A&W: Der VFT hat vor einigen Jahren angekündigt, sich auch abseits des Kfz-Teile-Handels für weitere Akteure aus dem Mobilitätsmarkt zu -öffnen. Wie ist der aktuelle Status?
Sascha Öllinger: Wir führen hier den erfolgreichen Weg von Walter Birner fort. Schon jetzt stehen wir stark in Kommunikation mit freien Kfz-Werkstätten, die Beratung suchen. Der VFT gewinnt auch stetig neue Mitglieder, unter anderem aus den Bereichen Kfz-Werkstätten, E-Ladeinfrastrukturanbieter oder Werkstattausrüster. Hier wird viel Know-how in den Verband eingebracht, und diesen Weg wollen wir konsequent fortsetzen.
Mit welchen Maßnahmen unterstützt der VFT konkret die Branche bzw. seine Mitgliedsbetriebe?
Öllinger: Wir wollen für alle Akteure im Mobilitätsmarkt da sein und arbeiten dazu mit vielen Verbänden und Organisationen zusammen. Gemeinsam mit unseren internationalen Schwesterverbänden und Partnerorganisationen unterstützen wir die Lobbying-arbeit auf europäischer Ebene. Auf europäischer Ebene werden die Spielregeln für den Automotive Aftermarket festgelegt, die für die freien Betriebe essenziell und existenziell sind. Große Themen für die freien Betriebe in Österreich sind die jüngst verlängerte Kfz-GVO und die Aussicht auf eine Reparaturklausel im Designschutz. Aber auch beim Thema Vergütungen für den Windschutzscheiben-Tausch konnten wir betroffene Firmen kompetent informieren bzw. gemeinsam mit einzelnen Versicherungen und Sachverständigen nach Lösungswegen suchen und auch schon teilweise umsetzen.
Die Kfz-Landschaft in Österreich gilt manchmal als noch wenig digitalaffin. Welche Maßnahmen könnten hier zur Verbesserung beitragen?
Öllinger: Aus meiner Sicht gibt es in den Kfz-Unter-nehmen in Österreich eine sehr hohe Sensibilität für die Digitalisierung, in diesem Bereich wird schon sehr viel getan. Ich habe den Eindruck, dass auch die Kfz-Werkstätten hier auf einem sehr guten Weg sind. Unsere Mitglieder aus dem Kfz-Teilehandel bieten rund um die Digitalisierung viele sinnvolle Services an und unterstützen die Werkstätten kompetent und umfassend.
Wie beurteilen Sie aktuell die Zukunft der freien Kfz-Betriebe in Österreich – vor allem in Hinblick auf veränderte Strukturen im markengebundenen Handel und seinen angeschlossenen Service-betrieben?
Öllinger: Ich sehe die Zukunft positiv. Wichtig ist, dass die Unternehmen permanent ihre Geschäftsinhalte auf den Prüfstand stellen. Die Betriebe sind gut aufgestellt, und viele erweitern stetig ihre Geschäftsfelder. Meine Einschätzung ist allerdings, dass es zu einer stärkeren Zusammenarbeit innerhalb kleinerer Einheiten und zur Bildung regionaler Netzwerke kommen wird. Denn kein Betrieb wird auf mittlere Sicht so wie bisher alles selbst anbieten können, das ist auch eine Frage der Investitionsbereitschaft und der finanziellen Möglichkeiten.
Beim VFT-Branchentreff wurde unter anderem auf die rückläufige Nachfrage nach Kfz-Ersatzteilen im Zuge der stärkeren Durchdringung von E-Mobilität und dem Verkaufs-Aus für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 hingewiesen. Wie kann der Teilehandel dieses Nachfrageminus kompensieren?
Öllinger: Ich gehe davon aus, dass die Nutzungsdauer von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor steigen wird, sprich dass sie künftig länger im Einsatz sein werden, als das bisher der Fall war, und dadurch für diese auch mehr Ersatzteile benötigt werden. Gleichzeitig wird auch ein Teil des zu erwarteten Nachfrageminus durch spezifische Teile kompensiert werden können, die nur in Elektroautos zum Einsatz kommen. Generell steht dem Aftermarket im Pkw-Segment noch eine sehr gute Dekade bevor: Anbieter, die mit Weitsicht auf dem Markt agieren, werden auch künftig ihren Platz finden. Die Betriebe müssen sich allerdings aktiv den Veränderungen stellen.
Mit welchen aktuellen rechtlichen Themen sieht sich der VFT konfrontiert?
