Derzeit herrscht ob der Verbrenner-Entscheidung des europäischen Parlaments große Aufregung. Dabei ist das Ergebnis nach der Trilog-Entscheidung aus dem Herbst (EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Ministerrat) nicht überraschend gekommen.

Ob man das mag oder nicht: Autohersteller haben ihre Entscheidungen schon lange vorher getroffen und stellen auf elektrische Antriebe (über Batterie und später vielleicht auch über Brennstoffzelle) um. Wenn man sieht, wie günstig Konkurrent Tesla heute bereits produziert, ist es naiv zu glauben, dass die Autohersteller Verbrenner- und Elektro-Antriebskonzepte (und damit auch gänzlich unterschiedliche Karosserie-, Software- und Produktions-Konzepte) parallel weiterentwickeln.

Wer verkauft welche Marken
Die Hersteller haben nun die Rechtssicherheit, die sie benötigen. In Europa ist der Weg längst vorgegeben und im Hinblick auf die massiven Entwicklungsschritte wird uns in zehn Jahren das Elektroauto kein Kopfzerbrechen mehr machen. Es wird sich längst etabliert haben.

Das Thema in den nächsten Jahren wird vielmehr der Vertrieb sein. Denn während mit den etablierten Herstellern noch über Agentursysteme diskutiert wird, kommen neue Anbieter mit einer „Plattformstrategie 2.0“ nach Europa.

Plattformstrategien, wie sie VW perfekt umgesetzt hat und an der nun auch Stellantis für alle Marken arbeitet, sind eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft.

Doch das ist längst nicht alles. Denn während VW und in Zukunft auch Stellantis auf wenige Händler mit möglichst vielen ihrer Marken setzen, geht die Plattformstrategie 2.0 vertriebsseitig einen anderen Weg.

Das wohl spannendste Beispiel entwickelt gerade Geely! So wird die neue (elektrische) SEA-Plattform des chinesischen Riesen für unzählige Modelle der zahlreichen Marken die Basis bilden. Aber statt alle Marken bei einem Händler zu positionieren, bespielt Geely alle Kanäle.

Geelys Vertriebskanäle: Von Volvo bis smart
Mit Volvo vertreibt und repariert man über ein etabliertes Händlernetz. Polestar verkauft man direkt und nutzt ein etabliertes Servicenetz (von Volvo). Bei Bedarf kann man zudem auf das Vertriebsnetz von Volvo zurückgreifen und damit das Händlernetz je nach Erfolg und Bedarf einfach skalieren. Mit dem Joint-Venture beim smart #1 lässt man die Plattform gleich über einen Mitbewerber vermarkten. Lynk & Co ist überhaupt nur als Abo-Modell gestartet. Und mit der Premiummarke Zeekr, die nun nach Europa kommt, beginnt man mit der Markenpositionierung auf einem weißen Blatt Papier. Nicht zuletzt werden aus dem Hause Geely derzeit auch LEVC (London Taxi) und Lotus in Europa vermarket.

Geely startet – abgesehen von ein paar Volvo-Verbrenner-Produktionsbändern und dem Volvo-Händlernetz – in Europa gänzlich ohne Altlasten und wird jene Marken und jene Vertriebskanäle stärken, die am besten funktionieren. Hier tun sich die etablierten Hersteller deutlich schwerer: Mit teuren Verbrenner-Werken, teuren Vertriebsnetzen und veralteten Software-Strukturen kommen sie kostenmäßig vom oberen Ende in diese gewaltige Transformation. 

Ob es den Händler in der zukünftigen Kundenbeziehung noch braucht, hat dieser zu einem nicht unwesentlichen Teil auch selbst in der Hand. Der Kunde muss in allen Bereichen (Mobilität, Beratung, Verkauf, Finanzierung, Versicherung, Ladeinfrastruktur, Garantie, After-Sales,....) so gut betreut werden, dass er nicht auf den Händler verzichten möchte.

Dazu müssen sich die Betriebe aber neuen Technologien ebenso wie den neuen Kundenanforderungen öffnen und darin ihre Rolle und ihre Geschäftsmodelle finden. Zu hoffen, dass – sowohl beim Antrieb wie auch beim Vertrieb – alles so bleibt wie es ist, ist keine Zukunfts-Option mehr.

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