Schuster, bleib bei deinem Leisten -dies ist die Botschaft, welche
dem Beitrag der Autoren Ludwig Gwercher, Friedrich Nagl und Gerwich
Riautschnig der aktuellen Ausgabe der rechtswissenschaftlichen
Zeitschrift "ZVR" zu entnehmen ist.
Schuster, bleib bei deinem Leisten. Gemeint sind damit jene
Sachverständige aus dem Fachgebiet der Unfallrekonstruktion (17.01),
die ohne entsprechenden Befähigungsnachweis und ohne praktische
Kenntnisse "laufend Gutachten zur Höhe der Reparaturkosten, zum
Fahrzeugwert, zum objektiven Minderwert, zur Reparaturdauer, zum
Nutzungsentgelt und auch zur merkantilen Wertminderung" erstellen. Es
handelt sich dabei um eine Replik auf einen Beitrag von
Kamelreiter/Kersche/Wielke, die darin die Formel des
Unfallrekonstruktionsexperten Univ.-Prof. Dr. Bernhard Wielke
gegenüber der von einer Gruppe von Kfz-SV entwickelten "Salzburger
Formel" zur Berechnung der "merkantilen Wertminderung" vehement
verteidigen. "Die für die Unfallanalyse erforderlichen Fachkenntnisse
decken nicht einmal ansatzweise die entscheidenden Fachfragen des
Fachgebietes 17.11 ab", kritisieren die Kfz-Praktiker um
Bundesinnungsmeister Fritz Nagl die "Mitbehandlung des
Fahrzeugschadens im Zuge der Unfallanalyse".
Klare Abgrenzung eingefordert
Von den Gerichten wird bei den Gutachtensaufträgen eine klare
Abgrenzung der Fachgebiete eingefordert. Im Bereich der Medizin fällt
es keinem SV aus dem Bereich HNO ein, zahnärztliches Gutachten
abzugeben. Obwohl sich beide Bereiche dem Kopf des Menschen widmen.
Unter dem Obmann der gerichtlich beeideten Kfz-Sachverständigen Dr.
Wielke wurden derartige Grenzen unter Berufung auf die richterliche
Entscheidungsfreiheit immer stärker verwischt, lautet eine Kritik.
"Selbstverständlich besteht auch für Spezialisten auf dem Gebiet der
Unfallanalyse, die noch nicht über die Befähigung im
Kfz-Schadensbereich verfügen, die Möglichkeit,sich Fachkenntnisse
und Praxisjahre in einem Kfz-Betrieb anzueignen und die
Meisterprüfung nachzuholen", geben sich die Autoren Gwercher, Nagl
und Riautschnig konziliant. Eine "Mitbehandlung" des Fahrzeugschadens
im Zuge der Unfallrekonstruktion durch einfaches "Nachbeten" der von
den Versicherungen vorgegebenen Kalkulationen ist aus fachlicher
Sicht aber strikt abzulehnen", verletze dies aus der Sicht des
SV-Berufsrechtes den Anspruch der Geschädigten "auf originäre
Gutachten zur Höhe des Fahrzeugschadens". Die ständig zu beobachtende
"pauschale Bestätigung von vorgelegten Gutachten derVersicherungen"
sei in Gerichtsverfahren abzulehnen.
"Nachbeten" unstatthaft
"Die Auswahl des Sachverständigen ist eine Ermessensentscheidung des
Gerichts, das dabei nicht an die Vorschläge der Parteien gebunden
ist. Mit dem Berufungsurteil 4R25/10v hat das Oberlandesgericht Graz
einmal mehr die Unabhängigkeit der Richter bei der
Sachverständigenauswahl bekräftigt. Das gilt auch dann, wenn der SV
in dem zu beurteilenden Gebiet weder über die nötige Ausbildung noch
über die nötige Praxis verfügt. Der Richter muss nur überzeugt sein,
einen "Alleswisser" zum Sachverständigen bestellt zu haben.
Im konkreten Fall ging es um technische Probleme imäußerst
vielfältigen Bereich des Maschinenbaus. Zur Lösung dieser Frage hat
der Richter einem ihm zu Gesicht stehenden DI Dr.N.N. zum
Sachverständigen bestellt. Die Einwendungen der Klägerin, dass dieser
nur über Fachwissen im Fachgebiet Kraftfahrtechnik, Müllereimaschinen
und Maschinenbau allgemein verfügt, nicht aber auch über das für
Großmaschinen für ein Hafenprojekt, wurden vom Richter
abgeschmettert. Schließlich habe "sein" Sachverständiger ihm
dargelegt, aufgrund seiner Ausbildung - immerhin ein Doktorat -und
seines beruflichen Werdeganges "zumindest den Großteil der
streitgegenständlichen Problematik" begutachten zu können.
Die Tatsache, dass dieser Sachverständige in der
Sachverständigenliste gar nicht für das zu beurteilende Fachgebiet
eingetragen war, spielt keine Rolle. Die Eintragung in ein Fachgebiet
besagt nur, dass er in diesem Gebiet besonders fachkundig ist. Das
hat jedoch "keine Indizwirkung dahin, dass die zur Erfüllung des
Gutachtensauftrages erforderliche Befugnis oder Fachkompetenz fehlt"
.
Privatgutachten lediglich Urkunden
Wenn die von mangelnder SV-Kompetenz betroffenen Parteien hoffen,
dies mit einem Privatgutachten korrigieren zu können, sind sie am
Holzweg. "Denn Privatgutachten sind nicht mehr als Urkunden, die die
Meinung ihres Verfassers wiedergeben, wobei dieser Verfasser nicht
den Pflichten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen
unterliegt", stellte der OGH in seiner Entscheidung 17 Ob 21/10b
neuerlich klar, dass Privatgutachten den Gerichtsgutachtern nicht in
die Quere kommen dürfen.
Zweierlei Maß
Diese Urteile zeigen die Schwäche der österreichischen
Zivilprozessordnung (ZPO) bei der Regelung des
Sachverständigenbeweises. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, warum
das Privatgutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen
weniger Wert haben und weniger richtig sein soll als das von einem
Richter in Auftrag gegebene Gutachten.
Tatsächlich haftet der privat beauftragte Gutachter für die
Richtigkeit seines Gutachtens genauso wie der vom Gericht
beauftragte. Wie soll bei uns ein Richter die Qualität eines
SV-Gutachtens objektiv beurteilen, wenn er selbst den SV ausgesucht
und das Gutachten in Auftrag gegeben hat.
Realitätsfremd
Es ist aus heutiger Sicht einfach realitätsfremd, dem Privatgutachten
per ZPO lediglich Urkundscharakter und dem Verfasser -oft
fachkundiger als der vom Gericht bestellte SV -nicht einmal
Zeugenfunktion zuzubilligen. Hinzu kommt, dass die
Sachverständigentätigkeit lediglich der Ausfluss einer einschlägigen
außergerichtlichen beruflichen Tätigkeit sein sollte. Die
Gerichtspraxis zeigt, dass dies nicht der Fall ist und sich
"hauptberufliche" Sachverständige etabliert haben, die in
Abhängigkeit ihrer Auftraggeber- der jeweiligen Richter -stehen.
Der OGH hat in seinem Urteil ausgesprochen, dass keine Gründe vom
Abgehen von der bisherigen Regelung vorliegen. Tatsächlich sind den
Gerichten durch die ZPO die Hände gebunden. Es liegt am Gesetzgeber,
erforderliche Änderungen in die Wege zu leiten.