Öllinger: Ein sehr wichtiges Thema ist die Kfz- bzw. Aftermarket-Gruppenfreistellungsverordnung (GVO). Mit der GVO sorgt die EU dafür, dass mehrere hunderttausend freie Werkstätten in ganz Europa überhaupt erst ihre Arbeit machen können, weil sie die Gleichstellung von herstellergebundenen und freien Betrieben gewährleistet. Sie ist wichtig dafür, dass die freien Werkstätten Zugang zu Ersatzteilen und auch technischen Informationen bekommen, die sie für die Reparatur benötigen. Die GVO stellt somit das Rückgrat der wirtschaftlichen Existenz für den freien Reparatursektor dar. Angesichts des technischen Fortschritts in Fahrzeugen und der zunehmenden Bedeutung von Fahrzeugdaten fordert der VFT darum auch seit vielen Jahren die Anpassung dieses EU-Regelwerks (und auch weiterer) an den Stand der Zeit. Dementsprechend wichtig ist auch die jüngste Verlängerung des überarbeiteten Regelwerks bis 2028. Was uns besonders freut: Erstmals wurde auch der gleichberechtigte Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten, die für die Instandsetzung und Wartung wesentlich sind, ausdrücklich festgehalten.
Stichwort Daten: Heuer werden wir in Europa eine Datengesetzgebung bekommen. Das ist gut und sinnvoll, für unsere Branche aber nicht ausreichend. Darum fordern wir gemeinsam mit unseren Partnerverbänden auch in diesem grundlegenden, zukunftsweisenden Regelwerk sektorspezifische Regelungen, die den Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten, vor allem aber auch zu Funktionen und Ressourcen im Fahrzeug regelt. Die sind zum Beispiel wichtig, wenn es um Innovation und Entwicklung geht. Der Prozess dazu wurde von EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton unverständlicherweise knapp vor Weihnachten gestoppt, zuletzt gab es dann aber doch wieder schwache Signale und damit verbunden die Hoffnung, dass auch die Rahmenbedingungen und Anforderungen im Aftermarket berücksichtigt werden.
Ein weiteres Thema ist SERMI, mit dem europaweit ein standardisierter Zugang zu diebstahl- und sicherheitsrelevanten Reparatur- und Wartungsinformationen geschaffen werden soll. Das dazugehörige Schema wird Anfang August 2023 in Kraft treten. Ab dann benötigen die Werkstätten bzw. deren Mitarbeiter eine Akkreditierung, um auf die entsprechenden Informationen zugreifen zu können. Ab wann diese Akkreditierung in Österreich möglich ist, ist mir zum heutigen Tag noch nicht bekannt. Trotzdem ist es für Werkstätten ratsam, sich schon heute auf diesen Tag vorzubereiten, damit es dann möglichst rasch geht. Wichtig ist etwa, dass man die verschiedenen benötigten Unterlagen und Dokumente – vom Gewerbeschein bis zur aktuellen Strafregisterbescheinigung – griffbereit hat.
Wie sieht der Verhandlungsstatus bei der Reparaturklausel aus und wo orten Sie hier derzeit die größten Herausforderungen?
Öllinger: Da sind wir jetzt bei den sichtbaren Fahrzeugteilen und dem Thema Designschutz. Österreich ist eines der verbleibenden EU-Länder, die noch keine Reparaturklausel im Musterschutz verankert haben. Der Designschutz führt bei Fahrzeugen dazu, dass bestimmte, designgeschützte Ersatzteile Monopol-teile sind, soll heißen: Sie sind nur beim Fahrzeughersteller zu bekommen. Und das heißt wiederum: Es gibt kein Wettbewerbsangebot, was zu entsprechend hohen Ersatzteilpreisen führt. Der VFT setzt sich aus diesem Grund schon seit Jahren dafür ein, dass eine Reparaturklausel eingeführt wird und sich diese Situation ändert. Ende letzten Jahres ist hier auch Bewegung hineingekommen, weil die EU-Kommission einen Vorschlag dazu vorgelegt hat, mit dem Ziel, gleiche rechtliche Rahmenbedingungen in ganz Europa herzustellen. Aus heutiger Sicht sind wir darum auch optimistisch, dass es zu einer Harmonisierung – und damit auch zu einer Veränderung der Situation in Österreich – kommt. Momentan spießt es sich aber noch an den Übergangsfristen, wann eine solche Reparaturklausel in Kraft treten soll.
Hier liegt der Vorschlag der EU-Kommission bei 10 Jahren. Ihre volle positive Wirkung kann die Reparaturklausel aber nur dann entfalten, wenn sie für neue UND bestehende Fahrzeugmodelle gilt. Unserer Meinung nach sollte darum die Übergangsfrist keinesfalls länger als 3 Jahre betragen. Die rasche einheitliche Liberalisierung ist notwendig, denn Marktstudien haben gezeigt, dass die Ersatzteilpreise in Ländern ohne Liberalisierung um mindestens 5 bis 8 Prozent höher sind als in liberalisierten Staaten. Das heißt: Je länger die Übergangsfrist, desto länger zahlen die betroffenen Verbraucher höhere Preise.