Wie kam es zur Gründung von Upcycling Bikes, was war Ihre Motivation?
Matthias Raiger: Grundstein war sicher meine Leidenschaft zum Fahrradfahren, zur Fahrradtechnik, aber auch zum „Selber Handanlegen“. Als Architekt ist man ein Meister darin, die Technik und die Gestaltung unter einen Hut bringen und das Ganze in ein wirtschaftliches Format zu bringen. So werden für Bauherren die Bauaufgaben gelöst, und so sehe ich auch die Herangehensweise an meine Projekte. Jedes Fahrrad, das ich gestalten darf, ist für mich ein Projekt gemeinsam mit dem Kunden. Meine Rolle ist die des Designers, aber auch die des Mechatronikers.
Mein Herz fängt an, höher zu schlagen, wenn ich eine Radnabe aus den 1950er-Jahren in die Hand bekomme und auseinanderbaue, jede einzelne Kugel im Lager begutachte, und wenn ich sie dann wieder zusammenbaue, läuft diese Nabe wieder wie am ersten Tag.
Ich sammle schon länger alte Räder aus vergangenen Jahrzehnten: Mir geht es hauptsächlich ums Verstehen von etwas, das ich noch nicht kenne. Bei modernen Fahrrädern geht es oft nicht mehr darum, etwas zu bauen, was sehr lange hält, sondern etwas, das man nach ein paar Jahren wieder ersetzen sollte.
Sind Sie als Fahrradmechaniker ausgebildet?
Wie viele in der Branche habe ich mir meine Kenntnisse autodidaktisch beigebracht. Die meisten Fahrrad-Schrauber sind Quereinsteiger.
Welche Rolle spielt der Nachhaltigkeitsaspekt bei Ihnen und Ihren Kunden?
Die Grundidee bei Upcycling Bikes ist, dass die Kunden mit dem eigenen „Schatz“ vom Dachboden, dem Garagenfund, der „Fahrradleiche“ – ich mag das Wort „Schatz“ lieber – zu mir kommen: mit einem Fahrrad, zu dem schon eine emotionale Beziehung besteht. An diesem Rad sind die Reifen kaputt, die Bremsen funktionieren nicht mehr oder die Technik ist überholt. Das ist der Punkt, an dem ich die Möglichkeit biete, ein besonderes Einzelstück zu schaffen, das für den Alltagsgebrauch geeignet ist.
Mir geht es um zwei Dinge: die Ressourcen, die in einem alten Fahrrad gebunden sind, wieder auf die Straße zu bringen. Und der Kunde soll jedes Mal, wenn er aufsteigt, sich daran erfreuen und es genießen. Die Kunden, mit denen ich arbeite, kenne ich teils persönlich oder sie kommen über Mundpropaganda zu mir. Für mich ist nur eins schöner, als ein Fahrrad für mich selbst zusammenzubauen, nämlich, ein Fahrrad für jemand anderen zu bauen, sodass wir uns zu zweit darüber freuen. Das ist das eigentliche Ziel meines Business Plans.
Werden die Räder dann auch gefahren, oder hängen sich die Besitzer die restaurierten Schätze dann an die Wand?
Die bisherigen Projekte werden alle fast täglich gefahren, wie ich weiß. Mich würde es nicht reizen, etwas für die Wand zu bauen. Es gibt sehr viele Fahrradsammler und -mechatroniker, die alte Räder wieder in den Originalzustand bringen und dann an die Wand hängen, das ist aber nicht mein Zugang und auch nicht im Sinn desjenigen, der das Fahrrad damals erzeugt hat.
Sind heute gebaute Räder – auch E-Bikes – nicht mehr darauf ausgelegt, dass man sie reparieren kann?
Die Technik wird immer spezieller, so wie in vielen Branchen. Die Komponenten sind sehr perfekt aufeinander abgestimmt, das hat alles seinen Zeitstempel. Aber ich möchte nicht behaupten, dass heute keine guten Räder mehr gebaut werden, das ginge zu weit.
Was kostet denn ein Upcycling-Bike bei Ihnen?
Eine gute Frage, die ich mir auch bei jedem Fahrrad stellen muss. Da bei mir die Freude im Vordergrund steht, bin ich leider kein besonders guter Verhandler. Mein Vater, der eine wichtige Rolle bei meiner Entscheidung spielte, Upcycling Bikes zu gründen, meinte immer: Um einen guten Preis zu bekommen, darfst du nicht emotional gebunden sein. Er sagte, man müsse immer den Verhandlungstisch verlassen können.
