Seit Jahren wettern Vertreter des Kfz-Gewerbes gegen die "Restwertbörsen" - mit wenig Erfolg: Die Werkstätten mussten zusehen, wie unter der Schirmherrschaft der Versicherungen immer mehr Unfallreparaturen ins Ausland abwanderten. Dies könnte sich nun ändern.

Der Hintergrund: Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hat gegen eine Reihe von Kasko-Versicherungsklauseln, die von der VAV Versicherung angewandt werden, Klage eingebracht. Nach der ersten Runde des Musterprozesses steht es 1 : 0 für die Konsumentenschützer.

"Überraschend und nachteilig"

Gegenstand der Klage war eine Reihe von Klauseln, von denen manche -etwa die Frage, wo die geografische Definition von Europa und damit der Deckungsschutz endet -für die Autowerkstätten kaum relevant sind. Ein Punkt hat es jedoch in sich: Nach den von der VAV angewandten "Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung"(AKKB 2008/A) liegt ein Totalschaden vor, wenn die voraussichtlichen Reparaturkosten zuzüglich des Restwertes (Wrackwert)den Zeitwert (Wiederbeschaffungswert) übersteigen. Aus Sicht des VKI ist dies "überraschend und nachteilig im Sinne des §864a ABGB", da ein Verbraucher beim Abschluss einer Kaskoversicherung regelmäßig davon ausgehe, dass die Reparaturkosten jedenfalls dann zur Gänze versichert seien, wenn sieden Zeitwert des Fahrzeuges nicht überstiegen.

Laut den Konsumentenschützern wird durch die Einrechnung des Restwerts vor allem bei älteren Autos die Leistungspflicht des Versicherers massiv eingeschränkt: "Möchte der Versicherte das beschädigte Fahrzeug behalten und reparieren lassen, sind die Reparaturkosten nur bis zur Höhe dieses Differenzbetrages versichert. Der liegt bei älteren Fahrzeugen oft weit unter der Hälfte des Zeitwertes." Auch Schäden an jüngeren Autos könnten problemlos zu einem Totalschaden umfunktioniert und die Versicherungsnehmer somit zum Verkauf gezwungen werden.

Außerdem kritisiert der VKI, dass in der Klausel überhaupt nicht geregelt sei, nach welchem Verfahren der für das Vorliegen eines Totalschadens maßgebliche Restwert bestimmt werde. Es bleibe unklar, welche Rechte dabei dem Verbraucher zukommen würden: "Dadurch besteht die Gefahr, dass eine im Einflussbereich der Versicherer stehende Einrichtung über passende Restwertangebote willkürlich Totalschadensfälle erzeugt."

Bereicherte Kunden?

Die beklagte VAV vertrat dagegen den Rechtsstandpunkt, dass diese Klausel generell der Inhaltskontrolle des ABGB entzogen sei. Sie ist auch nicht "gröblich benachteiligend", da dem Versicherungsnehmer bei dieser Totalschadensabrechnung die Möglichkeit bleibe, "ein anderes Fahrzeug gleicher Art und Güte im gleichen Abnützungszustand zu kaufen". Mehr als den von den Versicherungen bezahlten Differenzbetrag habe er nicht zu bekommen, sonst wäre er "bereichert".

Es gebe beim Abschluss einer Kaskoversicherung "keine typische Deckungserwartung", sondern frei wählbare "Deckungsbausteine". Darüber hinaus gebe es kein allgemein gültiges Verfahren zur Bestimmung des Restwertes: Die VAV informiere ihre Kunden über Wrackhändler, überprüfe laufend deren Seriosität -und tue damit nichts anderes als alle anderen Versicherungen auch.

Aufsehenerregendes Urteil

Das Handelsgericht Wien (19Cg 148/10a) sah dies anders. Es untersagte der VAV in seinem Urteil vom 3. Dezember 2010, die "Totalschadensklausel" weiterhin anzuwenden oder sich auf sinngleiche Klauseln zu berufen. Richterin Dr. Elfriede Dworak begründet dies mit dem "Zweck der Kaskoversicherung": Sie soll einen gleichwertigen Versicherungsschutz für jene Fälle schaffen, in denen der Schaden nicht durch die gegnerische Haftpflichtversicherung ersetzt wird. "Ein Durchschnittsverbraucher wird bei Abschluss einer Kaskoversicherung daher erwarten, dass ein allfälliger Schaden von der Versicherung in der Höhe getragen wird, wie er von einem haftpflichtigen Schädiger zu begleichen wäre", so Dworak. Für Aufsehen sorgt in der Branche aber vor allem folgende Formulierung der erstinstanzlichen Richterin: "Ein Totalschaden ist nur dann anzunehmen, wenn der Zeitwert des Kfz erheblich hinter den veranschlagten Reparaturkosten zurückbleibt, wobei eine mäßige, wirtschaftlich vertretbare Überschreitung des Zeitwertes durch die Reparatur zulässig ist; diesbezüglich gibt es keine starren Prozentsätze, sondern sind für die Beurteilungvielmehr die Umstände des Falles maßgeblich."

Nächste Runde

Dass man seitens der Versicherungen gegen dieses Urteil Sturm laufen wird, liegt auf der Hand. Tatsächlich hat die VAV bereits Revision eingebracht. Die Erfahrung lehrt, dass es keineswegs bei der Rechtsauffassung der ersten Instanz bleiben muss. Schließen sich die nun befassten Richter aber der Meinung des Wiener Handelsgerichtes an, werden künftig viel mehr Kaskoschäden repariert als bisher. Totalschadensabrechnungen sollten dann -wie in früheren Zeiten -nur die Ausnahme sein, und dem Unfug des "Reparaturexports" würde ein volkswirtschaftlich sinnvoller Riegel vorgeschoben.

"Schlagartig teurer"

Der VAV hat es nach dem -aus ihrer Sicht -unerfreulichen Urteil offensichtlich die Sprache verschlagen: Dort verweist man auf das laufende Verfahren und will keinen weiteren Kommentar abgeben. Andere Versicherungen beobachten die Vorgänge mit Argusaugen. Lediglich Kurt Molterer, Hauptbevollmächtigter der Garanta, sieht sich "voll und ganz bestätigt": Sein Unternehmen verzichtet als einziges zur Gänze auf Wrackbörsen.

Beim Marktführer Generali glaubt man nicht, dass die Entscheidung in den höheren Instanzen Bestand haben wird. "Reparaturen über 100 Prozent des Zeitwertes widersprechen rechtlichen Grundsätzen wie dem Bereicherungsverbot", ist Kfz-Vorstand Walter Kupec überzeugt. Werde das Urteil wider Erwarten bestätigt, werde dies eine "schlagartige Verteuerung der Kasko-Versicherungen" mit sich bringen. Kupec mahnt seine Branchenkollegen jedenfalls, mit dem Instrument der Wrackbörse "maßvoll" umzugehen: "Wenn es immer wieder zu Extremfällen kommt, ist es kein Wunder, dass die Konsumentenschützer aktiv werden."

Dass die Restwertbörsen generell abgestellt werden, ist für Kupec ebenso wenig denkbar wie für den Fachjuristen Karl-Heinz Wegrath: Er befürchtet, dass die Versicherungen die Konsumentenvertreter zufriedenstellen, indem sie ihre Geschäftsbedingungen klarer formulieren. Viele Autofahrer, meint Wegrath, würden sich dann eben bewusst für eine (naturgemäß billigere) Versicherungsvariante "inklusiv Wrackbörse" entscheiden: "Die Mehrheit achtet nur auf die Prämie."