Für eine solide Weiterentwicklung passende Wachstumsfelder auszumachen, war vor dem Hintergrund der extremen Spreizung der Mitgliederstruktur eine Herausforderung, wie Philipp Grosse Kleimann, Senior Partner Automotive, trocken formulierte.

Der Vorstand des Bundesverbands Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) mit dem angeschlossenen Verband der ReifenspezialistenÖsterreichs (VRÖ) ließ vom renommierten Münchener Institut Roland Berger untersuchen, in welche Richtung sich der Reifenfachhandel in Deutschland, also im deutschsprachigen Raum, weiterentwickeln kann.

Nüchtern analysiert sind Bergers Ergebnisse allen nicht neu: Der Markt leidet seit Jahren unter rückläufigen Absatzzahlen und die Erträge sinken aufgrund massiver Preistransparenz, hervorgerufen vor allem durch den zunehmenden Internethandel.

Kunden werden mit immer verrückteren Zugeständnissen von Anbietern massiv umworben -das Kundenerlebnis wird hier zunehmend zum Wettbewerbsfaktor. Und dies betrifft nicht nur klassische stationäre Anbieter, sondern auch den Internethandel, der sich -Stichwort Wachstumsflaute -in letzter Zeit auch nur mehr schleppend entwickelt.

Autohäuser und freie Werkstätten als Hauptkonkurrenten des Reifenfachhandels haben die Bedeutung des Reifengeschäfts als Frequenzbringer längst erkannt, forcieren das Reifenbusiness über Leistungsbausteine und -ganz aggressiv -über den Preis.

So soll dieüber den Preis zunächst verlorene Marge über eine enge Kundenbeziehung mit einem späteren, zusätzlich generierten Servicegeschäft wieder kompensiert werden. Auf den Punkt gebracht: Die Mitglieder des BRV und auch die vom VRÖ haben kein Erkenntnisproblem, die Krux liegt hier für Grosse Kleimann in der konsequenten und nachhaltigen Umsetzung der vielfach publizierten Lösungsansätze, und die sind keinem Branchenplayer neu.

Übertriebene Kundenerwartung

One-Stop-Shopping nennen die Berger-Analysten die Erwartungshaltung der Kunden, möglichst an einem Ort rundum versorgt zu werden. Vom Reifen-zum Ölwechsel bis hin zur Inspektion oder zur Fahrzeugaufbereitung reicht die Servicepalette.

Besonders der Stammkunde erwartet, dass er von unnötiger Werbung unbelästigt bleibt. Vielmehr will er anhand ohnehin gespeicherter Kundendaten gezielt angesprochen werden, was nötig ist oder nicht.

Ganz selbstverständlich wünscht sich der Kunde einen klar und deutlich formulierten Nutzen, was ein scharfes Unternehmensprofil voraussetzt. Täglich begegnet der Kunde hundertfach Unternehmen, die ebenfalls echten Kundennutzen versprechen, aber er ist gleich wählerisch, wenn etwas nicht passt.

Daraus resultiert eine angemessene Dienstleistungsumgebung, in der sich ein wartender Kunde wohlfühlen will. Da ist noch Handlungsspielraum gegeben.

Aus 100 Maßnahmenideen 14 ausgewählt

Im Detail wurden 14 Themen herausgegriffen, näher analysiert und in Konzepten so intensiv ausgearbeitet, dass jeder einzelne Anwender damit unmittelbar in die Umsetzung starten kann. In Details werden sogar Wirtschaftlichkeitsrechnungen auf Excel-Tools mitgeliefert, die vom Unternehmer sofort, mit eigenen Daten versehen, auf ihre Plausibilität hin überprüft und verwendet werden können.

Wo ein Wille, ist auch ein Weg

Das Wichtigste ist nun, dass diese vom Verband geleistete Vorarbeit zum "Geschäftsmodell Zukunft" von jedem einzelnen Mitglied, egal ob als freier, lokal oder regional operierender Reifenfachhändler oder als Teil einer Kette oder Mitglieder einer Kooperation, im eigenen Wollen als Handlungsempfehlung verstanden wird. Grosse Kleimann erschüttert die Starre im Reifenhandel durch eine besondere Schlussbemerkung: "Grundsätzliche Veränderungen der Branche über das hinaus, was jeder einzelne leisten kann, können nur durch eine stärkere Zentralisierung innerhalb des Reifenfachhandels erzielt werden."

Dass die Reifenindustrie wenig Interesse an einer stärkeren Konzentration des Reifenfachhandels hat, ist evident, denn mit dessen steigender Marktmacht verschieben sich die Kräfte des Reifenfachhandels. Gerade deswegen sollte sich der Reifenfachhandel Gedanken darüber machen, ob er perspektivisch über eine zentrale Steuerung von Ein-und Verkaufsvolumen oder eine zentrale Logistik an Marktbedeutung gewinnen könnte.

Verband in "Taskforce"-Rolle

Ebenso wäre es im Denken der Berger-Leute für den BRV möglich, sich über die reine Verbandsrolle hinaus künftig stärker in Richtung Umsetzung zu engagieren und beispielsweise über eine "Taskforce" die Mitglieder bei der Auswahl und Realisierung der individuellen Maßnahmen vor Ort aktiv zu unterstützen. Der VRÖ konnte sich diesbezüglich noch zu keiner Stellungnahme durchringen.

Veränderungen zur Schaffung einer professionellen und zeitgemäßen Geschäftsbasis vom "Heute" zum "Morgen", was Berger frühestens für 2018 umsetzbar hält, hin zum für 2020 kalendierten Entwicklungsstand "Übermorgen" sind also möglich.

Fazit: Viele BRV-Mitglieder, die den Weg nach Köln genommen haben, sind hoffentlich nicht vom am Verbandstag abends abgehaltenen Großfeuerwerk "Kölner Lichter" geblendet worden und haben in der Urlaubszeit darauf vergessen, die präsentierten Maßnahmen vor Ort im eigenen Unternehmen in ihr herbstliches Maßnahmenpaket einzubeziehen.

Eines ist gewiss: Der Reifenmarkt wächst weiterhin nicht und nur die flinksten und solventesten Mitglieder werden ihre Erfolge auch 2015/2016 einfahren können. Und man beachte weiters: Der BRV könnte bald selbst in die Beraterrolle schlüpfen. Für die immer wieder die Verbandsarbeit kritisierenden Mitglieder ist das völlig neu und die Industrie hat sowieso immer ihre strategischen Bedenken!