A&W: Wie viele chinesische Automarken gibt es?

Beatrix Christina Keim: An Verbrenner-Marken (ICE) gibt es ca. 100. Zu den NEV-Marken (New Energy Vehicles, also alle neuen Antriebsarten, Anm.) gibt es diverse Angaben, da es seit 2012 mehr als 500 entsprechende Start-ups gab. Von diesen erhielten nur etwa 200 eine Produktionslizenz. Rund 100 haben tatsächlich die Produktion aufgenommen oder dies zumindest angekündigt. Allerdings sind auch viele wieder verschwunden, weil sie bankrott sind oder aus anderen Gründen.

Welche Hersteller aus China sind in Europa aktiv?

Keim: BYD, Great Wall Motors (Wey, Ora), Nio, XPeng, Geely (Lynk&Co, smart, Polestar), SAIC (MG, Maxus).

Wie viele planen Ihres Wissens den Einstieg?

Keim: Geely zusätzlich mit Zeekr und Lotus. Dazu kommt noch Chery (Omoda, Jaecoo). Kürzlich kündigte auch Leapmotor durch das Joint Venture mit Stellantis den Markteintritt für den Herbst 2024 an.

Wie viele werden es schaffen?

Keim: BYD, Geely und SAIC. Eventuell sogar Chery mit einem klaren Markenkonzept.

In welchen Ländern haben die chinesischen Hersteller die besten Chancen?

Keim: In Ländern ohne eigene Hersteller (OEM), -außerdem in Schwellenländern inklusive Osteuropa. Soweit gegenüber den Kunden die Differenzierung über Preis-Leistung und Markenaffinität bzw. Vertrauen erreicht wird, kann dies durchaus auch in den traditionellen Hersteller-Ländern funktionieren.

Mit welchen Antriebskonzepten werden chinesische Hersteller in Europa am ehesten Erfolg haben?

Keim: Vorwiegend mit Elektroautos oder auch mit Plug-in-Hybridfahrzeugen. Einige wie GWM und SAIC auch mit Verbrennern – was für MG funktionierte, für Wey aber nicht. Die aktuelle Zurückhaltung gegenüber Elektroautos könnte eine neue, kurze Chance für Verbrenner sein – und zwar mit kleinen bis mittleren Motoren.

Welche Preise sind in Europa für chinesische Autohersteller durchsetzbar?

Keim: Mit wenig Markenbekanntheit liegen die -Preise zumindest 10 bis 20 Prozent unter den etablierten Herstellern, also die aktuelle Positionierung. Mit besserer Markenbekanntheit und Image sind auch mit guter Ausstattung und Qualitätsanmutung gleiche Preise erzielbar. Doch das dauert noch einige Jahre, ich schätze es werden zwei bis fünf Jahre sein.

Wie sind die Eigentumsverhältnisse bei den chinesischen Autoherstellern?

Keim: Es gibt zum einen die SOE, also die State Owned Enterprises, die zu 100 Prozent dem Staat oder der Provinz bzw. Stadt gehören (Beijing, Shanghai). Chang’an Automotive gehört dem Militär. Die Start-ups haben vorwiegend Privatinvestoren, doch durch Kredite sind auch Banken, Institutionen, andere Firmen, und oft durch die komplexe Finanzstruktur des Staates doch auch der Staat bzw. die Provinzregierung involviert. Denza/BYD zum Beispiel hat auch Warren Buffet als Investor.

Wie gut geht es diesen Firmen im Schnitt?

Keim: Generell legen die SOE keine Bilanzen vor. Die börsennotierten Unternehmen schon, wobei es hier die üblichen Möglichkeiten gibt. Die Profitabilität erscheint aktuell nicht sonderlich positiv, was an hohen Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung liegen kann und auch an den Preiskämpfen, die die Margen schrumpfen lassen. Zudem gibt es gerade bei den Start-ups auch Zinsverbindlichkeiten.

Wie viel kostet ein Auto im Vergleich zu Europa?

Keim: Nur einige Beispiele für Fahrzeuge, die auch in Österreich bereits angeboten werden: Der MG4 kostet in China umgerechnet 18.510 Euro. Beim BYD Dolphin sind es in China umgerechnet 16.344 Euro und beim BYD Seal 29.911 Euro. Das bedarf aber noch einer Analyse, inwieweit die Ausstattung identisch ist. Ich nehme das aber an, da ansonsten die -Fertigungs-Komplexität zu hoch sein dürfte.

Wie viele Autos verkauft ein durchschnittlicher chinesischer Autohändler?

Keim: Dies ist schwer zu beantworten. Einerseits sind die Händlernetze verschieden groß. Das heißt, nicht alle sind über ganz China in ähnlicher Dichte ausgebaut. Die Händlergrößen schwanken sehr in Abhängigkeit von Lage und Marke. Bei VW hatten wir 4 verschiedene Standards, je nach Potenzial des Standorts. Also gab es zum Beispiel in sehr großen Städten mehrere Händler. Zudem sind die Organisationen von FAW-VW und SAIC VW getrennt. Auch die Premiummarken haben je nach Standort durchaus mehrere Händler pro Stadt, nicht unbedingt aus -einer Gruppe. Händler verkaufen nicht nur eine Marke, sondern mehrere.

Wie bewerten Sie die wirtschaftliche Situation in China generell?

Keim: China hat es nicht geschafft, den Einbruch durch Corona aufzuholen. Die Arbeitslosigkeit insbesondere unter Uni-Absolventen ist mit 20 Prozent sehr hoch. Für 2024 wurde ein Ziel von 5 Prozent Wachstum ausgegeben, was andeutet, dass auch die Regierung erkannt hat, dass die eigentliche angestrebte Stabilisierung auf 6 Prozent nicht möglich ist. Inwieweit die 5 Prozent erreichbar sind, ist abzuwarten. Die Ankurbelung des Exports von E-Fahrzeugen ist eindeutig eine Maßnahme. Die Ausweitung des Investitionskatalogs, also die Liste der Industrien und Industriezweige, die für ausländisches Investment zugelassen sind, zeigt ebenfalls den Bedarf. Der Besuch des Präsidenten Xi Jinping Ende 2023 in den USA trotz der geopolitischen Differenzen deutet ebenso an, dass China hier auf das Ausland angewiesen ist.

Was müssen die europäischen Hersteller tun, um gegen das Andrängen chinesischer Hersteller zu bestehen? Und zwar in der Entwicklung bzw. im Vertrieb in China einerseits, aber auch andererseits in Europa …

Keim: Es geht eher um die Modellpolitik: Attraktive Modelle im NEV-Bereich, gegebenenfalls auch Wasserstoff-basiert, die den chinesischen Kundenansprüchen an die 3C „Convenience, Comfort & Connectivity“ entsprechen. Der chinesische Nutzer ist weitaus digitaler als alle anderen! Aktuell überwiegt natürlich auch eine „Buy Chinese“-Haltung, um das Vaterland zu unterstützen. Hiergegen können die Ausländer wenig tun. Kooperationen wie VW sie mit XPeng eingeht oder Stellantis mit Leapmotor, können hier unterstützen. Zudem muss die Preispositionierung gegenüber den chinesischen Anbietern eindeutig sein: Der Kunde erkennt das Preis-Leistungs-Verhältnis in Ausstattung und Services. Aktuell haben die etablierten Hersteller noch einen Vorsprung in Markenimage und -vertrauen. Dies müssen sie weiter intensivieren, um so zumindest diese Stellung nicht zu verlieren: Das betrifft auch den Service insgesamt, also die Servicepunkte und die Kundenansprache. 

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