Das funktioniert hier leider nicht. Jedes der hier gebauten Fahrräder schiebe ich nach sechs bis acht Wochen Projektdauer schweren Herzens aus meiner Werkstätte. Da ist es nicht leicht, dem Unternehmer das Wort zu übergeben und einen guten Preis zu verhandeln. Grob gesagt, kostet ein Projekt ab 1.500 Euro, das hängt natürlich auch von den Komponenten ab, die der Kunde sich aussucht. Im Moment arbeiten wir kostendeckend.
Sind Teile für diese alten Räder leicht zu bekommen, werden die noch hergestellt?
Die Technik war damals so universell, dass ein Bremsbelag von heute – also ein Verschleißteil – noch immer verwendet werden kann. Es wird allerdings nicht mehr alles hergestellt, und viele spezielle Teile bekomme ich aus dem Gebrauchtmarkt. Es kommt auch vor, dass ich Teile bei Rädern gegen neue austausche, und das alte Teil dann bei einem anderen Fahrrad wieder verwenden kann.
Ich weiß, dass Sie gern und viel Rad fahren. Wir sitzen hier an einem sehr regnerischen, kühlen Tag – sind Sie auch heute mit dem Fahrrad da?
Das schlechte Wetter hat auch den Vorteil, dass auf den Radwegen weniger los ist. So schlimm kann es nicht regnen, schneien oder gewittern, dass ich nicht jeden Tag mit dem Rad fahre. Heute habe ich mit dem Lastenrad ein neues Projekt – ein Puch aus den 1940er- oder 50er-Jahren, das ich als E-Bike wieder neu aufbauen werde – hierher transportiert. Meine Anfänge als Radfahrer liegen beim täglichen Arbeitsweg. Wir wohnen am Stadtrand, und ich habe begonnen, die 10 Kilometer in die damalige Arbeit mit einem E-Bike zurückzulegen, weil ich nicht mehr mit Öffentlichen fahren wollte. Der Bus ist da draußen eine Katastrophe, den habe ich schon als Schulkind gehasst. Dieses E-Bike war übrigens nicht von der Stange, sondern eins, das ich mir maßgeschneidert zusammenbauen habe lassen. Der nächste Schritt war dann, dass mir mein Schwiegervater sein Gitane-Rennrad aus den 60er-Jahren vermacht hat. Das war mein Aha-Erlebnis mit Rennrädern: Jedes Newton, das du in die Pedale drückst, kommt auch auf der Straße an.
Ist Wien ein gutes oder eher schlechtes Pflaster, um mit dem Rad seine täglichen Wege zu bestreiten?
Es ist in den letzten Jahren extrem viel passiert, ich begrüße das auch. Natürlich geht immer mehr. Aus meiner Erfahrung als Architekt, der in Wien viel geplant hat, weiß ich, wie stark der Radverkehr in der Stadtplanung bereits verankert ist. Ich meine allerdings, dass die Menschen untereinander etwas weniger aggressiv sein sollten, und da rede ich gar nicht von Autofahrern oder Radfahrern im Speziellen. Wenn ich im Auto hinter dem Steuer sitze, muss ich mich auch selbst an der Nase fassen, damit ich auf Radfahrer mehr Rücksicht nehme. Auch die Fahrradfahrer untereinander könnten mehr Rücksicht üben.
In diesem Spannungsfeld tauchen immer wieder Forderungen auf, Fahrräder – insbesondere motorisierte Pedelecs und E-Bikes – müssten auch Nummerntafeln bekommen, um Rowdies besser aufspüren zu können. Oder, dass Fahrräder eine verpflichtende jährliche Überprüfung wie den §57a-Check unterzogen werden müssten. Wie stehen Sie zu solchen Forderungen?
Gäbe es mehr gesunden Menschenverstand, wären diese Diskussionen unnötig. Die Anonymität ist sicher problematisch, da würde ein Kennzeichen helfen. Aber ich finde es schade, dass man alles immer reglementieren muss. Wenn man regelmäßige Services machen müsste, würde mir das schon entgegenkommen, da wir Services anbieten. Es ist, wenn man sich selbst nicht auskennt, sicherlich ratsam, einmal im Jahr vor der Saison das Rad durchchecken zu lassen. Auch dazu meine ich: Schade, dass das nicht selbstverständlich ist.
Hat das Fahrrad mittlerweile einen festen Platz in der Mobilität?
