Der Reifen wird noch oft als recht einfaches Produkt angesehen. Wie macht man ein solch simples Teil nachhaltiger? 

Jorge Almeida: Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Konstruktion und das Zusammenspiel der eingesetzten Materialien beim Reifen sehr komplex sind, also ist von einem simplen Produkt keine Rede. Wir bei ­Continental wollen den kompletten Reifen und seine Produktion nachhaltig machen. Spätestens 2050 sollen alle Reifen zu 100 Prozent aus nachhaltigen Materialien bestehen. 

Welche werden das sein?

Zum Beispiel Abfallprodukte aus der Landwirtschaft: die Asche von Reishülsen, Kautschuk aus Löwenzahn, aber auch recyceltes Gummi oder PET. Continental ist auf dem Weg, der fortschrittlichste Hersteller in der Reifenindustrie zu werden, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Bereits heute sind in einem Standard-Pkw-Reifen von Continental rund 15 bis 20 Prozent nachwachsende oder wiederverwertete Materialien verbaut. Dieser Anteil wird ständig erhöht.

Wirkt sich das nicht auch auf die Produkteigenschaften aus? 

Natürlich beeinflusst neben dem Profil auch die Zusammensetzung der Gummimischung die Fahreigenschaften maßgeblich. Die verschiedenen Materialien mit ihren spezifischen Eigenschaften und Wechselwirkungen gezielt einzusetzen, ist ein komplexer Balanceakt für unsere Ingenieure und Materialexperten. Naturkautschuk, der zwischen 10 und 40 Prozent eines Reifens ausmacht, bleibt für die Funktionalität von Reifen unerlässlich. Für Continental ist der Naturkautschuk jedoch erst dann ein nachhaltiges Material, wenn es verantwortungsvoll beschafft wird. Wir verfolgen daher einen ganzheitlichen Ansatz, um die komplexen und fragmentierten Lieferketten für Naturkautschuk nachhaltiger zu gestalten. 

Wie gehen Sie dabei vor? 

Einerseits schaffen wir mit digitalen Technologien und Zusammenarbeit mit starken Partnern mehr Transparenz und Nachverfolgbarkeit entlang der Wertschöpfungskette. Andererseits wollen wir unabhängiger von herkömmlichen Produzenten werden und forschen in unserem Taraxagum-Projekt daran, Naturkautschuk künftig aus speziell gezüchteten Löwenzahnpflanzen gewinnen zu können.

Sie haben vorhin Reishülsen erwähnt. Was wird aus diesen gewonnen?

Die Reishülsen werden künftig das Ausgangsmaterial für nachhaltig hergestelltes Silika sein, einem wichtigen Füllstoff bei der Reifenproduktion. Reishülsen sind ein Abfallprodukt der Reisproduktion und können nicht als Nahrungsmittel oder Tierfutter verwendet werden. Aus der Asche von Reishülsen gewonnen, ist die Herstellung von Silika energieeffizienter als aus herkömmlichen Materialien wie Quarzsand. Bereits heute bieten pflanzliche Öle – wie beispielsweise Rapsöl und Harze, basierend auf Reststoffen der Papier- und Holzindustrie – eine Alternative zu rohölbasierten Füllstoffen in Reifen von Continental. Wichtig zu betonen: Dafür wird ausschließlich Öl technischer Qualität genutzt, das für den Verzehr ungeeignet ist. Öle und Harze machen Reifenmischungen flexibel und verbessern so die Haftungsfähigkeit des Materials.

Rund um das Thema Nachhaltigkeit ist viel von Kreislaufwirtschaft die Rede. Ist das für die Reifenproduktion denkbar?

Continental strebt bis spätestens 2050 vollständig zirkuläres Wirtschaften in der Reifenproduktion an. Neben dem Einsatz nachwachsender Materialien arbeiten wir konsequent an der Nutzung recycelter Rohstoffe. So soll künftig im großen Umfang Industrieruß gewonnen werden. In Kooperation mit Pyrum Innovations arbeiten wir daran, Altreifen in Industrieöfen durch ein spezielles Pyrolyseverfahren in ihre einzelnen Bestandteile zersetzen zu können. So werden wir wertvolle Rohstoffe, die in Altreifen enthalten sind, recyceln können und letztlich ein geschlossenes Kreislaufwirtschaftskonzept für das Recycling von Altreifen entwickeln. Auch an einer mechanischen Aufbereitung von Altreifen wird gearbeitet. Recycelte Rohstoffe werden maßgeblich dazu beitragen, Reifen nachhaltiger zu machen. Wann immer möglich, setzen wir auf recycelte Materialien. Continental arbeitet daran, innovative Technologien und nachhaltige Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette voranzutreiben.