Bis die amerikanischen Autohändler ihre derzeitigen Freiheiten hatten, war es ein jahrzehntelanger Kampf: Friedrich Kessler, damals Professor an der Yale Law School und zuletzt an der University of California, befasste sich schon vor mehr als 15 Jahren mit diesem Thema. In der bei Europas Kartellrechtlern wenig bekannten Festschrift "Der Konflikt zwischen Antitrustrecht und Vertragsfreiheit im Automobilvertrieb" listet er all jene Vertragsklauseln auf, mit denen die US-Produzenten ihre Händler zu knechten versuchten. Ausgehend vom "Sherman Act" wurden durch zahlreiche Urteile und Gesetze in diesem Interessenskonflikt die Rolle der Händler sukzessive gestärkt.

Hersteller hatten anfangs weit mehr Macht

Grundsätzlich herrscht bei der Auswahl der Händler Vertragsfreiheit - und somit Abschlussfreiheit. Der Hersteller ist trotz Antitrustrecht zum "refusal to deal" berechtigt. Die berühmt-berüchtigte Colgate-Entscheidung im Jahr 1919 ermächtigte den Hersteller zu einem vertikalen Preisbindungssystem, das es Preisbrechern unmöglich machte, preisgebundene Waren zu beziehen. "Diese privilegierte Rolle ist zwar immer mehr eingeschränkt, aber niemals völlig aufgegeben worden", schreibt Kessler. Damit wurde dem Hersteller ein "äußerst wirksames, der Kontrolle des Antitrustrechts entzogenes Machtmittel in die Hand gegeben".

Diese Macht wurde auch ausgiebig genutzt. Laut Kessler gingen Hersteller, die mit der Marktdurchdringung des Händlers unzufrieden waren, nicht selten dazu über, zusätzliche Händler zu ernennen. Außerdem bedienten sie sich sogenannter "stimulator dealers", um ihren Marktanteil zu vergrößern. So konnten, wie Kessler schreibt, die Hersteller die Finanzhilfen ihren Vertragslieblingen zulasten anderer Vertragspartner zukommen lassen.

Verluste spielten keine Rolle

"Sie gingen sogar dazuüber, mit eigenem Kapital Verkaufsstellen aufzubauen und schreckten nicht davor zurück, die vorhandenen Händler im Preis zu unterbieten, selbst wenn dies mit Verlusten geschehen sollte", sagt Kessler. Die von solchen "predatory practices" bedrohten Händler nahmen die Hilfe des Antitrustrechts inAnspruch. "Aber nur wenige Entscheidungen waren bereit, eine Verabredung zwischen dem Hersteller und seiner eigenen Filiale zu finden und zugunsten des Klägers zu entscheiden."

Den Händlern konnte die Pflicht zur "market penetration" auferlegt werden, was oft in einem Quoten-und Bonifikationssystem verankert wurde. Daneben wurden Gebiets-und Kundenbeschränkungen festgelegt. Lediglich vertikale Preisbindungen wurden durch einige Urteile "schlechthin für wettbewerbsfeindlich erklärt".

Erlaubt blieb den Händlern auch das "dual lining", der Verkauf von Konkurrenzprodukten. Kessler: "Das bedeutet keinesfalls, dass es Händlern möglich ist, sich den Produkten des Konkurrenten mit derselben Energie zu widmen. Dafür sorgen schon die Klauseln, die market penetration vorschreiben und ein Quotensystem auferlegen."

Kein Schutz gegen Marktmissbrauch

Kessler verweist darauf, dass das Antitrustrecht zwar dazu beitrug, die Unabhängigkeit des Händlers zu stärken. "Es gab ihm jedoch keinen Schutz gegen wirklichen oder vermeintlichen Marktmissbrauch." Auch die Gefahr einer Geschäftsverweigerung oder eines Geschäftsabbruches "without cause" wurde nicht beseitigt. So war es kein Wunder, dass sich die Händler an den Kongress und an die einzelstaatlichen Gesetzgeber wandten, um ihre Lage zu bessern. Erfolgreich waren sie vorerst in Wisconsin: Das dort eingeführte Gesetz verbietet ganz allgemein unbillige Kündigung oder unbillige Nichtverlängerung des Händlervertrages.

1956 gelang es dem Händlerdachverband NADA, auf Bundesebene die Antitrustgesetzgebung zu ergänzen, "um die Ungleichheit in der Machtstellung des Händlers gegenüber dem Hersteller zu verbessern". Allerdings bot diese Neuerung dem Händler keinen Schutz vor zusätzlichen Niederlassungen, "selbst wenn sie factory dominated sind". Daher dienten den Herstellern überhöhte Verkaufsquoten als Vorwand, Händler zu kündigen um eigene Verkaufsstellen zu eröffnen.

Seit 1967 wurden Jahr für Jahr Gesetzesentwürfe eingebracht, um das "refusal to deal" - das heißt Kündigung und Nichterneuerung -stark zu beschränken. Besonders einschneidend war 1971 der "Franchise Fair Dealing Act" in Massachusetts: Darin wurde eine "Bill of Rights" für den Händler eingeführt. Es verbietet allgemein "unfair measures of competition and unfair or deceptive acts or practices".

Ausdrücklich untersagt sind Maßnahmen, die den Händler zwingen, unbestellte Ware anzunehmen. Ebenso Drohungen mit Kündigungen, um den Händler zu einer für ihn nachteiligen Handlung zu zwingen. Jede Kündigung oder Nichterneuerung ist zu begründen. Gegen zusätzliche Niederlassungen kann ein Händler Einwände erheben, wobei das Schiedsgericht über diese endgültig und bindend entscheidet. Der Attorney General hat für die Einhaltung des Gesetzes zu sorgen. Gesetzesverletzungen führen zu erheblichen Kartellrechtsstrafen. "Natürlich ist das Recht des geschädigten Dealers, auf Schadenersatzzu klagen, nicht angetastet", schließt Kessler seine Analyse.

Starke Händler sind für alle wichtig

Nahezu alle Bundesstaaten sind seither diesem Beispiel gefolgt. "Starke, wirtschaftlich unabhängige Händler sind die Grundlage des Nutzens für den Verbraucher", davon sind Amerikas Konsumentenschützer überzeugt. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Deshalb empfahl der deutsche ZDK-Präsident Rolf Leuchtenberger schon 2001 der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament, den US-Weg zum Verbrauchernutzen auch für Europa zu beschreiten. Eine höchst aktuelle Forderung, denn der von Brüssel gewählte Weg hat sich als Sackgasse erwiesen.

Der 1. Teil dieses Textes erschien als "Thema" in "AUTO&Wirtschaft" 9/2014 unter dem Titel "Ist es in Amerika besser?" auf den Seiten 12/13. Zum Nachlesen finden Sie den Inhalt auch im Internet unter www.autoundwirtschaft.at