ihre Verbindungen zu Großunternehmen und
Waffengeschäften machten es letztlich erforderlich, sie 2009 auf das
Amt der "Digitalen Agenda" abzuschieben. Erst 2016 wurde durch
"Bahama Leaks" bekannt, dass sie von 2000 bis 2009 Direktorin einer
Bahama-Briefkastenfirma war -was die "Wettbewerbshüterin" bis dahin
wohlweislich verschwiegen hatte.
Der von ihr angerichtete Schaden wirkt auch heute noch nach. Wer nach
Reformen ruft, braucht nur jene Maßnahmen beseitigen, die Kroes
zugunsten der von ihr favorisierten Konzerne gesetzt hat und dem
Verheugen-Programm neues Leben einhauchen. Um das Vertrauen jener 99
Prozent der Unternehmen zurückzugewinnen, die in der Vergangenheit
mit leeren Versprechungen abgespeist wurden.