Ich denke, ja. Ich habe das selbst bei einer großen Firma etwas außerhalb von Wien miterlebt, dass Mitarbeiter mehr und mehr auch längere Arbeitswege mit dem Fahrrad in Angriff nehmen.
Ich bin übrigens dafür, dem Auto in der Stadt noch weniger Platz einzuräumen; nicht damit die Fahrradfahrer mehr haben, sondern weil für Parkflächen heute unglaublich viel Platz verbraucht wird. Aber das ist ein anderes Thema.
Wie polarisiert ist denn die Welt der Fahrradfahrer zwischen den „Traditionalisten“ auf mechanischen Rädern und den E-Bikern?
Das sehe ich überhaupt nicht. Ich habe auch schon Fahrräder auf Pedelec umgerüstet, da gibt es mittlerweile etliche Möglichkeiten. Wir haben aus einem „analogen Rad“, wenn Sie so wollen, ein E-Bike mit 11 Kilogramm Gewicht gebaut, also sehr leicht, bei einer Reichweite von etwa 50 Kilometern. Vorteil dieser Bauweise war, dass die elektrische Antriebswalze weggeklappt werden kann und dann hat man das Fahrgefühl eines mechanischen Fahrrads. Ein analoges Erlebnis mit der Möglichkeit, einen E-Motor zuzuschalten, wenn man nicht verschwitzt ankommen mag. Der Akku ist wie eine Trinkflasche geformt und sitzt im Flaschenhalter. Ich selbst verwende im Training E-Bikes für Schonungs- und Ruhetage, an denen ich in niedrigen Pulsbereichen trainiere. Das ist zwar unter Puristen verpönt, aber so kann ich das Training auch an diesen Tagen in den Alltag einbauen und muss nicht auf die Walze.
Wie haben Sie sich denn das Handwerk auf diesem Niveau angeeignet?
Schon als kleines Kind hat mich fasziniert, wenn mich mein Vater mit in die Werkstatt genommen hat, was er oft getan hat. Ich versuche heute, meinen Söhnen dieselbe Faszination mitzugeben. Die Begeisterung am „Selbst Handanlegen“ war also von Kindheit an da. Je besser ich etwas verstehe, desto besser kann ich es planen. Ich bezeichne mich nicht zuletzt deshalb auch als „Fahrrad-Architekt“: Was man selbst produziert, versteht man, und dann kann man es auch planen.
Wir arbeiten mit 3D-Druck und bauen gewisse Teile – Aufnahmen oder Schalthebel etwa – so, wie wir sie für ein Projekt brauchen, wenn die Industrie das nicht bietet. Das ist etwas Großartiges an der heutigen Zeit, dass man das Prototyping selbst machen kann. Die Möglichkeiten sind unergründlich, und ich lerne jeden Tag etwas dazu, ich informiere mich zum Beispiel auch über Youtube. Am Anfang steht aber die Liebe zum Selbermachen.
Die Fortbildung erfolgt via Internet?
Nicht nur. Zuletzt habe ich eine Ausbildung im Hartlöten absolviert und auch selbst schon Rahmen gelötet. So könnte ich zum Beispiel bei dem Puch, das ich schon erwähnt habe, eine Aufnahme für eine Scheibenbremse anbringen, und so die Rücktrittbremse ersetzen. Das Handwerk ist einfach großartig. Das Vernähen von Leder habe ich von meinem Großvater mitbekommen, der Sattlermeister war. Deshalb hat jedes Upcycling-Rad irgendwo eine Benähung aus Leder: am Rahmen oder eine Bowdenzugaufnahme oder als Lenkerband. Dazu verwende ich übrigens altes Leder aus der Werkstatt meines Großvaters, das so nicht weggeworfen wird, sondern eine Verwendung findet.
Sie haben einen Mitarbeiter bei Upcycling Bikes? Ist es auch in dieser Branche schwierig, Facharbeiter zu finden?
Ja, er ist übrigens auch ein Quereinsteiger – aber einer mit 20 Jahren Erfahrung in der Fahrradszene. Jedes Fahrrad wird von uns beiden nach dem Vieraugenprinzip sehr genau gecheckt, damit die Sicherheit gewährleistet ist, und wenn ich etwas nicht weiß, kann ich ihn fragen, wir ergänzen uns gut.
Und ja, der Facharbeitermangel zieht sich auch durch die Fahrradbranche. Das Problem ist die fehlende Wertschätzung für die Arbeit.
Für den Unternehmer gilt, vermutlich in allen Branchen: Es ist mittlerweile genauso wichtig, sich um die Mitarbeiter zu kümmern wie um die Kunden.